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Bastelakademie

Zeitzeugen erinnern sich an die Gründung der BBAW

Betretenes Schweigen. Stille. Dann kurzer vereinzelt-zaghafter Beifall. Das akademische Publikum ist irritiert. Was ist geschehen? Joachim Sauer hat seiner Empörung mit deftigen Worten Luft verschafft. Er sei »erschüttert«, die von Vorrednern bedauerte »Asymetrie« bei der »Vereinigung« der ost- und westdeutschen Wissenschaftslandschaften sei richtig gewesen, völlig »unverständlich« für ihn jegliches Verständnis für die Enttäuschung abgewickelter ostdeutscher Akademiemitglieder. Man möge sich erinnern, wie Robert Havemann zu DDR-Zeiten aus der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) gedrängt wurde. »Wer im falschen Moment das falsche Wort gesagt hat, konnte seine Doktorarbeit nicht beenden«, so der Gatte der Altkanzlerin.

Zuvor hatte der per Video aus den USA zur Diskussionsrunde am Mittwochabend in der Berlin-Brandenburgischen Akademie (BBAW) zugeschaltete Quantenchemiker noch Lacher im Auditorium geerntet – als er mitteilte, von der Presse immer wieder korrigiert zu werden, wenn er in Interviews bemerkte, der glücklichste Moment in seinem Leben sei der Fall der Berliner Mauer gewesen. Doch ein solcher Moment hätte nach Meinung der Journalisten eigentlich jener Tag sein sollen, an dem Sauer erstmals seiner Frau begegnete.

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Was Sauer nicht wissen konnte: Schon auf dem vorangegangenen Symposium in der BBAW über den »Umbruch 1989 und die Folgen« war mehrfach unfairer und respektloser Umgang mit DDR-Wissenschaftlern bedauert und beklagt worden, unter anderen durch den US-Historiker Mitchell Ash. Die Zeitzeugen und Zeitzeuginnen am Abend bekräftigten dies – leibhaftig auf dem Podium oder per eingeblendeter Interviews, die BBAW-Präsident Christoph Markschies persönlich geführt hatte.

Den Reigen der Erinnerungen eröffnete der Linguist Manfred Bierwisch, der ab 1956 an der AdW arbeitete und vier Jahre zuvor ob des Besitzes einer Westberliner Zeitschrift zehn Monate in Bautzen inhaftiert war. Seiner Ansicht nach seien »zu wenige aus dem Osten« als Gründungsmitglieder der BBAW erwählt worden. Und: »Da ich an der Bastelakademie damals beteiligt war, weiß ich, wie wenig von unseren Vorstellungen einer Arbeitsakademie übrig blieb.« Klaus Hallof, Experte für altgriechische Inschriften (der zu DDR-Zeiten nicht in das Land seines Forschungsgegenstandes reisen durfte), nannte die Abschaffung der Institute, wie es sie an der AdW gab, »einen Fehler« und befand: »Die Grenze zwischen Mitgliedern und Mitarbeitern der BBAW ist zu dicht; das steht einer modernen demokratischen Akademie nicht gut zu Gesicht.« Susanne Fünfstück, die zu den glücklich übernommenen AdW-Angestellten gehört und als »Naturfreundin«, der das Sterben der Arten – ob in der Tierwelt oder in Flora und Fauna - »Sorgen bereitet«, sich um den Garten der BBAW verdient gemacht hat, berichtete über bange Gefühle, als »die Wessis« kamen: »Es gab aber solche und solche.« Für Heiterkeit sorgte sie mit der Erwähnung, dass eines Tages eine Kollegin von »drüben« sie rügte: »Nehmen Sie doch mal die Trivialliteratur von Marx aus dem Regal.«

Joachim Nettelbeck, Jurist und als ehemaliger Sekretär des Wissenschaftskollegs zu (West)Berlin an den Debatten vor drei Dezennien beteiligt, bezeugte Einfühlungsvermögen hinsichtlich Verbitterung in der ostdeutschen Scientific Community. Obwohl es sich bei den abgewickelten Ost-Akademikern um einen privilegierten Kreis von DDR-Bürgern handelte, sei der Umgang mit ihnen doch typisch für den Vereinigungsprozess. Nettelbeck zitierte interessanterweise ausführlich aus Publikationen der Leibniz-Sozietät, die sich als Nachfolger der Gelehrtensozietät der DDR-Wissenschaftsakademie 1993 parallel zur BBAW konstituiert hatte. Jürgen Kocka, emeritierter Professor der FU Berlin, der sich (wie ein vormaliger BBAW-Präsident, Dieter Simon) damals eine faire Einpassung ostdeutscher Wissenschaft in ein ebenfalls zu evaluierendes westdeutsches Wissenschaftssystem gewünscht hatte, bestätigte im Interview mit Markschies, dass »an der AdW sehr viele vorzügliche Wissenschaftler gearbeitet haben und davon zu wenige übernommen worden sind«.

Nach Sauers überraschend harscher Intervention war es an Ute Frevert, Direktorin eines Max-Plank-Instituts, zu einem sachlichen Ton zurückzuführen. Sie erinnerte an den deutsch-jüdischen Wirtschaftshistoriker Hans Mottek, dessen Publikationen sie als Bielefelder Studentin mit großem Interesse gelesen und der bereits in den 70ern (sic) versucht hatte, ein Institut für Ökologie an der AdW zu gründen. »Er hat unter dem Rauswurf sehr gelitten. Solche Verletzungen hätten verhindert werden können.« Als bemerkenswert erachtet Frevert, mit welcher Neugier und Aufgeschlossenheit nach 1989 Wissenschaftler aus dem anglo-amerikanischen Raum, »die Null-Ahnung von der DDR hatten, sich gleich Ethnologen einem fremden Stamm« Ostdeutschland zuwandten.

Den Schlussakkord des Abends setzte Ojars Spariris, Philologe, in den 90ern Kulturminister in Riga und 2011 bis 2020 Präsident der lettischen Wissenschaftsakademie, die zu Sowjetzeiten strikt nach dem »russischen Modell« ausgerichtet war und deren Naturwissenschaftler vornehmlich in die Rüstungsforschung eingespannt gewesen seien, wofür aber reichlich Geld geflossen sei. Heute kämen den Wissenschaften in Lettland nur noch 0,7 Prozent des Staatshaushaltes zugute. Es war irgendwie tröstlich, dass auch er sich kritisch über die Transformation der Wissenschaftslandschaft in seiner Heimat äußerte: »Wir machen eine Expertise nach der anderen, klopfen, klopfen und klopfen an die Türen der Politik. Keiner erhört uns.«

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