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Nahostkonflikt in Schulbüchern: Gefährliche Ungenauigkeit
In vielen Schulbüchern in Berlin und Brandenburg wird der Nahost-Konflikt verzerrt dargestellt
Eine Reihe von israelischen Soldaten auf der einen Seite, betend zur Klagemauer gewandt. Auf der anderen eine Gruppe palästinensischer Familien, die Köpfe für ein Bittgebet gesenkt. Mit dieser Collage eröffnet ein in vielen Berliner Schulen verwendetes Schulbuch für die Fächer Geschichte, Politik und Erdkunde sein Kapitel zum Nahost-Konflikt.
Auf den ersten Blick scheint die Darstellung häufige Assoziationen zu dem Thema zu spiegeln, doch beim zweiten kommen Fragen auf: Ist es wirklich vor allem die Religion, die beide Seiten trennt? Warum wird die eine Seite von Soldaten vertreten, die andere aber von Zivilisten? Müssten nicht, damit die Gegenüberstellung auch wirklich Gleiches mit Gleichem vergleicht, entweder auf der palästinensischen Seite auch Militante dargestellt werden oder auf der israelischen auch Familien?
»Israelis tauchen bei der Bebilderung in Schulbüchern fast immer nur als Soldaten auf«, sagt Stephanie Ecks von der Amadeu-Antonio-Stiftung. Sie hat zusammen mit Kollegen das Israel-Bild in 16 Berliner und Brandenburger Schulbüchern der drei großen Verlage Klett, Cornelsen und Westermann untersucht. Am Mittwoch stellten sie die Ergebnisse vor. Schwer bewaffnete Soldaten, gepanzerte Fahrzeuge, Straßensperren – das seien die häufigsten Motive. Bei den Palästinensern sind es dagegen häufig Steine werfende Jugendliche, die abgebildet werden. Dass es auf beiden Seiten Millionen Menschen gibt, die einfach nur ihrem Alltag nachgehen, sei selten zu sehen. Der Nahost-Konflikt wird in Berlin und Brandenburg in den Jahrgangsstufen neun und zehn häufig als ein Fallbeispiel aufgegriffen, um Konfliktlösungskompetenzen zu stärken.
Ecks’ Fazit zu den untersuchten Schulbüchern ist besorgt: In vielen dominierten einseitige, stark simplifizierende Darstellungen, die wichtige historische Ereignisse und Kontexte aussparen. »In fast allen Büchern herrscht ein stark runtergebrochenes David-gegen-Goliath-Narrativ«, so Ecks. Israel als aufgerüstete Übermacht, gegen die sich die unterlegenen Palästinenser auflehnen, wie die Gallier in »Asterix und Obelix« gegen das Römische Reich. Dass Israel mehrmals von allen umliegenden Staaten gemeinsam angegriffen wurde, dass es 1973 im Jom-Kippur-Krieg seine Existenz nur knapp gegen ein Bündnis der arabischen Staaten verteidigen konnte, das von mehreren Großmächten unterstützt wurde, habe in diesem Bild keinen Platz.
»Es geht nicht darum, dass das Leid der Palästinenser nicht gezeigt werden soll – aber es sollte auch das Leid der israelischen Bevölkerung gezeigt werden«, sagt Miki Hermer, Co-Autorin des Berichts. So sei es legitim, dass das Unrecht ausführlich thematisiert werde, das viele Palästinenser während der Nakba, der Vertreibung großer Teile der arabischen Bevölkerung des heutigen Israels, erfahren haben. Aber warum nicht auch das Leid der Juden, die zeitgleich aus arabischen Ländern vertrieben wurden? Nach der Staatsgründung Israels 1948 kam es fast in der gesamten arabischen Welt zu Pogromen und Verfolgungen. Millionen Juden verließen diese Länder daraufhin, in manchen starb die jüdische Diaspora vollständig aus.
Auch andere wichtige Ereignisse werden nach Ansicht der Autoren verkürzt oder gar nicht dargestellt, etwa der UN-Teilungsplan von 1947, der einen jüdischen und einen arabischen Staat in Palästina vorsah – und der von der arabischen Seite abgelehnt wurde. Vor allem aber die Gründe der israelischen Staatsgründung, die jahrhundertelange Geschichte des Antisemitismus in Europa, deren Höhepunkt die planvolle Ermordung eines Drittels der weltweiten jüdischen Bevölkerung im Holocaust war. Diese Erfahrungen hätten den jüdischen Staat erst notwendig gemacht, sagt Hermer. »Wenn bei dem Thema der Holocaust ausgespart wird, kann man das Buch eigentlich direkt in die Tonne kloppen«, sagt sie.
»Wenn man den Büchern folgt, scheint es gar keine Alternative zum Widerstand zu geben«, so Hermer. Entsprechend verständnisvoll seien palästinensische bewaffnete Gruppen dargestellt. In einem Buch werde die zweite Intifada gar als »Jugendaufstand« verharmlost. Dabei starben in dieser Zeit mehr als 1000 Israelis bei Anschlägen. Dass die Hamas im Gazastreifen seit Jahrzehnten regiert und somit zumindest eine Mitverantwortung für die dortigen Verhältnisse trägt, finde ebenso wenig Erwähnung wie die vielen oppositionellen Palästinenser, die sich gegen die Herrschaft der Islamisten wehren.
Dass es auch anders gehe, spiele nur eine geringe Rolle. Die Friedensverträge, die Israel mit Ägypten und Jordanien geschlossen hat, werden meist übergangen. Besonders stört die Autoren, dass in den Schulbüchern teilweise fiktive Quellen verwendet werden. So würden in einem Buch die Positionen der unterschiedlichen Parteien mit einem fiktiven Streitgespräch dargestellt. Die von der vorgeblich israelischen Seite vorgetragenen Argumente hätten dabei wenig mit den real von israelischer Seite erhobenen Forderungen zu tun. »Man kann aus dem Material eigentlich gar nicht erfahren, was die israelische Position in dem Konflikt ist«, so Ecks.
Samuel Salzborn, Antisemitismusbeauftragter des Landes Berlin, befürchtet, dass die verzerrte Darstellung in den Schulbüchern einen großen Effekt auf die Schüler haben könnte. »Diffuse Ressentiments« würden durch die Darstellung bestärkt werden und könnten so zu einem gefestigten antisemitischen Weltbild werden. Dabei seien vor allem in sozialen Medien viele Falschdarstellungen verbreitet, die zu einer »Überemotionalisierung« beitrügen, so der Politikwissenschaftler bei einer Diskussion im Anschluss an die Vorstellung der Studie. Schule müsse hier eigentlich entgegenwirken, doch tue das Gegenteil. »Schulbücher werden von den Schülern als Autorität betrachtet und als Instanz herangezogen, wenn es zum Beispiel Streit um Bewertungen in Klassenarbeiten gibt«, so Salzborn zur Bedeutung des Lernmaterials.
Zwei Bücher haben die Studienautoren dagegen zur Verwendung empfohlen. »Projekt G« und »Geschichte und Gesellschaft« – beide im Klett-Verlag erschienen – thematisierten den Konflikt ausgewogen und zeigten die historische Kontexte auf, so Studienautorin Ecks. Statt einseitig Stellung zu beziehen, seien beide Positionen im Konflikt dargestellt.
»Bei uns hat seit 2015 ein Lernprozess angefangen«, sagte Ilas Körner-Wellershaus, Vorstandsvorsitzender des Klett-Verlags. In diesem Jahr erschien eine ähnliche Studie der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission. Seitdem habe es Workshops in Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Juden gegeben, um die Autoren besser zu schulen. Erwartungen an einen schnellen Wandel dämpft er allerdings: »Wenn etwas gravierend falsch ist, ändern wir das natürlich unmittelbar«, aber um die Gesamtdarstellung zu ändern, seien lange Redaktionsprozesse notwendig. Und selbst wenn die Schulbücher überarbeitet werden, kann es lange dauern, bis sie in den Schulen ankommen. »An manchen Schulen sind noch 20 Jahre alte Buchausgaben im Umlauf. Bis die eine aktualisierte Ausgabe mitbekommen, vergeht Zeit«, so Körner-Wellershaus.
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