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Armenabspeisung
Sozialgipfel lobt Maßnahmen und wartet auf deren Umsetzung
Altersarmut, Kinderarmut – die Probleme sind nicht neu, verschärfen sich aber. »Die Inflation, insbesondere die hohen Lebensmittelpreise und die Verteuerung vieler Waren des täglichen Bedarfs, drängen zunehmend Menschen in Armut. Auch Wohnen wird für immer mehr Menschen unerschwinglich«, weiß Andreas Kaczynski. Er ist Sprecher der Landesarmutskonferenz Brandenburg und sagt am Donnerstag: »Betroffen sind insbesondere Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Familien mit Migrationshintergrund. Sie brauchen unsere besondere Unterstützung.« Mit dem Brandenburg-Paket der rot-schwarz-grünen Landesregierung stünden dafür Mittel zur Verfügung. »Sie müssen jetzt auch bei den Betroffenen ankommen!«
Denn das ist seit drei Jahrzehnten eine Spezialität in Brandenburg: Ankündigungspolitik. Erzählt und versprochen wird viel. Statt Taten folgt dann im Vertrauen auf die Vergesslichkeit der Menschen manchmal einfach die nächste Ankündigung. Das lenkt ab von allerlei Versäumnissen.
Auf einem ersten Sozialgipfel im November hatte sich Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) mit Wohlfahrtsverbänden und anderen Organsiationen getroffen. Vereinbart wurde in einer gemeinsamen Erklärung, »ergänzend zu den Entlastungsmaßnahmen des Bundes gezielt Mittel für den Schutz der sozialen Infrastruktur einzusetzen«, wie die Staatskanzlei am Donnerstag unmittelbar nach einem zweiten Sozialgipfel erneut ausführt. Sie zieht auch gleich eine Zwischenbilanz: Aus dem zwei Milliarden Euro umfassenden Brandenburg-Paket des Landes seien bis zum 1. Juni bereits 49 Vorhaben mit einem Volumen von insgesamt mehr als 814 Millionen Euro bewilligt worden. Dazu gehöre eine Energiesoforthilfe für Privathaushalte. Wer aufgrund der Preissprünge beispielsweise von einer Stromsperre bedroht sei, könne einmalig einen nicht rückzahlbaren Zuschuss erhalten. Insgesamt 1,5 Millionen Euro seien dafür eingeplant.
Wer mit seinem Einkommen nicht mehr zu Rande kommt, dem werden gute Ratschläge erteilt, wie es doch gehen könnte. Die Verbraucherzentrale prüft in Zusammenarbeit mit dem Mieterbund Betriebskostenabrechnungen auf deren Richtigkeit. Für solche Beratungsleistungen spendiert das Land im laufenden Jahr 245 000 Euro und im kommenden Jahr 326 000 Euro.
Die schiere Not treibt Einwohner Brandenburgs – Einheimische wie Geflüchtete – zu den Tafeln. Dort können sie sich für einen geringen Obolus Lebensmittel abholen. Die ohne ehrenamtliches Engagement undenkbaren Tafeln leiden aber selbst unter gestiegenen Benzin- und Energiekosten. Denn sie müssen gespendete Waren abholen und bis zur Ausgabe an die Bedürftigen kühl lagern. Im vergangenen Jahr erhielten die Brandenburger Tafeln nach beständigen Ermahnungen der oppositionellen Linksfraktion endlich kurzfristige Hilfen im Umfang von 200 000 Euro. Im laufenden Jahr stehen 500 000 Euro zur Verfügung.
»Mit der Botschaft ›Solidarisch kommen wir durch die Krise‹ sind wir nach dem ersten Sozialgipfel auseinandergegangen«, erinnert Ministerpräsident Woidke am Donnerstag. »Die Landesregierung hat Wort gehalten und seither die vereinbarten Maßnahmen auf den Weg gebracht.« Woidke fügt hinzu: »Es ist uns gelungen, die Krise abzufedern.«
Eines kann bestätigt werden: Der prophezeite heiße Herbst ist ausgeblieben, wie beispielsweise auch der Verfassungsschutz konstatierte. Die Proteste hielten sich, gemessen an den Teilnehmerzahlen, in Grenzen. Erst einmal etwas beruhigt von den Entlastungsmaßnahmen, hatten Protestkundgebungen weniger Zulauf als erwartet. Die in ihrer Geschichte vielfach schon abgeschriebene AfD erlebte allerdings in den Umfragen der Meinungsforschungsinstitute einen neuerlichen Höhenflug und liegt mit prognostizierten 23 bis 25 Prozent ein Jahr vor der Landtagswahl auf Spitzenpositionen.
»Es ist unsere Verantwortung, den Menschen zur Seite zu stehen und ihnen Sicherheit, Stabilität und Zuversicht zu vermitteln«, sagt Ministerpräsident Woidke. »Mein Dank gilt allen, die sich in der Krise für andere einsetzen und helfen, unsere Demokratie zu stärken und Extremismus und Fremdenhass entgegenzutreten.«
Das Land habe mit dem Brandenburg-Paket eine mutige Entscheidung getroffen, würdigt Hubertus Diemer, Landesvorsitzender der Liga der freien Wohlfahrtspflege. Wichtige Entlastungen seien auf den Weg gebracht worden. Aber: »Es ist zu früh, Bilanz zu ziehen.« Es werde künftig darauf ankommen, für eine gute Umsetzung der Förderrichtlinien zu sorgen.
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