Scha

Wie der gesamte Weltbau wieder in Ordnung kommt

  • Alexander Estis
  • Lesedauer: 4 Min.

Sobald du »scha« sagst, kommt das All für einen Augenblick zum Stillstand; es sei denn, deine Mischpoche ist Teil dieses Alls. Denn so steht es geschrieben. Als Mose auf den Berg Sinaï stieg, machte er »Scha!« zur ganzen Mischpoche, aber keiner hörte auf ihn, nicht einmal Aaron, denn so ist die Mischpoche eben beschaffen, dass sie nicht hören will, und wenn sie hören wollte, wäre es keine rechte Mischpoche.

Während also Moses auf dem Berg Sinaï saß, machte die ganze Mischpoche großes Tohuwabohu, obwohl es mit dem Tohuwabohu eigentlich schon im ersten Buch Mose hätte vorbei sein können, aber so ist das Tohuwabohu eben beschaffen, dass es erstens immer wiederkommt, am Anfang, in der Mitte und sogar am Schluss, und dann wieder irgendwo dazwischen, sodass der Schluss gar kein Schluss mehr ist und der Anfang kein Anfang; und zweitens auch das erstere nicht immer, denn sonst wäre es kein rechtes Tohuwabohu. Außerdem stellt sich hier die Frage, ob das erste Buch Mose damals schon geschrieben war oder ob Mose das Buch erst noch aufschreiben musste.

Ezzes von Estis

Alexander Estis, freischaffender Jude ohne festen Wohnsitz, schreibt in dieser Kolumne so viel Schmonzes, dass Ihnen die Pejes wachsen.

So oder so, weil die Mischpoche ein Tohuwabohu veranstaltete, wollte Tate Atta, der Ahn aller Ahnen, »Scha!« machen. Und wenn Tate Atta »Scha!« macht, dann gibt es Donner und Blitz und Feuer und gewaltigen Schall. Wenn Tate Atta »scha« macht, dann werden am Ende alle still, aber nicht sofort, sondern vorher werden sie alle tot, und erst dann werden sie alle still.

Baruch Haschem, gelobt sei der Segen, gesegnet sei der Dank: Tate Atta machte dann doch nicht »Scha!«, sondern blieb in seiner Wolke, und nur Moses kam vom Berg herab, stieg herab, trat herab und machte wieder »Scha!«, aber diesmal richtig, und nutzte dabei die Bundestafeln so, wie Tante Riwa die Teller nutzt – natürlich nur die billigen, oder aber die teuren, aber geliehenen –, wenn ihre Söhne mal wieder meschugge werden. Und weil die Söhne, die Töchter und die Stiefkinder Israels auch meschugge wurden, nutzte Moses die Bundestafeln so wie Tante Riwa. Bis heute streitet man sich darüber, was auf den Tafeln gestanden habe; wäre ich ein Rabbi und ginge es nach mir, dann dächte ich doch, darauf stand nichts anderes als eben: »Scha!«

Und das nicht nur weil Tate Atta natürlich schon vorher wusste, dass Moses nur »Scha!« damit machen wollte. Sondern auch weil »scha« nichts weniger ist als ein heiliges Wort, und vielleicht sogar mehr. Sobald du nämlich »scha« sagst, kommt das All für einen Augenblick zum Stillstand, die Planeten und die Kometen und die Meteore, die Stürme und die Kriege, die Tränen und die Freude, die Larven in der Rinde und die Züge in ihren Bahnen. Sogar die räudigen Katzen im Hinterhof bleiben auf Hinterpfoten stehen, alles steht auf den Hinterpfoten, die Schnecken, die Häuser, die Präsidenten, und wer keine Pfoten hat, dem wachsen sie, nur damit er so ruhig stillstehen kann, wie man nur auf Katzenpfoten stillsteht.

Sobald du »scha« sagst, kommt der gesamte Weltbau wieder in Ordnung, und zwar sofort und überall, wenn auch nur sehr kurz, nur während du es aussprichst: »Scha!«, nur während du ansetzt, es auszusprechen, während du es auszusprechen angesetzt hast, und im nächsten Moment ist es schon verhallt. Aber während man es ausspricht, herrscht überall menuche (Ruhe) und scholem (Frieden) und masl (Glück). Jedes »scha« ist ein kleiner Schabbes, genau aus diesem Grund heißt es ja auch »scha«, oder vielleicht heißt es umgekehrt genau aus diesem Grund »Schabbes«, oder, falls weder das eine, noch beides, dann sollte man machen, dass es aus genau diesem Grund so heißt. Und das kannst du durchaus tun, denn sobald du »scha« sagst, ein Wort, nichts weniger als heilig, und vielleicht am Ende nicht einmal ein Wort, sobald du also »scha« sagst, stellen sich sogar die Gründe alle auf ihre Hinterpfoten.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.