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Gold oder Salat
Namen im Literaturbetrieb (Teil 1): Es sind immer Kleinigkeiten, aus denen sich das Große zusammensetzt
Namen sind wichtig, das weiß jeder. Besonders, wenn man Literatur schreibt. Wenn sie ungewohnt wirken, werden sie oft falsch benutzt. Über Diversität wird gern geredet, darüber aber fast nie. Deshalb eröffnen wir in »nd.DieWoche« eine kleine Serie, in der Schriftstellerinnen und Schriftsteller über ihre Namen schreiben. (nd)
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Im Juni letzten Jahres verfolgte ich auf Facebook (das sich als Plattform von deutschsprachigen Lyrikschreibenden zu etablieren scheint) eine Debatte zu der Frage, warum ein falsch geschriebener, nichtdeutscher Name beim Gegenüber für Entrüstung sorge. Die Diskussion entwickelte sich heftig, fast alle schätzten die Reaktion auf einen harmlosen, zufälligen Fehler als übertrieben, unangemessen ein, teilten Erinnerungen daran, wie ihre eigenen, deutschen Namen in verschiedenen Kontexten falsch geschrieben worden seien, wie humorvoll sie es hingenommen hätten. Ich steigerte mich hinein, wurde fassungslos darüber, dass gerade diese, mir meist bekannten, intelligenten, sprachgeschulten Menschen es nicht als problematisch ansahen, nichtdeutsche Namen falsch zu schreiben und sich über die Empörung des Gegenübers zu empören. Die Diskussion schien mir eine Aussagekraft zu besitzen, die sich weiterverwerten ließe, ich wusste damals nur nicht, wie.
Ein Déjà-vu erlebte ich neulich, als ich das Buch »Generation haram« las (Melisa Erkurt, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2020). Es behandelt die Frage, wie es Kindern mit, wie es so heißt, »Migrationshintergrund« im österreichischen Bildungssystem, das dem deutschen ähnelt, ergeht, wie sehr der Bildungsweg der Kinder von dem sozialen Status ihrer Eltern abhängt. Erkurt beschreibt einen erschreckenden Schulalltag, in dem Kinder und Jugendliche von Lehrkräften ermahnt werden, wenn sie ihre Erstsprache sprechen, ihre Herkunft als ausgrenzend wahrnehmen, gleichzeitig aber kaum Möglichkeiten haben, etwas daran zu ändern. Ich erinnerte mich daran, wie ich mit meiner Freundin in der Grundschule Russisch gesprochen hatte und von der Lehrerin ermahnt wurde, »Wir sind in Deutschland, also sprechen wir deutsch«, und sie meinte es bestimmt nicht böse, aber ich spürte, dass an dem Satz etwas falsch war.
Dabei hatte ich deutlich mehr Glück als die Kinder, von denen Erkurt schreibt, ich war weißhäutig und blond, die Religion meiner Eltern war nicht sofort zu identifizieren, ich bin früh genug nach Deutschland gekommen, um die Sprache zu lernen, aber als Kind war mir stets bewusst, dass mir etwas fehlt, was die anderen haben, dass ich das fehlende Kapital an moralischer und finanzieller Unterstützung zu Hause durch Einsatz von Fleiß und Leistung überspielen muss. Einer der heimlichen Gründe, warum ich promovieren wollte, bestand wahrscheinlich darin, meinen Namen gegenüber Lehrern, Vermietern, Beamten ernstzunehmender zu machen. Ich habe mich an den Gedanken gewöhnt, dass ich mir keine Auszeiten, Krankschreibungen oder Urlaube erlauben darf, dass ich immer am Ball bleiben muss, weil ich sonst zu dem für mich Vorbestimmten zurückkehre und es keinen interessieren wird, was ich will.
An viele Sachen, die Erkurt in ihrem Buch beschreibt, kann ich mich aus meiner Kindheit erinnern; im Gymnasium wurde meine Freundin einmal von ihrer Mutter vom Unterricht abgeholt, weil es dringend einen Dolmetscher für irgendeinen Behördengang brauchte, keiner verstand das außer mir. Kinder wie wir trugen nicht nur die volle Verantwortung für unsere Hausaufgaben und Noten, manchmal waren wir für unsere Eltern verantwortlich, wir kannten Wörter wie »Kindergeldzuschuss«, die für unsere Mitschüler keine Rolle spielten.
Erkurt fasst es so zusammen: »Ich dachte lange, Sprache wäre der Schlüssel zur Integration. Ich spreche Deutsch besser als meine Muttersprache. Ich dachte, Bildung wäre der Schlüssel zur Integration, ich habe einen Uniabschluss. Ich dachte, ein Job wäre der Schlüssel zur Integration, ich war noch nie arbeitslos. Trotzdem bin ich für viele nur die Migrantin und frage mich noch immer, wo eigentlich das Schloss ist.«
Vor ein paar Monaten zum Beispiel habe ich die Frauenbeauftragte an meiner Uni angeschrieben und bekam eine Antwort an »Frau Slata« zurück. Es war kein Weltuntergang, aber irgendwie unangenehm, ich überlegte dann, ob ich es mir leisten kann, das Gegenüber ebenfalls mit dem Vornamen anzuschreiben. Das konnte ich nicht, setzte also in der nächsten E-Mail meinen Vornamen taktvoll in Klammern und bekam eine zweite an »Frau Slata« zurück. Bei Moderationen werde ich oft »ROschal«, wie »roh Schall«, genannt (ich mochte diesen seltenen Namen mehr, bevor er auf der Bühne ausgesprochen wurde), im Unikontext bin ich oft Frau »KozAkova« (und zucke jedes Mal zusammen), in einer amtlichen Übersetzung bin ich einmal zu »Kozlova« geworden (»kozak« ist ein bewaffneter Reiter, »koza« dagegen eine Ziege). Vertippt sich das Gegenüber in einer E-Mail, werde ich zu »Salat« (anstelle von »Gold« -, »zlato«). Eigentlich habe ich kein Problem damit, es hat sogar etwas Komisches an sich, nur, wenn auf einmal explizit gesagt wird, dass mein eigener Name sowieso »falsch« transkribiert sei, dass kyrillische Namen keine »richtige« Schreibweise im Deutschen hätten, dann werde ich wütend.
Erkurt schreibt von erstaunten Schülern, wenn deren Namen in der Schule zum ersten Mal richtig ausgesprochen werden, von einer Lehrerin, die den harmlosen Namen »Melisa« mit einem Rotstift mit einem zusätzlichen »s« ausbessert; sie schreibt von Menschen, die »kein Problem damit haben, komplizierte Fremdwörter zu verwenden und dadurch einen bestimmten Teil der Bevölkerung auszuschließen, aber die Namen ihrer türkischen Kolleginnen und Kollegen falsch schreiben«.
Diskussionen darüber, ob ein nichtdeutscher Name genauso wie ein deutscher falsch geschrieben werden darf, wirken auf mich skurril. Der eigene Name ist eines der wenigen Dinge, die keine Änderung, Akzeptanz und Anpassung erfordern müssten, und selbst er wird im Detail unwichtig, relativ, ersetzbar. Das naive oder sich naiv stellende Argument, dass man selbst gelassen auf eine falsche Schreibweise des eigenen deutschen Namens reagieren würde, bekommt einen zynischen Beigeschmack – es ist eine Ausnahme, die nichts am eigenen Status ändert, während der Status der Anderen, der Nichtdeutschen, diese Ausnahme zur Norm hat. Es sind Kleinigkeiten, immer Kleinigkeiten, aus denen sich das Große zusammensetzt; ich möchte eigentlich lakonisch und gelassen bleiben, es gelingt mir nicht, und ich denke, dass es gut ist, dass es mir nicht gelingt.
Slata Roschal, geboren 1992 in Sankt Petersburg, wuchs in Schwerin auf, studierte in Greifswald und promovierte in München über Männlichkeiten und Dostoevskij. Sie erhielt zahlreiche Stipendien und Preise, 2022 ist ihr lyrischer Roman »153 Formen des Nichtseins« im Homunculus-Verlag erschienen.
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