Ein Hitzeschild für Brandenburg

Das Bundesland zählte 2022 etwa doppelt so viele Hitze- wie Verkehrstote. Ein Netzwerk Hitzeschutz hat sich gegründet

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.

Minister können sich nicht nur irren, Minister können sich auch einmal verirren. Auf der Suche nach dem Potsdamer Friedenssaal, in dem am Freitag das »Zentrale Netzwerk Hitzeschutz« gegründet wurde, war Umweltministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) gemeinsam mit ebenfalls irregeleiteten Journalisten zunächst bei der Evangelischen Kirche in der Schopenhauerstraße gestrandet. Doch fand die Gründung dieses neuen Netzwerkes in einem anderen Friedenssaal, nämlich in dem der Lindenstraße statt. »Wir haben den Intelligenztest bestanden«, leitete Nonnemacher ihr Grußwort ein.

»Das Wetter passt zu unserem Thema«, schien sich Fritz Reusswig von der einladenden Gesellschaft für sozioökonomische Forschung zu freuen. Was früher einmal »schönes Wetter« genannt wurde, nahm in den vergangenen Jahren jedoch eine bedrohliche Dimension an. Hitze und Trockenheit benötigen Reusswig zufolge eine umfassende Abwehrstrategie. Aus diesem Grund seien Institutionen, Ämter, Politiker und Wissenschaftler an diesem sonnigen Vormittag im noch winterkühlen Friedenssaal zusammengekommen. Angesichts zunehmender Opferzahlen werde die Frage nach Schutzmaßnahmen gebieterischer.

Im vergangenen Jahr hatte das Bundesland 219 Hitzetote zu beklagen – und 112 Tote im Straßenverkehr. Das heißt, es sterben inzwischen annähernd doppelt so viele Menschen an der Hitze wie im Verkehr, rechnete Ministerin Nonnemacher vor. Sie sprach von einer klimabedingten Übersterblichkeit, von »hitzebedingten Exzess-Sterbefällen«. Als gute Nachricht konnte sie verkünden, dass der großflächige Waldbrand bei Jüterbog »einigermaßen eingedämmt« werden konnte. Das betreffe aber nicht das Thema Hitze und Gluthitze insgesamt. Gegenüber der Vergangenheit habe sich die Zahl der überheißen Tage mit mehr als 30 Grad Celsius verdoppelt. Und alles sehe danach aus, »dass es in Zukunft nicht besser wird, sondern eher schlimmer kommt«. Als Hitzerekord wurde in Brandenburg die 40-Grad-Marke erreicht. Ab 2050 könne noch einmal mit einer Verdreifachung der Hitzetage gerechnet werden. Eine Folge seien mehr Waldbrände, was wiederum zu mehr Feinstaub, Naturzerstörung und Ressourcenverringerung führe.

Am meisten davon gefährdet seien ältere Menschen, fuhr die Ministerin fort. Maßnahmen seien aber auch für Kitas, Schulen und Krankenhäuser gefordert. Zu schaffen mache das Problem körperlich im Freien arbeitenden Menschen und beispielsweise Feuerwehrleuten, die ihre Arbeit in schwerer Montur verrichten müssen. Nonnemacher begrüßte die Gründung des Netzwerks, denn »als Ministerium sind wir nicht in der Lage, alle erforderlichen Maßnahmen anzuordnen oder finanziell zu fördern«.

Vor 20 Jahren wurde das Evangelische Krankenhaus in Luckau neu gebaut. Was damals modernsten Anforderungen genügte, entspricht der heutigen klimatischen Situation nicht mehr. Temperaturen von bis zu 38 Grad in Patientenzimmern und ein Plexiglasdach über dem Atrium, das für den Innenhof wie ein Hitzebeschleuniger wirkt, zwingen zu Umbauten. Man kann dieses Dach mit wärmeabweisender Beschichtung bedecken, Fenster mit Sonnenschutzverglasung ausstatten. Doch an einer aktiven Kühlung respektive einer Klimaanlage werde man perspektivisch nicht vorbeikommen. Das werde ein »Heidengeld« kosten, zeigen sich die Verantwortlichen überzeugt. Hier wird auf Fördergeld vom Land gehofft.

Auch der Tourismus, ein wichtiger Wirtschaftszweig in Brandenburg mit fast 100 000 Beschäftigten, kann dem Thema Schutz vor Hitze nicht mehr ausweichen. Denn auch diese Branche wird dadurch belastet. Städtereisen im Hochsommer werden bei wachsender Hitze unattraktiver, sagte Anja Noffz von der Tourismus Marketing GmbH. Beeinträchtigt werde der Gesundheitstourismus, wenn Titel wie »Kurort« oder »Erholungsort« hitzebedingt nicht mehr vergeben oder verteidigt werden könnten. Viele Berliner Tagesausflügler suchen in Brandenburg die schöne Landschaft und das »Draußen«, aber dieses »Draußen« verändere sich. Die Natur ist für den Tourismus die wichtigste Ressource, ihr Schutz müsse ein Hauptziel bleiben. Zu den Hitze-Handlungsplänen, die alle Chefs von Hotels und Gaststätten aufstellen sollten, gehöre auch, wie man das Personal schützt, beispielsweise mit geeigneter Kleidung.

Über einen detaillierten Hitzeaktionsplan verfügt Brandenburg seit September 2022. Reusswig kündigte eine Fortsetzung des Netzwerktreffens an. Man wolle zusammentragen, was sich als Lösung bewährte, und es für die Nachnutzung erschließen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.