UN-Flüchtlingshilfswerk: Millionen weltweit auf der Flucht

UNHCR schlägt Alarm und fordert Maßnahmen gegen die Fluchtursachen

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.

Kein Tag vergeht, ohne dass Menschen auf ihrer Flucht vor Krieg, Elend oder Vertreibung ums Leben kommen. Bei einem schweren Bootsunglück vor der griechischen Küste am Mittwoch kamen nach Angaben der Küstenwache mindestens 78 Migranten ums Leben. 104 Menschen wurden bislang gerettet. Die Behörden fürchten jedoch, dass die Zahl der Toten höher sein könnte. Überlebende sagten, dass das Schiff vom libyschen Tobruk aus in See gestochen und auf dem Weg nach Italien gewesen sei. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) erklärte im Online-Dienst Twitter, nach ersten Berichten könnten sich »bis zu 400 Menschen« an Bord befunden haben; andere Quellen sprechen sogar von 750.

Unter dem Titel »Global Trends« fasst der jüngste Bericht des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR die neuesten Zahlen über Vertreibung und Flucht auf der ganzen Welt zusammen. Zum Stand Ende 2022 mussten weltweit fast 110 Millionen Menschen fliehen oder wurden gewaltsam vertrieben. Drei Länder allein stellen die Hälfte der Schutzsuchenden, die Anrecht auf internationalen Schutz haben: Syrien, die Ukraine und Afghanistan. Der interne bewaffnete Konflikt im Sudan zwischen Truppen des De-facto-Präsidenten und von dessen bisherigem Stellvertreter hat die Zahl der Schutzsuchenden dieses Jahr weiter in die Höhe getrieben. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, zieht daraus eine logische Schlussfolgerung: »Diese Zahlen zeigen uns, dass manche Menschen viel zu schnell in einen Konflikt stürzen und viel zu langsam sind, um Lösungen zu finden. Die Folge sind Verwüstung, Vertreibung und Qualen für Millionen von Menschen, die gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben wurden.« Das UNHCR verlangt, Fluchtursachen besser zu bekämpfen.

Grandi äußerte die Befürchtung, dass sich die aktuelle Krise im Sudan ausweiten könnte. Noch seien Hunderttausende Geflohene in Nachbarländern untergekommen, aber der Osten des Landes sei als Terrain von Menschenschmugglern bekannt. Wenn Recht und Ordnung im Sudan nicht bald wieder hergestellt würden, könnten diese Schmuggler Sudanesen auf die Fluchtrouten »nach Libyen und weiter« bringen, sagte Grandi. Seit dem Beginn der Gewalt sind laut UN mittlerweile fast 1,9 Millionen Menschen geflohen.

Im Jahr 2022 war der Ukraine-Krieg die Hauptursache für Massenflucht: Die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine stieg bis Ende 2021 auf 5,7 Millionen Menschen – die schnellste Abwanderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Schätzungen für die Zahl der Geflüchteten aus Afghanistan lagen Ende 2022 deutlich höher, da die Schätzungen für die im Iran lebenden Afghanen nach oben revidiert wurden. Die meisten Flüchtlinge und Schutzbedürftigen leben in der Türkei (3,6 Millionen), gefolgt vom Iran und Kolumbien. Dahinter lag Deutschland (2,1 Millionen).

Flucht ist auch immer mit Gefahren für das eigene Leben verbunden. Im vergangenen Jahr starben den Vereinten Nationen zufolge so viele Menschen auf Fluchtwegen aus dem Nahen Osten und Nordafrika sowie innerhalb dieser Regionen wie seit 2017 nicht mehr. Wie die Internationale Organisation für Migration (IOM) in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht schrieb, kamen in der Region im Zeitraum von Januar bis Dezember 2022 knapp 3800 Migranten ums Leben. Die tatsächliche Zahl der Todesfälle liegt wahrscheinlich weit darüber. Es mangele jedoch an offiziellen Daten, hieß es. Noch mehr Tote gab es zuletzt nur 2017, als in der Region demnach 4255 Menschen starben.

Die tödlichste Route für Migranten ist der Weg über das Mittelmeer: Dort starben der IOM zufolge 2022 knapp 2400 Menschen auf der Flucht, ebenfalls so viele wie seit 2017 nicht mehr. Die meisten Todesfälle auf Landwegen in der Region ereigneten sich demnach im vergangenen Jahr im Bürgerkriegsland Jemen. Dort kamen dem Bericht zufolge knapp 800 Menschen auf Migrationsrouten ums Leben.

Die Europäische Union versucht unterdessen, sich noch stärker gegen Schutzbedürftige abzuschotten. Erst am Sonntag hatte die EU-Kommission Tunesien Finanzhilfen in Höhe bis zu 900 Millionen Euro in Aussicht gestellt, damit die Regierung in Tunis gegen Schleuser vorgeht und Migranten an der Überfahrt über das Mittelmeer hindert.

In den Aufnahmeländern werden Geflüchtete und Schutzsuchende regelmäßig zum Politikum und Objekt innenpolitischer Auseinandersetzungen. In der Türkei versuchten sich die beiden Präsidentschaftskandidaten Recep Tayyip Erdoğan und Kemal Kılıçdaroğlu darin zu überbieten, wer die syrischen Geflüchteten schneller nach Syrien abschiebt; Syrer wurden im Wahlkampf auch als potenzielle Verbrecher gebrandmarkt. Nicht viel anders ist die Lage im Libanon. Dort leben rund 1,6 Millionen syrische GefIüchtete mit sieben Millionen Libanesen, die unter einer schweren Wirtschaftskrise leiden. Verantwortungslose Politiker haben Unternehmen schon dazu aufgerufen, nur noch Libanesen einzustellen. Mit Agenturen

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