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Alle zusammen gegen Rojava
In Astana beraten Vertreter der Türkei, Russlands, Irans und Syriens die Zukunft des Bürgerkriegslandes
Die Straße, die von der nordsyrischen Großstadt Qamişlo nach Osten an die irakische Grenze führt, ist eine der Hauptverkehrsadern der autonomen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, die im Westen meist als »Rojava« bekannt ist. Rojava gehört völkerrechtlich zu Syrien, verwaltet sich aber nach basisdemokratischen Prinzipien selbst. Kurd*innen, Araber*innen und christliche Minderheiten leben dort friedlich zusammen.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Rund 30 Kilometer östlich von Qamişlo, in der Nähe der Kleinstadt Tirbespiyê, griff zu Beginn der Woche eine türkische Drohne ein Fahrzeug an. Drei der vier Insassen kamen dabei ums Leben. Es waren Zivilist*innen, die in Rojava kommunalpolitisch aktiv waren: Die Vorsitzende des Kantons Qamişlo, Yusra Derwêş, ihre Stellvertreterin Lîman Şiwêş und ihr Fahrer Firat Tûma. Laut der unabhängigen Medienorganisation »Rojava Information Center« wurden 2023 bereits 13 Zivilist*innen bei türkischen Drohnenangriffen getötet und zwölf weitere verletzt. Neben diesen Angriffen hält die Türkei seit Jahren große Teile Rojavas völkerrechtswidrig besetzt.
Die Selbstverwaltung ist für das Nato-Mitglied Türkei ein Dorn im Auge. Für Ankara ist sie ein Ableger der in der Türkei verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Daher agiert die Türkei auf syrischem Boden gegen die Selbstverwaltung. Dies belastet die türkisch-syrischen Beziehungen.
Der jüngste Drohnenangriff erfolgte kurz vor der sogenannten Astana-Runde. Beim zweitägigen Gipfeltreffen in der kasachischen Hauptstadt diskutierten die Vizeaußenminister der Türkei, Russlands, Irans und Syriens die Zukunft des Bürgerkriegslandes. An den Gesprächen nahmen ebenso Geir Pederson, der Sondergesandte der Vereinten Nationen für Syrien, sowie Vertreter aus Jordanien, Irak und Libanon als Beobachter teil. Der Astana-Prozess wurde im Januar 2017 von Russland und der Türkei initiiert, um die verschiedenen Konflikte im Land zu beenden. Das jüngste Treffen stellte bereits die 20. Runde des Gipfels dar. Wesentliche Erfolge konnten bislang nicht erzielt werden – zu unterschiedlich sind die Interessen.
Russland und der Iran unterstützen im Syrien-Konflikt Machthaber Baschar al-Assad. Hunderte russische und auch einzelne iranische Truppen sind in Syrien stationiert. Ebenso unterhält Russland einen Luftwaffenstützpunkt an der syrischen Mittelmeerküste. Während Russland und Iran Assad zur Seite stehen, fördert die Türkei aktiv die syrische Opposition. Dabei stattet Ankara auch zahlreiche islamistische Gruppen mit Geld und Waffen aus, die sich gegen Damaskus richten.
Der größte Streitpunkt in Kasachstan war die türkische Präsenz im kurdisch dominierten Nordsyrien, die Damaskus als Verletzung seiner territorialen Integrität begreift. Die syrische Delegation bekräftigte, dass jede Normalisierung der Beziehungen zwischen Syrien und der Türkei vom vollständigen Rückzug der türkischen Streitkräfte von syrischem Gebiet abhänge, so Ayman Sousan, der stellvertretende syrische Außenminister. Die Türkei ihrerseits begründete die Besatzung als »Terrorabwehr« gegen kurdische Milizen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wies bereits im Mai in einem Interview mit CNN die Idee eines Rückzugs zurück.
Auch wenn in dieser Frage die Fronten verhärtet blieben, endete der Astana-Gipfel mit einer gemeinsamen Erklärung, die in einer »konstruktiven Atmosphäre« ausgehandelt wurde. Sie sprach sich gegen den »illegalen Gewinn und Transfer« des syrischen Erdöls aus, was sich implizit gegen die Präsenz US-amerikanischer Truppen in Syrien richtet. Zudem wurde Unterstützung für eine Rückkehr von Geflüchteten nach Syrien eingefordert – vor allem nach Rojava.
Die Selbstverwaltung ihrerseits war zum Astana-Treffen nicht eingeladen. Bedran Çiya Kurd, der Co-Vorsitzende des Außenbüros der Selbstverwaltung, erklärte dazu: »Wir sind weiterhin bereit zum Dialog mit allen Akteuren, die an einer Lösung der Syrien-Krise interessiert sind.« An diesem Dialog hatte das Autokratentreffen in Kasachstan jedoch kein Interesse. Vielmehr wurde Rojava in der Abschlusserklärung als »separatistischer« und »illegaler Regierungsversuch« bezeichnet und alle Staaten der Terrorunterstützung angeklagt, die Rojava unterstützen. Kamal Sido, Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker, kritisierte dies scharf: »Kurdische Verbände kooperieren seit Jahren mit den USA im Rahmen der Anti-IS-Koalition. Die USA, die in der Region den Luftraum kontrollieren, wollen oder können die Kurden jedoch nicht vor türkischen Angriffen schützen. Denn Erdoğan ist ein Nato-Verbündeter, den man auf Kosten der Kurden bei Laune halten will.« Es ist zu befürchten, dass weitere türkische Angriffe auf Rojava folgen werden.
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