- Kultur
- Wes Andersons »Asteroid City«
Wes Andersons »Asteroid City«: Das Geheimnis der Tupperdose
Wes Anderson schafft mit »Asteroid City« einen merkwürdig genialen Film über die Absurdität des Lebens
Wie real ist die Welt, in der wir leben? Die Frage war für Wes Anderson nie abwegig, schließlich hat der 1969 in Houston, Texas, geborene Regisseur nach der Schule in Austin Philosophie studiert, wo er auch Owen Wilson traf, mit dem er später oft zusammenarbeitete.
Eine Kindheit und Jugend in Texas, dem Land der Wüste, der Kirchen und Gefängnisse (samt massenhafter Exekutionen), dazu nie aufhörende philosophische Fragen – wohin führt das? Bei Anderson zu einem extrem exzentrischen Blick auf seine Umgebung, deren Künstlichkeit er immer weiter ins Extrem treibt. Bis hin zu seinem nun elften Spielfilm »Asteroid City«, der etwas von Godards »Bildbuch« auf Texanisch hat, also eigentlich ein nicht nacherzählbarer Strom von Bildern ist. Aber nicht zufällig, keinesfalls weg von der Realität, sondern ihrem immer absurder werdenden Zustand dicht auf der Spur.
Bereits mit seinem ersten Film »Rushmore« von 1998 wurde schlagartig klar, dieser Regisseur ist anders als alle anderen. Da ging es um Max Fischer, gespielt vom jungen Jason Schwartzman, auf der Elite-Schule Rushmore. Ein so schlechter Schüler, wie er in keinem Buche steht. Er weiß eigentlich nie etwas Genaues, aber damit erzielt er immer große Aufmerksamkeit. Ein Hochstapler, altertümlich formuliert, ein begnadeter Selbstperformer, zeitgeistig gesprochen. Ein Aktivist in eigener Sache – und das lange vor den Social-Media-Verstärkern von heute. Max Fischer, Präsident des Bienenzüchtervereins von Rushmore und Streiter für den Erhalt von Latein als Schulfach (er selbst versteht selbstverständlich kein Wort Latein), gründet ständig neue Clubs, denen er dann vorsteht. Bis er wegen gänzlich ungenügender schulischer Leistungen dann doch von der Schule fliegt.
Schadet nichts, er hat ja mehr als genug damit zu tun, öffentlich präsent zu bleiben: der Mittelpunkt des Universums ist er selbst. Vor einem Vierteljahrhundert war das noch die Ausnahme. Heute ist es der Regelfall. Ich weiß nichts, aber das stört niemanden, weil die anderen schließlich auch nichts wissen!
Willkommen in Wes Andersons Welt, die sich mit einer Unzahl von bizarren Episoden gegen die aufsteigende Melancholie wappnet. In »Rushmore« gab es das dem Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau zugeschriebene Zitat: »Wenn jemand ein außergewöhnliches Leben führen kann, hat er kein Recht, alle anderen nicht daran teilhaben zu lassen.« Diesem Prinzip folgen alle weiteren Filme Wes Andersons, explizit »Tiefseetaucher« (2004), wo es um Cousteau alias Steve Zissou geht. Dies war ein Film wie ein Blick ins Aquarium mit lauter seltsam schillernden Fischen: unter ihnen der in allen Medien präsente Forscher als schillerndster Fisch überhaupt.
Dann kam »Grand Budapest Hotel« (2014 gedreht in einem alten Kaufhaus in Görlitz) als Blick in die untergegangene Welt der k.u.k. Monarchie. Ein das Morbide feierndes Kunstwerk, das man sich gern an die Wand gehängt hätte. Oder der Animationsfilm »Isle of Dogs« von 2018, der zum Teil in Potsdam Babelsberg entstand und eine Welt zeigt, in der alle Hunde (auf Geheiß der herrschenden Katzen natürlich) deportiert werden. Aber vielleicht naht Rettung in Gestalt eines kleinen Jungen?
Um dieses »Vielleicht« mit einem dicken Fragezeichen versehen, kreist nun auch sein neuester Film »Asteroid City«. Halb Tableau, halb Collage hat er etwas von einem unabgeschlossenen modernen Gemälde, an dem der Maler beharrlich weiterarbeitet, während es doch schon ausgestellt ist und sich das Publikum herandrängt.
Da Wes Anderson ebenso treu wie scheu ist, arbeitet er gern mit immer den gleichen Menschen vor und hinter der Kamera. So sehen wir auch hier Jason Schwartzman, den eloquenten Blender aus »Rushmore«, gealtert als verwitweten Kriegsfotografen Augie Steenbeck mit seinen vier Kindern nach Asteroid City fahren. Er wartet auf eine Gelegenheit, ihnen zu sagen, dass ihre Mutter bereits seit drei Wochen tot ist und sich ihre Asche in der mitgeführten Tupperdose befindet. Aber erst einmal nimmt sie Asteroid City buchstäblich gefangen.
Asteroid City klingt eher nach einer unguten Zustandsbeschreibung als einer Ortschaft, selbst wenn diese in Texas in der Wüste liegt (ein Teil der Herstellung des Films mit seinen zahlreichen Metaebenen samt einem Moderator für die Schwarz-Weiß-Sequenzen, erfolgte wiederum in Babelsberg). Gedreht wurde auch in Spanien, wo es schließlich so etwas wie preiswerte Wüste gibt, wenn auch nicht ganz echt. Aber was ist hier schon anderes echt als die Behauptung der Echtheit! So blicken wir auf ein pittoreskes 50er-Jahre-Kleinstadtinterieur mitsamt Wüstenautobahn und in endloser Weise verschwindenden Bahngleisen, auf denen Güterzüge alles transportieren, was zum Leben und Sterben notwendig ist, von Pekannüssen bis Atomsprengköpfen.
Asteroid City hat genau 87 Einwohner und eine Bar mit zwölf Hockern samt einem Verkaufsautomaten. Das Besondere an dieser zur Schau gestellten amerikanischen Provinztristesse ist jedoch ein riesiger Krater, der nicht von einem der hier stattfindenden Atombomben-Versuche stammt, sondern von einem vor 3000 Jahren eingeschlagenen Meteoriten, den man besichtigen kann. Einmal im Jahr kommen weltraumbegeisterte Kinder und Jugendliche hierher, um ihre neuesten Forschungserkenntnisse zu präsentieren. Und sie tun das noch verbissener als die ebenfalls anwesenden Altforscher.
Soweit scheint die Szenerie übersichtlich. Wüstenödnis außen und verwüstete Menschen innen, die sich in den genormten Bungalows von Asteroid City einquartieren. Wes Anderson folgt dabei einem alten Erfolgsrezept Hollywoods seit »Menschen im Hotel« von 1932, wo von Greta Garbo bis Joan Crawford alle Filmstars mitspielten, deren Regisseur Edmund Goulding habhaft werden konnte. Das funktioniert sogar bei anspruchsvollen und unübersichtlichen Sujets.
So auch hier: Von Tom Hanks über Scarlett Johansson bis zu Tilda Swinton, Jeff Goldblum und Willem Dafoe spielt alles mit, was im Filmgeschäft einen Namen hat. Bill Murray, der sonst immer dabei ist, musste allerdings wegen Corona absagen. Daran erkennt man, was für einen Status Anderson inzwischen erlangt hat: Alle wollen dabei sein, obwohl, da sind wir wieder bei der Hochstapelei von »Rushmore«, der Regisseur sie überhaupt nicht bezahlen kann. Also spielen sie für die Mindest-Wochengage für amerikanische Filmschauspieler, die bei 4000 Dollar liegt.
Das Ergebnis ist eindeutig Kunst. Also alles etwas schwer verständlich, ein Metadiskurs zeugt immer den nächsten Film im Film, bis wirklich niemand mehr durchblickt. Aber zweifellos unverwechselbar das Ganze. Höhepunkt ist dabei die Ankunft eines Raumschiffes in Asteroid City, bei der ein glanzvoll in Szene gesetzter Alien aussteigt und den Meteoriten an sich nimmt (ihn stiehlt), nicht ohne ihn dabei in routinierter Pose vor die anwesenden Kameraobjektive gehalten zu haben. Das führt zur sofortigen Ausrufung des Ausnahmezustandes über Asteroid City, das vom Militär von der Außenwelt abgeschnitten wird. Quarantäne heißt das böse Wort, das jetzt über allem schwebt.
Anderson malt in freundlichen Pastelltönen an einer düsteren Anti-Utopie, die es in sich hat. Es wird also noch eine Weile dauern, bis Kriegsfotograf Augie Steenbeck mit seinen vier inzwischen ins Geheimnis der mitgeführten Tupperdose eingeweihten Kindern zur Beerdigung seiner Frau schreiten kann. Das alles vor der hier wie unbeteiligt, geradezu desinteressiert das Geschehen dokumentierenden Kamera von Robert D. Yeoman.
»Asteroid City« ist ein Film, der auf höchst artifizielle Weise ungute Gefühle zu schöpfen vermag, die viel mit dem explosiven Zustand der Welt von heute zu tun haben.
»Asteroid City«: USA 2023, Regie: Wes Anderson. Mit: Scarlett Johansson, Jason Schwartzman, Bryan Cranston, Adrien Brody, Tom Hanks, Tilda Swinton. 106 Minuten. Start: 15.6.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.