99 Luftballons und ein Militärflugzeug

Kundgebungen gegen den Tag der Bundeswehr in Brandenburg/Havel und Berlin-Mitte

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
»Kein Werben fürs Sterben«, verlangt die Kundgebung in Brandenburg/Havel.
»Kein Werben fürs Sterben«, verlangt die Kundgebung in Brandenburg/Havel.

Über den Wiesenweg von Brandenburg/Havel laufen am Samstag Besucher, die beim Tag der Bundeswehr auf dem Festplatz rund 200 Meter weiter genug gesehen haben. Sie passieren die antimilitaristische Kundgebung gegen diese unverhohlene Werbung für den gefährlichen Dienst bei den Streitkräften. Thomas Kachel, Mitarbeiter der Linksfraktion im Bundestag, verteilt Informationsmaterial. »Arbeitgeber Bundeswehr – Risiken und Nebenwirkungen«, sagt er dazu. Eine Mutter mit kleinen Kindern, die einen Stoffbeutel der Bundeswehr über die Schulter gehängt hat, greift interessiert zu. Doch ein Mann kontert im Vorübergehen trocken: »Immerhin ein sicherer Arbeitsplatz.« Da schickt Kachel ihm bitter hinterher: »So lange, bis ein Loch ins Herz geschossen ist.«

Das hiesige Bündnis für Frieden hat zu dieser Kundgebung aufgerufen, die sich auch gegen das laufende Luftwaffenmanöver Air Defender richtet. Unterstützt wird der Protest von verschiedenen Gliederungen der Linkspartei, von der Sammlungsbewegung »Aufstehen«, der Friedensgesellschaft DFG-VK und anderen. Das Bündnis für Frieden sorgte im Herbst 2022 für Schlagzeilen, weil bei zwei seiner Demonstrationen mit je 1000 Teilnehmern etliche Neonazis und der AfD-Landtagsabgeordnete Lars Hünich mitliefen. Darum schaut sich die Linke-Landesvorsitzende Katharina Slanina nun gründlich um, »ob jemand da ist, der hier nicht hingehört«. 500 bis 600 Leute sind gekommen. Es ist in der Menge eine Flagge der Querdenker-Partei »Die Basis« zu sehen und eine der höchst umstrittenen Gruppierung »Freie Linke«. Aber niemand trägt diesmal rechte Szenekleidung.

Solche Mode ist stattdessen vereinzelt auf dem Festplatz bei den Gästen der Bundeswehr zu sehen. Die Soldaten tragen ihre Uniformen. Ob sie eine rechte Gesinnung haben, wie es bei der Truppe viel zu häufig vorkommt, lässt sich so nicht erkennen. Uniformteile gibt es hier schon für Babys. Angeboten werden Strampler mit Tarnfleck-Muster. Die Linke-Landesvorsitzende Slanina schockiert das genauso wie der Anblick von kleinen Kindern, die sich in ein Militärfahrzeug setzen dürfen, das ein Schwimmbrücken-Segment geladen hat. Als sich Slanina zehn Minuten dort umgesehen hat und zurück bei der Friedenskundgebung ist, gesteht sie erleichtert: »Hier fühle ich mich besser.«

Von den höhnischen Zwischenrufen der Vier-Mann-Gegendemonstration der Antischwurblerischen Aktion wird kaum Notiz genommen. Das ändert sich erst, als der Bundestagsabgeordnete Christian Leye (Linke) auftritt. »Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit – und danach sterben die Armen, so müsste der Satz vollständig heißen«, erklärt Leye. Während seiner Rede verstärken die Antischwurbler die Lautstärke ihrer Kommentare. Das ärgert Dominik Mikhalkevich vom Bündnis für Frieden. Die Gegendemonstranten sollten statt zu stören nach vorne kommen und diskutieren, »was die Militärwerbung für die Kinder bedeutet, was die Aufrüstung für die Deutschen bedeutet«, schlägt Mikhalkevich ihnen vor. Doch die gehen darauf nicht ein.

Nationalflaggen werden nicht geschwenkt, abgesehen von einer DDR-Fahne, die schmunzelnd geduldet wird. Zwar haben ein paar Leute russische Fahnen mitgebracht. Doch Ordner bitten, diese Fahnen einzurollen und lieber einen der Luftballons zu nehmen, die am Ende der Veranstaltung losgelassen werden: Zu Nenas Popsong »99 Luftballons«, der eine Friedensbotschaft transportiert. Der Wind steht günstig und treibt die Ballons in Richtung Bundeswehr. Die schickt ihrerseits einen Gruß. Extrem tief überfliegt zweimal eine große Propellermaschine der Luftwaffe die Kundgebung – vermutlich als Hingucker für die Besucher auf dem Festplatz. Stefan Natke, Landesvorsitzender der kommunistischen DKP in Berlin, interpretiert den Überflug aber anders. Für ihn war das eine gezielte Provokation. Schließlich hätte die Maschine den Festplatz auch aus einer anderen Richtung ansteuern können, meint er.

Als die Kundgebung gerade beendet ist, überrascht ein sintflutartiges Gewitter die Teilnehmer. Sie flüchten sich in Hauseingänge und treffen dort teils mit Besuchern der Bundeswehr zusammen, darunter ein Jugendlicher aus Oranienburg, der in zwei Jahren Soldat werden möchte.

Bereits am Freitagabend gibt es eine Kundgebung der Berliner Linken am Showroom der Bundeswehr neben dem S- und U-Bahnhof Friedrichstraße. Dort warnt der Landesvorsitzende Maximilian Schirmer vor reichlich 70 Zuhörern: »Der Tag der Bundeswehr ist kein harmloses Familienfest!« Markus Tervooren von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes erinnert sich, dass in seiner Jugend fast alle Mitschüler den Wehrdienst verweigerten – so wie Campino, Sänger der Band »Die Toten Hosen«, der das nun nicht mehr tun würde. Tervooren sagt: »Ich würde es natürlich immer wieder tun.« Nicht verweigert hat Daniel Lücking, der ebenfalls das Wort ergreift. Als Berufsoffizier machte er einst im Einsatz in Afghanistan bittere Erfahrungen und klärt heute als nd-Journalist über die Zustände bei der Bundeswehr auf.

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