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Koloniestraße 10: Grüner Kulturort von Abriss bedroht

Ein Investor will einen historischen Gebäudekomplex in Wedding für Mikroapartments plattmachen

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.
Jean Sommer und Marie Münch in ihrem grünen Idyll. Gerade haben sie eine neue Mitbewohnerin entdeckt: eine Mönchsgrasmücke
Jean Sommer und Marie Münch in ihrem grünen Idyll. Gerade haben sie eine neue Mitbewohnerin entdeckt: eine Mönchsgrasmücke

Es blüht, duftet, summt und zwitschert in dem 120 Meter langen Hinterhof der Koloniestraße 10 in Wedding. An den Backsteinmauern der historischen Remisen wachsen Apfel-, Birnen- und Pfirsischbäumchen hinauf. Der hintere Teil des Hofes wird von Weinreben überwuchert. Unterteilt sind einzelne Hofabschnitte durch dicke, grüne Hecken, Blumen-, Gemüse- und Kräuterkübel. Schon vor 30 Jahren wurde der Gebäudekomplex von den damaligen Eigentümer*innen mit einer Förderung des Senats aufwendig begrünt.

»Ich habe 2014 das erste Mal hier gearbeitet, die Gartenanlage gepflegt und gedacht, ich sei im Paradies«, sagt Jean Sommer zu »nd«. Zwei Jahre später zog er mit seiner Partnerin Marie Münch selbst in eine der vier Mieteinheiten in den Remisen. Zu dieser Zeit wurde der 1860 erbaute Fuhrhof – einer der größten, die in Berlin erhalten sind – noch von einer Tanzschule, verschiedenen Werkstätten und Künstler*innenateliers belebt.

Doch nachdem die Gebäude 2017 an einen Immobilienkonzern verkauft wurden, bekamen sämtliche Gewerbemieter*innen die Kündigung – trotz eines Briefes, in dem der damalige Kultursenator Klaus Lederer (Linke) den neuen Eigentümer darum bat, den Gewerbemieter*innen dauerhafte Mietverträge zu geben. »Das Gelände beherbergt einen wichtigen Standort der Kunstproduktion«, so Lederer Ende 2017.

Seit inzwischen sechs Jahren stehen die 40 Einheiten größtenteils leer. Die historischen Garagen auf der rechten Hofseite, die einst die Pferdefuhrwerke beherbergten, mit denen Obst und Gemüse nach Berlin geliefert wurde, werden nun von Spatzen, Fledermäusen und anderen Gebäudebrütern bewohnt. Immerhin: Unter anderem waren es die Vögel, die die Koloniestraße 10 schon einmal retteten.

2018 und 2020 habe es Versuche gegeben, die Garagen abzureißen, um Mikroapartments Platz zu machen, berichten Sommer und Münch. Beim ersten Mal hätten Bauarbeiter*innen bereits Türen eingerissen, bevor der Abriss vom Bezirk gerade noch so gestoppt worden sei. Ein Umnutzungsantrag der Bewohner*innen beim Bauamt wurde zu diesem Zeitpunkt noch bearbeitet. Münch holt ein Konzept zum Erhalt der Gebäude hervor, das sie selbst in Auftrag gegeben hatten: Die Darstellung zeigt den Komplex, ergänzt um Aufstockungen mit weiteren Wohnungen und Gründächern. Die Bewohner*innengemeinschaft würde ihr Zuhause gern selbst kaufen und entsprechend umbauen – stieß bei den Investoren bislang jedoch auf taube Ohren.

Zwei Jahre später scheiterte ein weiterer Abrissversuch, diesmal weil die untere Naturschutzbehörde einschritt. In einem »nd« vorliegenden Schreiben von Mai 2020 informiert das Amt darüber, dass bei vorhandenen Nist- und Ruhestätten ein naturschutzrechtliches Genehmigungsverfahren nötig sei. Laut einem von den Bewohner*innen in Auftrag gegebenen Fachgutachten sind die Nistkästen »zwingend als alternativlos geschützte Lebensstätten zu betrachten«. Und auch zu den Hecken als Lebensraum gebe es für die Tiere in direkter Umgebung keine Alternative.

Pikant an den Abrissversuchen: »Romeo Uhlmann hatte sich die ganze Zeit bereits als Eigentümer ausgegeben«, sagt Sommer. Uhlmann ist Geschäftsführer der Grundkontor-Projekt GmbH, die Sommer zufolge den hinteren Teil der Koloniestraße 10 – das heißt, die Remisen, die Garagen und den Großteil des Hofes – 2022 erwarb, um dort Studierendenapartments zu errichten. Uhlmann habe also zwei Mal Abrissunternehmen geschickt, bevor ihm die Gebäude überhaupt gehört hätten, so Sommer. Er mache wohl mit dem vorherigen Eigentümer, dem immer noch das Vorderhaus gehört, gemeinsame Sache, vermuten die Anwohner*innen.

Auch für Martha Kleedörfer, die Sprecherin für Wohnen der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte, sind die Hintergründe »völlig unerklärlich«. »Der Investor ist in dermaßen dicken Hosen aufgetreten«, sagt sie zu »nd«. Trotz mehrmaliger Anfrage wollte sich Uhlmann gegenüber »nd« nicht zu der Sache äußern. Das Nachbargrundstück Koloniestraße 11 gehört ihm schon länger und dort steht bereits die Miniapartmentanlage Campus Viva 2: ein großer grauer Klotz mit Betoninnenhof und Wohnungen für rund 25 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. Den Bewohner*innen der Hausnummer 10 wurde schon mehrfach die Kündigung angedroht. Langfristig wolle Uhlmann auch ihre Wohnungen plattmachen für Campus Viva 3, sagen sie.

Durch politische Arbeit und Vernetzung mit Initiativen wie Deutsche Wohnen & Co enteignen konnten sie das bislang verhindern. Für Sommer und Münch ist die Koloniestraße 10 mehr als nur ihr Wohnraum. »Wir sind ein soziales Projekt«, betont Sommer. Der Innenhof habe sich als beliebter Nachbarschaftstreff etabliert, in dem regelmäßig Feste, Flohmärkte, Konzerte oder andere Kulturveranstaltungen stattfinden. Eine Nachbarin kommt vorbei und bringt selbstgebackenen Kuchen mit. »Es ist wichtig, in der Stadt offene Systeme zu haben, die nicht durch Konsum definiert sind«, findet Münch. »Die Investoren denken, sie kaufen ein Haus, aber das ist ein Lebensraum.«

Hinzu komme der positive Einfluss auf Biodiversität und Klima durch das viele Grün. Das geht auf der Terrasse des Paares auf einer der Remisen sogar noch weiter. Zwischen den zahlreichen Topfpflanzen schwirren Libellen herum, unter dem Dach brütet eine Taube. Während die Umsetzung des Schwammstadt-Prinzips anderswo in Berlin nur schleppend vorankommt, ist der ehemalige Fuhrhof mit den begrünten Fassaden und dem teilentsiegelten Boden »ein Vorbild für den ökologischen Stadtumbau«, wie der Landschaftsarchitekt Ralf Steeg, der den ökologischen Umbau damals umgesetzt hatte, der Koloniestraße 10 bescheinigt.

Ende 2021 beauftragte die BVV Mitte das Bezirksamt zu prüfen, ob das historische Gebäudeensemble Koloniestraße 10 zum städtebaulichen Erhaltungsgebiet ernannt und entsprechend vor Abriss geschützt werden könnte. Eine Empfehlung des Landesdenkmalamts liegt »nd« vor. In einer Stellungnahme des Historikers Dirk Moldt heißt es: »Der Hof ist Ziel und Mittelpunkt jahrzehntelangen bürgerschaftlichen Engagements. Abriss und Überbauung widersprechen eklatant dem Selbstverständnis von einer offenen, ökologischen und sozialen Stadt.« Auch Wolf Wendlandt, Vorsitzender des Denkmalrats Reinickendorf, plädiert in dem »nd« vorliegenden Protokoll einer Begehung »vorbehaltlos für die Unterschutzstellung dieses historischen Gebäudes«.

Linke-Politikerin Kleedörfer zufolge wurde die städtebauliche Erhaltung jedoch bislang nicht beschlossen, auch wird sie sehr wahrscheinlich abgelehnt. Dass ein einzelner Gebäudekomplex städtebaulich geschützt werde, sei unüblich, daher fürchte Mittes Stadtentwicklungsstadtrat Ephraim Gothe (SPD) wohl, dass der Investor dagegen klagen könnte. Gothe habe sich in der Vergangenheit sehr für die Koloniestraße 10 eingesetzt, erklären sowohl Kleedörfer als auch die Bewohner*innen. »Aber er traut sich nicht, diesen rechtlich umstrittenen Schritt zu gehen – was sehr schade ist«, sagt die Linke-Politikerin. Gothe selbst war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Zurzeit wird das Naturschutzgutachten zur Koloniestraße 10 geprüft, was momentan das Einzige ist, das dem Abriss noch im Weg steht. »In der Vergangenheit wurden von verschiedenen Ämtern die Möglichkeiten versäumt, das Gebäude zu retten. Das ist eine Katastrophe für die Mieter*innen und die Stadtnatur«, bilanziert Martha Kleedörfer.

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