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»Feminist*innen« können strukturell antisemitisch sein
Sibel Schick über Verschwörungsmythen bei selbsternannten Feminist*innen
Der moderne weiße Feminismus konstruiert eine Identität der Frau, die ohne Feindbilder nicht funktioniert. Diese Feindbilder sind beispielsweise trans Frauen, Sexarbeiterinnen und Hidjabi-Musliminnen. Der Hass gegenüber Sexarbeiterinnen ist groß und so stark, dass jede Bemühung für die Stärkung ihrer Rechte diffamiert werden muss, weil sie geschwächt werden sollen. Hass ist allerdings kein zuverlässiger Motor, daher stürzen auch die Argumente von sexarbeiterinnenhassenden »Feministinnen« wie ein Kartenhaus zusammen, sobald man sie berührt.
Diese Art Feminismus diffamiert aktivistische Sexarbeiterinnen, die sich für ihre Rechte starkmachen, als »Prostitutionslobby« und sogar »Zuhälterlobby«. Das ist vergleichbar damit, dass man Gewerkschaften und Selbstorganisationen von Arbeiterinnen als »Arbeitgeberlobby« diffamieren und behaupten würde, sie setzten sich in Realität für die Interessen von Arbeitgeberinnen und Unternehmen ein. Das würde natürlich bei »normalen« Arbeiter*innen kein Mensch behaupten oder glauben. Alleine diese Transferleistung scheint zu viel verlangt.
Sibel Schick ist Autorin und Journalistin. Sie wurde 1985 in der Türkei geboren und zog 2009 nach Deutschland. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »In schlechter Gesellschaft«. Darin schreibt Schick gegen das Patriarchat und den Rassismus der weißen Mehrheitsgesellschaft an. Alle Texte unter dasnd.de/gesellschaft.
Sexworker*in und Aktivist*in Ruby Rebelde erhielt zuletzt eine Unterlassungserklärung und eine Rechnung vom Anwalt des »Emma«-Magazin, Sisters e.V. und Netzwerk Ella. Grund dafür ist eine Folie aus dem öffentlichen Vortrag Rubys »6 Jahre Prostitutionsschutzgesetz« vom 12. Mai bei der Diakonie Deutschland. Auf ihm würden die betreffenden Akteur*innen als »strukturell antisemitisch« diffamiert und diskreditiert, so der Vorwurf. Das entsprechende Anwaltsschreiben sowie der betreffende Vortrag liegen »nd« vor.
Auf einer Folie über »antifeministische Motivationen von Sexarbeitsfeindlichkeit« sind Begriffe wie »radikalfeministisch – trans-exkludierend – strukturell antisemitisch« zu lesen. Darunter sind »Emma«-Magazin, Sisters e.V. und Netzwerk Ella als »Akteur*innen« aufgelistet. Wer sich die Folie genauer anguckt, merkt, dass es die Motivation ist, die als strukturell antisemitisch eingeordnet wird. Das ist keine Diffamierung, sondern eine nüchterne Beschreibung des Stands der Wissenschaft.
Transfeindliche und sexarbeitsfeindliche »Feminismen« verbreiten Bedrohungsszenarien mit Verschwörungserzählungen, um ihre Ziele durchsetzen zu können. Dabei fällt häufig der Begriff »Lobby«, der hinter verschlossenen Türen hinterlistig agierende, feindselige Gruppen aus der Unsichtbarkeit herausholen soll. Diese Machtzuschreibung ist erfunden, in der Realität handelt es sich um mehrfach marginalisierte Gruppen. Diese Methode hat nichtsdestotrotz Erfolg – das haben wir zuletzt im Gesetzentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz gesehen, das zwar vorgibt, trans Menschen zu ermächtigen, ihre Rechte in Wirklichkeit aber einschränkt.
Samuel Salzborn, der Antisemitismusbeauftragter des Landes Berlin, erklärt, dass Verschwörungsmythen immer strukturell auf Antisemitismus hinauslaufen. Damit ein Argument strukturell antisemitisch sein kann, müssen jüdische Menschen also nicht explizit genannt werden. Der Begriff »strukturell« bezieht sich hier auf das Argument, nicht auf Menschen. Menschen können nicht »strukturell« irgendetwas sein, aber sie können so handeln. In »Das Verschwinden der Frauen« im Buch »Transsexualität« von »Emma«-Herausgeberinnen Alice Schwarzer und Chantal Louis verbreitet Louis beispielsweise die Verschwörungserzählung, dass trans Menschen cis Frauen ersetzen wollen würden – eine Erzählung, die sich von dem rassistischen Verschwörungsmythos »Der große Austausch« nährt. Das ist eine gängige Methode – auch die transfeindliche Biologin Marie-Luise Vollbrecht leugnete NS-Verbrechen. Struktureller Antisemitismus, Rassismus, Transfeindlichkeit und Sexarbeitsfeindlichkeit gehören zusammen wie Muschel und Pommes Frites. Wir brauchen Menschen wie Ruby, die furchtlos aufklären.
Ruby Rebelde musste laut eigener Aussage einen Anwalt engagieren und braucht finanzielle und moralische Unterstützung. Marie-Luise Vollbrecht sammelte mit transfeindlichen und Holocaust-relativierenden Äußerungen in kürzester Zeit fast 100.000 Euro für »Rechtshilfe«. Ob es genauso viele oder sogar mehr sind, die mehrfach marginalisierte Menschen im Kampf um ihre Rechte unterstützen möchten? Das werden wir sehen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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