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  • DDR-Geschichte: 17. Juni 1953

Bertolt Brecht zum 17. Juni: Der Ja- und Neinsager

Bertolt Brecht unterstützte auch nach dem 17. Juni 1953 die SED, aber es kam zu einer deutlichen Distanzierung

  • Christopher Wimmer
  • Lesedauer: 4 Min.

Ulbricht, Pieck und Grotewohl, dass euch drei der Teufel hol», skandierten Arbeiter*innen der DDR am 17. Juni 1953. Es wurde gekämpft und geschossen. Am Mittag rollten sowjetische Panzer auf der damaligen Stalinallee in Ost-Berlin und schlugen den Arbeiteraufstand nieder. Währenddessen spielte das DDR-Radio Schnulzen wie «Puppchen, du bist mein Augenstern» und «Immer nur lächeln».

Als der Schriftsteller Bertolt Brecht dies im Rundfunk hörte, wird er wütend, so der Brecht-Forscher Erdmut Wizisla. Brecht war mit seinen Mitarbeiter*innen bereits am Nachmittag des 16. Juni, nachdem er vom beginnenden Aufstand erfahren hatte, eilig aus seinem Haus in Buckow nach Berlin gekommen. Am 17. Juni beobachtet er Unter den Linden die Demonstrationen und erörterte danach die Lage mit seiner Theatertruppe im Berliner Ensemble. Er hatte es besonders auf den Rundfunk abgesehen. Anstelle des Radiogedudels sollte sich das Programm mit dem Aufstand beschäftigen, so Brecht. Er schickte seine Mitarbeiter*innen Elisabeth Hauptmann und Manfred Wekwerth mit dem Angebot zum Rundfunk, Mitglieder des Berliner Ensembles im Programm auftreten zu lassen. Dies wurde ignoriert. Unbeirrt spielte das wichtigste Massenorgan weiter Unterhaltungsmusik – als ob nichts geschehen sei.

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An dieser Anekdote verdeutlicht sich das kritisch-solidarische Verhältnis des Dichters Brecht zu «seiner» DDR. Brecht war nach dem Zweiten Weltkrieg bewusst in den Arbeiter- und Bauernstaat gezogen, um dort sein Theater aufzubauen. Nur dort schien ihm das möglich zu sein. Gleichzeitig blieb er auch auf Distanz. Brecht nahm nie die DDR-Staatsbürgerschaft an und wurde nie Mitglied der SED.

Vom Aufstand des 17. Juni 1953 war Brecht tief schockiert. «Mehrere Stunden lang, bis zum Eingreifen der Besatzungsmacht, stand Berlin am Rand eines dritten Weltkriegs», urteilte er später. Zwar sah er während des Aufstands durchaus «organisierte faschistische Elemente» am Werk, sprach aber eindeutig davon, dass die Arbeiter*innen «in berechtigter Unzufriedenheit demonstriert» hätten. Arbeiter*innen, die gegen einen Arbeiterstaat protestierten – schnell erkannte Brecht die Bedeutung des 17. Juni als Ausdruck einer gefährlichen politischen und ökonomischen Krise des jungen Staates.

Am Tag selbst versuchte Brecht, Einfluss auf den Lauf der Dinge zu nehmen. Seiner Mitarbeiterin Isot Kilian diktierte er drei Briefe. Einen an Walter Ulbricht, den Generalsekretär des ZK der SED, einen an Regierungschef Otto Grotewohl, den dritten an Wladimir Semjonowitsch Semjonow, den sowjetischen Hochkommissar für Deutschland. Kilian, heißt es, sei so aufgeregt gewesen, dass sie sich dauernd vertippte. Die Dramaturgin Käthe Rülicke musste daraufhin alles nochmals sauber aufschreiben. In seinem Brief an Ulbricht bekundete Brecht seine Solidarität zur SED: «Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen in diesem Augenblick meine Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands auszudrücken.» Beim Abdruck des Briefs im damaligen SED-Zentralorgan «Neues Deutschland» fehlte dann allerdings eine entscheidende Passage, in der Brecht eine «große Aussprache mit den Massen über das Tempo des sozialistischen Aufbaus» forderte. Dies schien bereits zu viel Kritik an der Herrschaft der Partei gewesen zu sein.

Zu weiterer Entfremdung kam es, als der Sekretär des Schriftstellerverbandes Kurt Barthel am 20. Juni ebenfalls im «Neuen Deutschland» öffentlich mit den Arbeiter*innen der Stalinallee («Schämt euch!») abrechnete. Daraufhin verfasste Brecht sein bitterböses Gedicht «Die Lösung» mit dem Spottvers, das Volk habe das Vertrauen der Regierung verscherzt. Daher wäre es nun doch einfacher, sie möge das Volk auflösen und ein anderes wählen. In «Böser Morgen», das nahezu zeitgleich geschrieben wurde, wird Brechts Not spürbar, da er die Sorge hatte, der Aufstand könne das Ende der DDR bedeuten – und damit auch sein Lebenswerk bedrohen: «Heut nacht im Traum sah ich Finger, auf mich deutend / Wie auf einen Aussätzigen. Sie waren zerarbeitet und / Sie waren gebrochen.»

«Die Lösung» und «Böser Morgen» sind Teil der Gedichtsammlung «Buckower Elegien», die erst nach Brechts Tod vollständig veröffentlicht wurde. Privat notierte er nach dem Aufstand in seinem Arbeitsjournal: «Der 17. Juni hat die ganze Existenz verfremdet.» Dabei empfand er «den schrecklichen 17. Juni als nicht einfach negativ»; die Demonstrationen des Proletariats hätten trotz all «ihrer Richtungslosigkeit und jämmerlichen Hilflosigkeit» gezeigt, dass es die «aufsteigende Klasse» sei.

Auch wenn Brecht seine Kritik in dieser Eindeutigkeit nicht veröffentlichte, machte ihm der Aufstand doch die Kluft zwischen der DDR-Regierung und den Werktätigen des Landes deutlich – eine große Fremdheit zwischen Führung und Bevölkerung, die Brecht fortan keine Ruhe mehr ließ.

Brecht blieb bis zu seinem Tod 1956 solidarisch mit der DDR, ließ sich aber von ihr nicht in den Dienst nehmen. In der BRD wurde er als SED-Unterstützer gebrandmarkt, der DDR-Führung und -Kulturpolitik galt er als Freigeist. Zwischen den Stühlen fühlte er sich selbst jedoch nicht unwohl. «Die Widersprüche sind unsere Hoffnung», kann man beim großen Dialektiker Brecht nachlesen. Denn Widersprüche bedeuten nicht das Ende eines Gedankens oder einer Tat, sondern deren Anfang. Hätte die DDR-Politik dies doch nur am 17. Juni 1953 eingesehen.

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