Andreas Babler: Vorbild Österreich

Natascha Strobl über die Wahl von Andreas Babler zum SPÖ-Chef

  • Natascha Strobl
  • Lesedauer: 4 Min.

Ich kann kaum glauben, dass ich diese Worte schreibe, aber in Österreich hat man vielleicht das Antidot gegen die extreme Rechte auf parlamentarischer Ebene gefunden. Es manifestiert sich in der Gestalt eines Provinz-Bürgermeisters und geht doch weit über ihn hinaus.

Österreich, immer, wenn du kurz nicht hinschaust, passiert etwas völlig Haarsträubendes. Wir, die wir hier leben, haben uns schon daran gewöhnt. Ibiza, Austro-Orbans, Hausdurchsuchungen, Rücktritte, Putin-Besuche – die zu erzählenden Geschichten sind zahlreich. Und doch hat die Wahl des neuen SPÖ-Vorsitzenden noch einmal eine eigene Qualität. Sie steht, im Gegensatz zu allen anderen aufgezählten Begebenheiten, nicht in Verdacht, Demokratie und Rechtsstaat als solche zu erodieren und kann deswegen mit einem Tick mehr Leichtigkeit erzählt werden. Auch wenn fast alles schief gegangen ist.

Kurze Rückblende: Die SPÖ ist recht unverhofft in einen Demokratisierungsprozess gerutscht, mit dem sie sich auf jedem Meter extrem schwer getan hat. Der Schlusspunkt war, dass die Delegierten des Parteitags über den neuen Vorsitzenden bestimmen. Zur Wahl standen der Landeshauptmann des Burgenlandes Hans-Peter Doskozil und der Bürgermeister des Industriestädtchens Traiskirchen, Andreas Babler. Sie standen aber auch für unterschiedliche Zugänge zur Sozialdemokratie. Während Doskozil einen konservativ-sozialdemokratischen Weg mit Dänemark als Vorbild präferierte, stand Babler für eine linke Mitmach-Sozialdemokratie. Sein erklärtes Vorbild ist die US-amerikanische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. Babler hielt am Parteitag eine fulminante Rede – und verlor. Zumindest für zwei Tage. Dann kam die Wahlkommission nämlich drauf, dass die Stimmen vertauscht wurden. Ich erspare uns an dieser Stelle die Details, aber es wurde nochmal ausgezählt und tatsächlich: Babler ist der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Österreichs.

Damit hat die SPÖ zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder die Möglichkeit, offensiv gegen die extreme Rechte zu punkten. In den vergangenen Jahren ist man eher vor Schreck erstarrt oder hat versucht, Rechtsextremismus weg zu moralisieren. Das ist keine nachhaltige Strategie.

Mit Babler besteht nun Hoffnung. Dazu muss gesagt werden, dass es hier gar nicht um Babler allein geht, so verdient er ist. Es geht vor allem um das Neu- und Andersdenken von Politik. Im Vorwahlkampf hat sich rund um Babler eine Bewegung gegründet, die extrem motiviert ist und in Eigenregie Veranstaltungen auf die Beine stellt. Es ist, als wäre ein Ruck durch die alte Dame SPÖ gegangen. Das zeigen auch die mittlerweile 11 000 Neueintritte, davon 1000 seit klar ist, dass Babler Parteichef ist. Für eine Partei mit zuvor 150 000 Mitgliedern gar nicht schlecht.

Es ist aber natürlich auch die Glaubwürdigkeit Bablers selbst, der als Bürgermeister in seiner Stadt das größte Erstaufnahmezentrum für Flüchtlinge der Republik stehen hat. Man kann ihm also nicht nachsagen, das Thema Flucht und Asyl zu ignorieren. Er hat sich nur für einen bewusst humanistischen und solidarischen Weg entschieden und in keiner Sekunde den Kulturkampf mitgemacht.

Das ist die eine Stärke. Die andere Stärke liegt darin konsequent die Themen vorzugeben und die anderen Parteien auf das eigene Spielfeld zu ziehen, statt immer nur am Kulturkampf-Spielfeld der Rechten mitmachen zu wollen. Arbeitszeitverkürzung, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Recht auf Arzttermine - Babler und sein Team haben eine ganze Palette vorgelegt. Und sie werden diskutiert. Es sind erstaunliche Zeiten, wenn in Österreich über Wochen nicht irgendein „Ausländer“-Thema die Schlagzeilen bestimmt, sondern die Vertreter des Kapitals in hellster Panik erklären müssen warum eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit nicht möglich ist. Aber auch die extreme Rechte entstellt sich zur Kenntlichkeit, etwa, wenn sie bei Diskussionssendungen erklären müssen warum sie gegen eine Vermögenssteuer sind, obwohl in Österreich Vermögen mit am niedrigsten in der ganzen EU besteuert sind.

Natascha Strobl

Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin und Autorin aus Wien. Auf Twitter schreibt sie Ad Hoc-Analysen zu rechtsextremer Sprache und faschistischen Ideologien, für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Rechte Umtriebe«. Darin widmet sie sich der Neuen und Alten Rechten und allem, was sich rechts der sogenannten Mitte rumtreibt. Alle Texte auf dasnd.de/umtriebe.

Wenn diese Strategie durchhaltbar ist, dann ist sie Vorbild für ganz Europa und all die anderen Länder, die Angst habe näher an Ungarn, als an einer funktionierenden Demokratie zu sein.

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