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Wohnungsbau in Berlin: Wenn Investoren zu Genossen werden
Vermieter und zugleich Mieter: Mit diesem Identitätsprinzip haben manche Berliner Genossenschaften nicht mehr viel am Hut
Stephan Dittrich hat große Ziele. Als Teil der jungen Genossenschaft selbstverwalteter Projekte (GSP) will er an der Werlseestraße unweit des Großen Müggelsees bauen. 17 Wohnungen sollen auf einem Garagengrundstück in einem ökologischen Haus entstehen. Wenn alles klappt, sollen hier auch geflüchtete Menschen einmal Platz finden. Es ist ein Wohnungsbauprojekt, wie es gern gesehen wird. Zumindest hätten ihm das auch immer wieder Politiker aus Treptow-Köpenick signalisiert, sagt Dittrich. Erst vergangenes Jahr ist die GSP mit dem ersten Preis im Wettbewerb »Berlins Soziale Unternehmen« ausgezeichnet worden.
Viele Debatten gibt es in Berlin über Wohnungsgenossenschaften. Einerseits bieten sie in den meisten Fällen langfristig günstigen Wohnraum an. Anderseits stehen gerade die alten Genossenschaften oft in der Kritik. Nicht wenige wünschen sich, dass diese einen größeren Beitrag zur Wohnraumversorgung leisten. Doch stehen dem die sogenannten Spardoseneffekte entgegen: Viele der alten Genossenschaften haben demnach vor allem die Interessen ihrer Bestandsmitglieder im Blick.
Mittlerweile sind die Zins- und Baukostensteigerungen so groß, dass sie zu einem genossenschaftlichen Dilemma führen. Wenn die alten Genossenschaften projektbezogen kostendeckend bauen wollen, dann müssten sie im Neubau teils mehr als das doppelte der Bestandsmieten verlangen. Manche Stimmen argumentieren, dass gerade die alten Genossenschaften über Jahre große Vermögen angehäuft haben, die sie für den Neubau einsetzen könnten.
Die am Montag von Bausenator Christian Gaebler (SPD) angekündigte Neuauflage der Wohnungsbauförderung dürfte aber zumindest den jungen Genossenschaften entgegenkommen, die den Willen haben zu bauen. Über eine dritte Schiene sollen nun auch Wohnungen mit Einstiegsmieten von 11,50 Euro je Quadratmeter gefördert werden. »Aus der Sicht unserer Genossenschaft rettet das neue Fördersegment für WBS-220-Wohnungen die Finanzierung des Mehrgenerationenhauses in der Werlseestraße«, sagt Dittrich.
Mit der Förderung sollen nun 30 Prozent der zu bauenden Wohnungen zu 7 Euro je Quadratmeter, 40 Prozent im dritten Fördersegment zu 11,50 Euro und die restlichen frei finanzierten Wohnungen ebenfalls zu diesem Preis vermietet werden. Die Förderrichtlinie der Senatsbauverwaltung, deren Entwurf »nd« vorliegt, sieht vor, dass Bauherren nur teurere Wohnungen gefördert bekommen, wenn sie 30 Prozent Sozialwohnungen im unteren Segment für Mieten ab 7 Euro je Quadratmeter bauen.
Für die GSP ist die Mietpreisgestaltung dennoch eine sportliche Rechnung. Neben der Wohnungsbauförderung bekommen sie Zuschüsse von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für das ökologische Bauen. Auch eine Genossenschaftsförderung des Landes soll die Kapitalkosten reduzieren. Das reicht aber nicht aus, um das Projekt zu stemmen. Einerseits müssen junge Genossenschaften ohne Eigenkapital wie die GSP sehr hohe Genossenschaftseinlagen von den Mitgliedern verlangen, die wiederum für den Einzelnen auch nur durch ein Förderprogramm zu leisten sind.
Die GSP wirbt aber auch um Geld von Menschen, die nicht in der Werlseestraße wohnen werden. »Um angesichts der aktuellen Zinsen und Baukosten sozial, ökologisch und inklusiv bauen zu können, sind wir auf Direktkredite und investierende Mitglieder angewiesen«, sagt Dittrich.
Investierende Genossenschaftsmitglieder gibt es noch nicht allzu lange. Vor 20 Jahren reformierte die Bundesregierung das Genossenschaftsgesetz. Viel Kritik gibt es an so mancher Blüte, die das in der Landschaft seitdem getrieben hat. Kern des Genossenschaftsgedanken ist eigentlich das Identitätsprinzip. Genossen sind gleichzeitig Eigentümer und Nutzer, im Fall von Wohnungsgenossenschaften eben Vermieter und Mieter. Mit investierenden Mitgliedern kann auch die Absicht einhergehen, Gewinn zu erzielen. Denn wenn man selbst nicht Mieter ist, hat man vielleicht auch kein Interesse an einer günstigen Miete.
Günter Piening ist Teil der Initiative Genossenschafter*innen, einem jungen Zusammenschluss, der sich für einen aktiven Beitrag der Genossenschaften zur Wohnraumversorgung und für »innergenossenschaftliche Demokratie« einsetzt. Er schaut sich immer wieder die Satzungen von Genossenschaften an, die mit dem Identitätsprinzip nicht mehr so viel zu tun haben. Dass die GSP nach investierenden Mitgliedern sucht, um das Projekt umsetzen zu können, sei an sich nicht problematisch. »Wesentlich ist, dass die Wohnenden die ordentlichen Mitglieder sind und über das Stimmrecht verfügen«, sagt er.
Damit auch wirklich die Wohnenden bestimmen und nicht das mögliche Gewinninteresse der Investoren, schließen manche Genossenschaften investierende Mitglieder vom Stimmrecht aus. »Das wäre ein Weg, der Missbrauch verhindert«, sagt Piening.
Die GSP schließt sie nicht ganz aus. Sie hat aber bewusst Vorkehrungen getroffen. Auf der Generalversammlung werden die Stimmen der investierenden Mitglieder gewichtet, sie dürften höchstens ein Viertel aller ausmachen, damit die Genossenschaft nicht durch Externe »übernommen« werden kann. Alles, was das Haus betrifft, machen die Bewohner ohnehin auf einem Hausplenum unter sich und ohne investierende Mitglieder aus, erklärt Dittrich.
Durch die Änderung des Genossenschaftsgesetzes sind auch nichtklassische Genossenschaften möglich geworden. Ein oft angeführtes Beispiel ist die junge Berliner Genossenschaft Begeno 16. Hier gibt es einerseits ordentliche Mitglieder. Die Mieter sind allerdings investierende Mitglieder, die laut Satzung kein Stimmrecht haben. Die Genossenschaft begründet das mit den »Spardoseneffekten«. Klassische Wohnungsgenossenschaften arbeiteten nur im Auftrag der Mitglieder, der Neubau spiele deshalb nur eine geringe Rolle. Die Begeno 16 will aber vor allem bauen, etwa im künftigen Quartier Neues Gartenfeld in Spandau 400 Wohnungen.
In Spandau soll es Anfang kommenden Jahres auch mit dem Bauprojekt einer Genossenschaft losgehen, die sich ebenfalls von den klassischen unterscheidet. Job und Wohnen heißt sie. Mitglied der Genossenschaft sind hier nicht die Mieter selbst, sondern Unternehmen. Durch ihre Mitgliedschaft bekommen sie Belegungsrechte für die Wohnungen und können diese dann an ihre Beschäftigten vermieten. Der Grund dafür, dass sie die Rechtsform Genossenschaft gewählt haben, sei auch der Schutz der Wohnungen gewesen, sagt Peter Diedrich, Gründer der Genossenschaft. »Eine Werkswohnung im Unternehmensbesitz kann verkauft werden. Wenn bei uns ein Unternehmen als Mitglied die Genossenschaft verlässt, entfällt auch das Belegungsrecht für die Wohnungen.«
Ob Begeno 16 oder Job und Wohnen – beide verstehen sich als soziale Projekte, wollen ihren Beitrag leisten angesichts der Wohnungsnot. Beide stehen aber auch in der Kritik. So fragt sich Ingeborg Esser, Hauptgeschäftsführerin des Branchenverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW, daran, ob diese Modelle noch so viel mit dem Genossenschaftsgedanken zu tun haben.
Selbstdarstellung und öffentliche Meinung gehen auch bei dem in Berlin derzeit umstrittensten Genossenschaftsprojekt weit auseinander. Mit »Liebe Genossinnen und Genossen«, begrüßt Tobias Nöfer am Mittwochabend die Gäste einer Veranstaltung des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin-Brandenburg (AIV). Nach eigenen Angaben beschäftigt sich der AIV seit Sommer 2022 mit dem Gedanken, eine Bau-Genossenschaft zu initiieren.
Die neue schwarz-rote Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag verabredet, landeseigene Grundstücke zwar weiterhin grundsätzlich nicht zu verkaufen, »im Einzelfall« aber bei gemeinnützigen Genossenschaften davon eine Ausnahme zu machen. Der Senat erarbeitet zurzeit eine »genaue Definition« und »Kriterien zur Eingrenzung der Zielgruppe«.
Ein Bericht im »Tagesspiegel«, wonach Nöfer angeblich gesagt hat, dass der AIV auf die Koalitionsverhandlungen Einfluss genommen habe und sich aufgrund der AIV-Kontakte gute Chancen auf die Grundstücke ausrechne, sorgte für einen Eklat im Abgeordnetenhaus. Der AIV geht rechtlich gegen die Berichterstattung vor. »Diese Sätze hat der AIV-Vorsitzende nicht gesagt«, teilt der Verein mit.
Die Berichterstattung hätte den AIV in höchstem Maße irritiert, sagt Nöfer am Mittwochabend. »Sie zeigt uns, wie hitzig die Stimmung in der Stadt ist und dass gute Ideen im Keim erstickt werden«, so der AIV-Vorsitzende. Über die Details der »guten Idee« des AIV wurde die Öffentlichkeit am Mittwoch aber auch nicht schlauer. Bekannt ist, dass gemäß eines ersten Entwurfs zur Gründung der Bau-Genossenschaft der AIV eines von mehreren Genossenschaftsmitgliedern wäre. Nöfer stellte Überlegungen an, wonach eine von Architekten und Ingenieuren geführte Genossenschaft durch das Einbringen eigener planerischer Leistungen günstiger bauen könnte.
Nach eigenen Aussagen geht es dem AIV um eine »Bau-Genossenschaft, deren Ziel es ist, bezahlbare Wohnungen zu schaffen«. Doch was ist überhaupt bezahlbar? Volkswirtschafts-Professor Wolfgang Maennig nahm sich am Mittwoch auf Einladung des AIV dieser Frage an. Die oft genannten 6,50 Euro pro Quadratmeter hält er für »eher hinderlich« in der Debatte. Sein Dreischritt folgte zugleich: 39 Stunden Wochenarbeitszeit zum Mindestlohn ergibt einen Nettoverdienst von etwas über 1400 Euro. Sagt man, die Mietkostenbelastung solle ein Drittel des Lohns nicht übersteigen, und nimmt man den durchschnittlichen Wohnflächenverbrauch pro Kopf, so kommt Maennig auf die Miete, die er für wirklich »bezahlbar« hält: 13,57 Euro sind das pro Quadratmeter, wie er beim AIV erklärt.
An Menschen in Teilzeit, Studenten, Rentner, Erwerbslose oder eine Vergangenheit, in der die Mieten nicht ein Drittel des Einkommens gefressen haben, scheint Maennig an diesem Abend nicht zu denken.
Anders Stephan Dittrich in Köpenick. Er betont noch einmal, wie wichtig das dritte Fördersegment für den Wohnungsbau der GSP ist. Ohne dieses hätte man für die frei finanzierten Wohnungen 14,50 Euro je Quadratmeter verlangen müssen. »Das wäre aus unserer Sicht dann kein bezahlbarer Wohnraum mehr«, sagt er.
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