Gegenoffensive der Ukraine hat bisher wenig gebracht

Die Informationen zur Gegenoffensive der ukrainischen Truppen sind widersprüchlich

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Kiew hat eine weitgehende Nachrichtensperre verhängt, Russland verteilt patriotische Heldengeschichten. So gibt es kaum verlässliche Fakten darüber, ob und wie Kiew sein von Russland okkupiertes Territorium zurückholt.

Informationen liefern häufig Blogger-Kollektive, die bei Twitter oder Telegramm durch Fotos, Videos und Daten verifizierbare Meldungen finden. Kompliziert wird es, wenn angeblich eroberte Orte ob ihrer Bedeutungslosigkeit nur schwer zu finden sind. Oft liegen solche Weiher im Niemandsland zwischen den verfeindeten Truppen.

So viel ist sicher: Seitdem die Ukraine ihre lange erwartete Gegenoffensive begann, sind Kiews Truppen nur minimal vorangekommen. Zunächst versuchten sie, Schwachstellen in den tief gestaffelten russischen Stellungen aufzuklären. Mit Panzern wollte man anschließend einen Keil in das besetzte Gebiet treiben, um Putins Truppen im Osten zum Rückzug zu zwingen und im Süden Russlands Korridor zur Halbinsel Krim zu durchtrennen.

Würde es die von Kiew verbal behaupteten Angriffserfolge tatsächlich geben, wäre die Berichterstattung der gesteuerten Medien eine andere – schon, um die Moral der ukrainischen Truppen und die Geberlaune westlicher Staaten zu fördern. Manche Experten halten die bisherigen Attacken deshalb für eine Finte. Immerhin hat die Nato rund 60 000 ukrainische Soldaten ausgebildet und deren Kommandeure in der Taktik verbundener Waffen geschult. Mindestens zwölf ukrainische Bataillone sind mit westlicher Panzertechnik ausgestattet, neun davon kampfbereit. Bislang sah man davon vermutlich nur drei auf dem Schlachtfeld. Sie wurden jedoch nicht so massiert eingesetzt, dass sie einen Angriff in die gegnerische Tiefe führen konnten.

Aus der vermuteten südlichen Hauptstoßrichtung von Saporizhzhja nach Melitopol und zum Asowschen Meer hört man derzeit verdächtig wenig. Durch die Sprengung des Kachowka-Staudamms war der südwestliche Raum zeitweise nicht passierbar. Das Wasser ist weg und ukrainische Stoßtrupps versuchen angeblich, neue Brückenköpfe zu bilden. Als Ausgangspunkt echter Angriffe?

Die britischen »Challenger«-Panzer tauchten bislang kaum auf. Von Frankreich gelieferte Radpanzer erwiesen sich als für Angriffsoperationen nicht geeignet. Anders als die deutschen Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 sowie die Bradley-Schützenpanzer aus den USA. Doch beide blieben bereits weit vor den ersten russischen Gräben in Minenfeldern stecken. Dabei begingen ukrainische Kommandeure haarsträubende taktische Fehler. Auch wenn man die von Russland verbreiteten Wrack-Videos nicht überbewerten darf: Gemessen an den hochstehenden Erwartungen, die westliche Experten geweckt hatten, sind die Bilder ernüchternd.

Es scheint, dass die russischen Streitkräfte aus ihrer überheblichen und deshalb gescheiterten Angriffstaktik der ersten Kriegsmonate Lehren gezogen haben. Dass Putins Soldaten, deren Moral am Ende schien, nun derart erfolgreich kämpfen können, trauten ihnen viele Experten nicht mehr zu. Moskaus Armee setzt nicht nur auf tiefe Stellungssysteme, man setzt auch auf bewegliche Abwehrkräfte. Mit vergleichbaren Taktiken haben die ukrainischen Soldaten die Russen beim Einmarsch bekämpft.

Um am Boden tatsächlich voranzukommen, braucht die Ukraine neben einer soliden Aufklärung die Unterstützung aus der Luft. Doch die Lufthoheit an der Front liegt bei den Okkupanten – jedenfalls so lange, wie Kiew noch keine F-16-Kampfjets mit topp ausgebildeten Piloten einsetzen kann. Kiews Truppen haben zudem keine effektive Luftabwehr, mit der man die russischen Kampfhubschrauber fernhalten könnte. Beim Versuch, in Frontnähe deutsche Iris-T-Fla-Raketen einzusetzen, wurde ein Leitgerät zum leichten Ziel für russische Drohnen.

Auffällig ist: Berichterstatter beider Seiten informieren erstmals seit Beginn des russischen Überfalls über die Arbeit von Militärärzten, zeigen verstörende Aufnahmen aus Lazaretten. Das spricht für schwere Verluste insbesondere in den Reihen der ukrainischen Truppen.

Momentan sind hinhaltende Kämpfe zu registrieren. Kiew versucht, diese operative Pause zur Neuaufstellung mechanisierter Truppen zu nutzen. Vermutlich werden frische Kräfte, die im Raum zwischen Dnipro und Saporischschja in Bereitschaft lagen, herangeführt. Wann sie gegen die russischen Stellungen anrennen können, ist ungewiss. Die Zeit scheint gegen Kiews Pläne zu arbeiten und Russlands Präsident Wladimir Putin zeigt sich überzeugt, dass sich der Westen früher oder später zurückziehen wird, weil die Ukraine Russland nicht besiegen kann.

Während an den Fronten ein relatives Patt besteht, versuchen beide Seiten weiter, den Heroismus ihrer Soldaten zu stärken. Russlands Verteidigungsministerium setzt üppige Prämien aus für Soldaten, die westliche Waffensysteme ausschalten. So erhalten Soldaten, die einen Panzer vernichten, etwa 100 000 Rubel. Abgeschossene Hubschrauber oder Himars-Raketenwerfer aus den USA sind 300 000 Rubel wert.

Doch da geht noch mehr. Nikolai Baskow und Grigori Leps – einer ist ein beliebter Opern-, der andere ein bekannter Rocksänger – versprachen dieser Tage öffentlich je eine Million Rubel (umgerechnet knapp 11 000 Euro) für jene Soldaten, die in der Ukraine einen »Leoparden« erlegen. Genug Geld für ein »Heldenbegräbnis«.

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