Die Linke: Sozial am Limit

Linksfraktionschef Sebastian Walter bei Kneipentour in Kleinmachnow

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Sebastian Walter steht und redet in den Neuen Kammerspielen.
Sebastian Walter steht und redet in den Neuen Kammerspielen.

In den Neuen Kammerspielen von Kleinmachnow (Potsdam-Mittelmark) steht am Donnerstagabend um 18 Uhr der Dokumentarfilm »Kilimandscharo – diesmal mit Krücken« auf dem Programm. Er handelt von dem Bergsteiger Thomas Lämmle, der nach einem Unfall mit einem Gleitschirm auf Gehhilfen angewiesen ist, sich aber nicht davon abhalten lassen will, noch einmal in Tansania den Kilimandscharo, den mit 5895 Metern höchsten Berg Afrikas zu besteigen.

Am Mittwochabend um die gleiche Zeit steht der Kinosaal 2 der Kammerspiele leer und auch der große Saal daneben ist verwaist. Aber im Foyer setzen sich knapp drei Dutzend Menschen aus Kleinmachnow und Umgebung an die Tische, die zu einer langen Tafel zusammengeschoben sind. Kellner servieren Bier und Limonade, Chili con Carne und andere Speisen. Die Rechnung bezahlt Brandenburgs Linksfraktion, die im Rahmen ihrer Kneipentour eingeladen hat. Das Thema des Beisammenseins: »Hilfe, alles ist teuer! Wie wir dein Leben bezahlbar machen!«

Viele seien wegen ihrer hohen Mieten schon am Limit gewesen, bevor im vergangenen Jahr auch noch die Energie- und Lebensmittelpreise empfindlich anzogen. 60 Prozent der Bevölkerung müssen mittlerweile ihr komplettes Einkommen für die Lebenshaltungskosten aufwenden und können nichts mehr zurücklegen. »Wer keine Ersparnisse hat, dem droht ein Abrutschen in die Armut. Die Mittelschicht in Deutschland bröckelt. Und wer vorher schon arm war, den trifft die Krise ganz besonders.« So beschreibt die Linksfraktion die Lage.

Die Gäste sind eingeladen, darüber mitzudiskutieren. Es meldet sich auch der eine oder andere mit Ideen zu Wort. Das Problem ist, es geht dem Fraktionsvorsitzenden Sebastian Walter ein bisschen wie dem Bergsteiger Thomas Lämmle. Walter ist zwar nicht gehbehindert. Aber als Oppositionspolitiker hat er ein Handicap: Er hat nicht die Macht, seine Vorstellungen auch nur ansatzweise durchzusetzen. Und im Moment sieht es nicht danach aus, als würde er nach der nächsten Landtagswahl am 22. September 2024 mehr Einflussmöglichkeiten gewinnen. Denn Walters Partei steckt bundesweit in einer Krise und steht offenbar vor einer Spaltung.

Mit 15 bis 20 Prozent beziffern die Meinungsforschungsinstitute das Wählerpotenzial der Linkspartei. Das bedeutet: Ein so großer Anteil der Bevölkerung könnte sich theoretisch vorstellen, die Sozialisten anzukreuzen. Gefragt, wer es tatsächlich auch praktisch machen würde, ergeben die Umfragen ein anderes Bild. Da krebst die Partei bei vier Prozent herum. Warum das so ist, hätte der Kreistagsabgeordnete Klaus-Jürgen Warnick (Linke) in Kleinmachnow gerne von Sebastian Walter gewusst. »Gute Frage«, reagiert der. Dazu könne man sicherlich 20 verschiedene Meinungen hören. Er habe die Patentlösung auch nicht.

»Die Streitereien müssten aufhören«, sagt eine Frau. Aber das sagt sich so leicht. Lange äußerte sich Walter nie öffentlich zu den Auseinandersetzungen mit der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht. Nun erklärt er in Kleinmachnow, ohne ihren Namen auszusprechen, abwinkend und genervt: »Wenn eine Genossin fünf Jahre lang erzählt, dass ihre Partei doof sei und nun eine eigene Partei gründen will, dann sage ich: Soll sie doch!«

Schnell kommt die Sprache auf den Krieg in der Ukraine. Schließlich könnten Frieden und Abrüstung Mittel frei machen, um arme Menschen zu unterstützen. Ein alter Mann erinnert sich erschüttert: »Ich habe am letzten Weltkrieg teilgenommen als ganz junger Bursche.«

»Wir sind keine Putin-Freunde, Putin-Knechte oder als was wir sonst noch beschimpft werden«, versichert Linksfraktionschef Walter. »Die Militarisierung der Gesellschaft schreitet voran – und da bin ich dagegen.« Er wolle einen Waffenstillstand. Er wolle nicht, dass Russland gewinne. Und: »Ich war schon kriegsmüde, bevor dieser Krieg begonnen hat.«

Ansonsten geht es an diesem Abend beispielsweise um eine sozial gerechte Staffelung der Müllgebühren und die Jahresgehälter von Sparkassendirektoren, die 1,5 bis 2 Millionen Euro kassieren und Filialen schließen wollen. Außerdem um den Mangel an Kitas und Schulen im Berliner Umland. Als 16-Jähriger hat Walter 2006 mal eine Schule besetzt, um ihren Abriss zu verhindern. Er hatte damit keinen Erfolg. Jetzt solle an genau dieser Stelle nächstes Jahr eine neue Schule gebaut werden. Übrigens: Laut Walter stellt das Land Brandenburg den Kommunen jährlich 56 Millionen Euro Fördermittel für den Bau von Kitas und Schulen zur Verfügung. Im vergangenen Jahr seien aber 700 Millionen Euro beantragt worden.

Walter berichtet auch von anderen Absurditäten, etwa von einer ukrainischen Ärztin, deren Abschluss in Berlin anerkannt wurde. Dann habe die Frau sich einfallen lassen, zwei S-Bahn-Stationen weiter nach Bernau zu ziehen – und in Brandenburg sollte das Verfahren zur Berufsanerkennung von neuem beginnen.

Die nächsten Stationen der Kneipentour sind Forst (29. Juni), Templin (5. Juli) und Oranienburg (12. Juli).

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