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Special Olympics: Weltspiele der Inklusion

Die Special Olympics in Berlin sollen die Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung vorantreiben

  • Noah Kohn
  • Lesedauer: 5 Min.

An diesem Samstag startet in Berlin die teilnehmerreichste Multi-Sport-Veranstaltung seit den Olympischen Spielen 1972 von München. Bei den »Special Olympics World Games 2023« gehört die große Wettbewerbsbühne vom 17. bis zum 25. Juni denjenigen, denen zwischen Fußball-Bundesliga, Vierschanzentournee oder Istaf in Deutschland selten eine öffentlichkeitswirksame Plattform geboten wird: rund 7000 Athleten mit geistiger und mehrfacher Behinderung.

Aus 190 Ländern sind die Teilnehmer angereist, um sich in 26 verschiedenen Sportarten zu messen. Auch 413 Sportler aus Deutschland sind dabei, zum Beispiel die 17 Jahre alte Heidi Kuder, die noch zur Schule geht und gleich in drei Sportarten antreten wird: Hundertmeterlauf, 4-mal-100-Meter-Staffel und Kugelstoßen. Und die 43-jährige Schwimmerin Nicole Pietschmann aus Brandenburg, die neben dem Sport in einer Werkstatt arbeitet. Fußballer John-Philipp Schlenke ist schon 34 Jahre alt und immer noch nicht berühmt – das soll sich bei den Weltsommerspielen in Berlin ändern, wie seinem Steckbrief auf der Website des deutschen Bundesverbands Special Olympics Deutschland e.V. (SOD) zu entnehmen ist.

Die Special Olympics wurden 1968 in den USA von Eunice Kennedy-Shriver gegründet, um Menschen mit geistiger Behinderung Teilhabe an Sportveranstaltungen zu ermöglichen. Die Schwester des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy hatte keine Lust mehr auf Vernachlässigung und Ungleichbehandlung von Personen mit Behinderungen, wie sie der gemeinsamen Schwester Rosemary Kennedy regelmäßig widerfuhr, und nahm die Sache selbst in die Hand.

Mittlerweile sind die Special Olympics die größte sportliche Inklusionsbewegung der Welt, die ihren Höhepunkt in den Weltspielen finden. Es ist ein Wettkampf ausschließlich für Menschen mit geistiger Behinderung. Das unterscheidet die Special Olympics von den Paralympischen Spielen, bei denen Menschen mit Körperbehinderungen gegeneinander antreten. Eine geistige Behinderung ist dann vorhanden, wenn entweder eine nachgewiesene intellektuelle Beeinträchtigung, eine durch einen Intelligenztest nachgewiesene Entwicklungsverzögerung in der Wahrnehmung von Informationen oder eine Entwicklungsbeeinträchtigung vorliegt, die einer intellektuellen Beeinträchtigung ähnelt.

Damit die Athleten bei den Weltsommerspielen in ihrer jeweiligen Disziplin auf andere Athleten mit einem ähnlichen Leistungsniveau treffen, werden zu Beginn der Spiele Klassifizierungswettbewerbe durchgeführt. Nach Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und dem Abschneiden in den Vorläufen werden die Sportler in Finalgruppen aus drei bis acht Personen eingeteilt, in denen der Leistungsunterschied maximal 15 Prozent betragen darf. Athleten, die in den Klassifizierungswettbewerben absichtlich weniger Leistung gezeigt haben, um im Finale mit einer deutlichen Leistungssteigerung einen taktischen Vorteil zu erlangen, können disqualifiziert werden. Mit dieser »Honest-Effort-Rule« wollen die Veranstalter sicherstellen, dass Athleten aller Fähigkeiten die gleiche Chance auf Erfolg haben, egal ob es um eine persönliche Bestleistung oder eine Goldmedaille geht.

Im vierjährigen Wechsel werden die Weltsommer- und Winterspiele von der gemeinnützigen Organisation Special Olympics International (SOI) veranstaltet. Ausrichter der diesjährigen Sommerausgabe ist der deutsche Bundesverband SOD, organisiert wird die Veranstaltung von der Special Olympics World Games Berlin 2023 Organizing Committee gGmbH. Sven Albrecht ist Bundesgeschäftsführer von SOD sowie CEO des Organisationskommitees und hofft, dass mit den Weltspielen in Berlin Berührungsängste zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen abgebaut werden. »Es gibt zumeist wenig Kontaktmöglichkeiten. Und deswegen sind einfach noch viele Barrieren auch ein Stück weit im Kopf«, sagte Albrecht der Deutschen Presse-Agentur.

Damit diese Barrieren abgebaut werden können, haben die Veranstalter ein umfangreiches Programm mit vielen Begegnungsmöglichkeiten geplant. »Häufig erleben wir, wenn der erste Kontakt erst einmal stattgefunden hat, dass es dann auch gut funktioniert«, so Albrecht. Los geht das achttägige Event mit einer Eröffnungsfeier am Samstagabend im Olympiastadion, mit einer Abschlussfeier am Brandenburger Tor am 25. Juni endet es. Die sportlichen Wettbewerbe werden unter anderem am Messegelände, im Olympiapark, am Neptunbrunnen neben dem Alexanderplatz, im »Beach Mitte« am Nordbahnhof und in der Wettkampfschwimmhalle SSE im Bezirk Prenzlauer Berg ausgetragen. Zu den Wettbewerben in Basketball, Judo, Radfahren und anderen Sportarten werden rund 300 000 Besucher in der Hauptstadt erwartet. An den Sportstätten sind zudem auch verschiedene inklusive Kulturpunkte geplant.

Bei den Weltspielen werden 16 der insgesamt 26 Sportarten auch als »Unified«-Wettbewerbe ausgetragen. Das bedeutet, dass sowohl Menschen mit geistiger Behinderung als auch Menschen ohne eine solche gemeinsam Sport treiben. Gelebte Inklusion, die auch die Vereine anregen soll, Unified-Angebote aufzunehmen. »Unser Ziel ist es, als Gesamtverband deutlich mehr Menschen mit Behinderung in den Sport zu bringen«, sagte Albrecht.

Die Hürden dafür sind nach wie vor vielseitig: Viele Hallen und Sportplätze sind ohne barrierefreie Zugänge, die Internetseiten der Vereine selten in Leichter Sprache verfügbar und es fehlen inklusive Angebote. Um diese Barrieren abzubauen, wurde beim Berliner Landessportbund eigens ein Inklusionsmanager für die Belange von Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung eingestellt. »Er bietet allen Vereinen Unterstützung bei der Ausbildung der Trainer an. Das große Ziel ist, dass jeder Verein Berlins irgendwann einmal Inklusivangebote hat«, sagte Katrin Koenen von der Berliner Senatssportsverwaltung im Gespräch mit dem Veranstalter.

Das Land Berlin finanziert die Stelle des Inklusionsmanagers und hat zusammen mit dem Bund etwa 70 Millionen Euro ausgegeben, um die Weltspiele in Berlin zu fördern – wohl nicht ganz ohne Hintergedanken: Das Riesenevent soll nicht nur inklusives Spektakel werden, sondern auch einer möglichen Bewerbung um die Olympischen Spiele Auftrieb geben. »Ich glaube, wir können dieses Jahr schon zeigen, dass wir fähig sind, wieder Olympische Spiele auszutragen«, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Mittwoch. Anvisiert ist eine Bewerbung für die Sommerspiele 2036, genau 100 Jahre nach den Nazi-Spielen von Berlin. »Jedes Sportgroßereignis, das zu einem Erfolg geführt wird, trägt dazu bei, dass wir ein positives Image für eine Olympia-Bewerbung bekommen«, so Faeser. Die World Games 2023 in Berlin sollen neben der Sichtbarmachung von Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen auch die Akzeptanz in der Bevölkerung für größere Sportevents in Deutschland erhöhen – ein Sommermärchen mit Kalkül.

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