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»Seven Nation Army«: Wichita, wow!
Vor 20 Jahren erschien »Seven Nation Army«, der große Hit der White Stripes
Auf die Verfeinerung folgt in der Rockgeschichte unausweichlich die Rückkehr in die Garage. Als sich um die Jahrtausendwende der Rock ’n’ Roll in Emocore, Post Grunge, Nu Metal etc. zu verfransen und vor allem zu langweilen begann, war es mal wieder an der Zeit, sich auf das zu besinnen, worauf es immer schon ankam: einen Riff, einen Beat, eine Geschichte. Natürlich in Detroit, von jeher der Ort, in dem Rock-Simplizismus überleben konnte. In der abgewirtschafteten Motor City stehen genügend Hallen leer; hier hält sich eine Szene, die immer noch da ist, wenn woanders schon wieder an der Sublimation geklöppelt wird.
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The White Stripes entstammen dieser Industriebrache. Mit der Garagenrock-Szene entstand eine verrostete musikalische Gegenwelt, die ihrem Eskapismus zum Trotz genug von dem urbanen Katastrophengebiet abbildet, das sie eigentlich vergessen lassen will. Ende der 90er sind The White Strips eine Band unter vielen anderen, aber Meg und Jack White hauen eben nicht nur drauf, weil das so viel Spaß macht, sie sind nicht nur simpel aus Intuition, sondern aus Kalkül. Sie geben ihrem musikalischen Reduktionismus-Konzept einen schlüssigen Überbau, der Ikonografie und Image mit einschließt.
Sie stellen sich in eine ästhetische Tradition, die Freiheit und Spiritualität gerade in der gewollten Beschränkung sucht. »De Stijl« heißt ihr zweites Album, nach der holländischen Kunstbewegung, die ihre Farbpalette reduziert und nur noch gerade Linien verwendet. Auch die White Stripes üben sich in äußerstem Verzicht. Sie streichen den Bass, nutzen nur die Farben Schwarz, Weiß, Rot für Outfit und Covergestaltung, erzählen in einer simplen Sprache simple Storys voller Leerstellen und damit natürlich voller Geheimnisse. Meg Whites Drumming orientiert sich am stampfenden Fuß des Blues, und Jack ist der personifizierte Gegenentwurf zum Gitarrenhelden. Die Simplizität, die sie inszenieren, ist ebenso schlüssig wie tricky – und vor allem ungemein suggestiv.
Als 2001 ihr drittes, in drei Tagen zusammengenietetes Album »White Blood Cells« durch die Decke geht und sie einen fetten Deal mit dem Major Label V2 an Land ziehen, ist plötzlich Geld da für eine üppige Produktion. Die erklärten Minimalisten lassen es sich jetzt richtig gut gehen und buchen für dekadente anderthalb Wochen das Londoner Toe-Rag-Studio. Es hat ganze acht Spuren. »Wenn man zu viele Möglichkeiten hat, zerstört das die Kreativität«, hat Jack White später erklärt. »Wenn man einen Künstler nimmt, den man respektiert, und ihn mit einer kaputten Gitarre und einem Zweispurgerät in einen Raum setzt, wird dabei etwas Interessanteres herauskommen, als wenn man ihn in irgendein schickes Studio in L. A. steckt und ihm sagt, dass er zwei Millionen Dollar ausgeben kann.«
Tatsächlich hat es bei ihnen genau so funktioniert. Das von ihnen derart aufgenommene Album »Elefant« hat sich bis heute über vier Millionen Mal verkauft. Es erscheint im April 2003. Und vorher, Anfang März, bereits die erste Single-Auskopplung. Ganze 37 Wochen ist »Seven Nation Army« dann in den »Billboard«-Charts und in der Abteilung »Modern Rock Tracks«, immerhin drei Wochen auf Platz eins.
Der pathetische Titel geht zurück auf einen Hörfehler. Die »Salvation Army«, Heilsarmee, war gemeint, doch als Kind verstand Jack White immer »Seven Nation Army«. Diese Armee bringt seine von Kino und Comics angefixte Jungsfantasie erst richtig auf Trab. Musikalisch lässt er hier eine Sieben-Noten-Armee aufmarschieren. Ein einziger Riff in verschiedenen Aggregatzuständen, unterbrochen nur von einer Bonsai-Bridge.
Und worum geht es in dem Song? »Der Song handelt von Tratsch«, lässt White später verlauten, »von einem Typen, über den sich seine Familie und seine Freunde das Maul zerreißen. Das versetzt ihn derart in Rage, dass er die Stadt verlassen will.« Ein bisschen treibt seine Erläuterung dem Song die Poesie aus. Denn eigentlich erzählt White darin auch von einer anderen, einer mythischen Zeit, als ein Ort wie Wichita noch einen anderen Klang hatte, weil der Weg dorthin ein ziemlicher Ritt war, westwärts. »I’m going to Wichita / Far from this opera forevermore / I’m gonna work the straw / Make the sweat drip out of every pore ...« White schlägt hier einen großen Bogen vom Freiheitsfetisch und der Rebellenattitüde der Beats zum Leidenspathos und Verzweiflungslamento der alten Bluesmen. Und es ist wohl, wie bei seinem großen Vorbild Bob Dylan, gerade ihre Vieldeutig- und damit auch Anschlussfähigkeit, die diese Verse so suggestiv macht. Vermutlich kann da jeder etwas ganz Individuelles hineinlesen.
Aber für die unglaubliche Rezeptionsgeschichte des Songs, seinen wahren Ruhm spielen Worte dann gar keine Rolle. Es ist das Riff-Mantra, das keine Gitarre braucht, das sich von erfolgs- oder auch einfach nur so besoffenen Fußballfan-Kehlen genauso hervorragend reproduzieren lässt.
Der Legende nach beginnt alles in einer Sportsbar in Mailand am 22. Oktober 2003. Der FC Brügge spielt in der Gruppenphase der Champions League gegen den AC Mailand, den vormaligen Champions-League-Gewinner. Brügge ist der Underdog und darf sich nicht viel ausrechnen im Giuseppe-Meazza-Stadion, deshalb trinken sich die mitgereisten Ultras bis zum Spiel ordentlich Mut an. Die Stimmung wird enthusiastischer, bei Milan fehlt Mittelfeldstratege Gennaro Gattuso, vielleicht geht ja doch was ... Und dann brät plötzlich »Seven Nation Army« durch die Kneipe, dessen Gröltauglichkeit die Brügge-Fans offenbar sofort erkennen und ausgiebig erproben.
Natürlich gewinnen die Belgier das Spiel mit der Kraft dieses Jahrhundertriffs im Rücken. Auch weil die Mailänder eine Großchance nach der anderen versieben, während der Peruaner Andrés Mendoza noch vor der Pause einen schnellen Konter von Brügge mit einem Außenristhammer ins rechte obere Eck vollendet. Die belgische Reisegesellschaft, geschlossen im Siegestaumel, kanalisiert ihre Frénésie durch das gemeinsame Absingen der erst nachmittags erlernten frohen Botschaft. Ohne Worte. »OHH – oh-OH-oh oh – OHH – OHH.« Die Mailandfahrer sorgen im Anschluss dafür, dass der Triumphgesang in O sich auch im Jan-Breydel-Stadion etabliert und schließlich zur inoffiziellen Vereinshymne avanciert.
Einige Zeit später, am 15. Februar 2006, gastiert der AS Rom in Brügge. Es ist das Hinspiel der dritten Runde im Uefa-Cup. Die römischen Fans erfreuen sich an den Sangeskünsten auf der anderen Seite der Arena, und weil sie das Spiel auch noch 1:2 gewinnen, ahmen sie entsprechend gut gelaunt die gegnerischen Chöre nach. Ein bisschen Häme ist natürlich auch dabei. Jetzt kommt es zu einem klassischen Re-Import: Die Römer nehmen diesen triumphalen »Field Holler« mit nach Rom, von wo aus er sich in ganz Italien verbreitet. Bei der Weltmeisterschaft in Deutschland im selben Jahr stärken die italienischen Fußballfans ihrer Nationalmannschaft damit den Rücken. Und nun bekommt auch Jack White Wind davon. »Ich fühle mich geehrt, dass die Italiener den Song zu einem der ihren gemacht haben«, zitiert ihn der »New Musical Express«. »Ich finde es toll, dass die meisten Leute, die die Musik singen, überhaupt nicht wissen, wo sie herkommt. Das ist Folk-Musik.«
Was dann passiert, wird er vermutlich nicht ganz so wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. Die Uefa benutzt »Seven Nation Army« bei der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz als Score für den Einlauf der Gladiatoren. Immerhin landet der Song so fünf Jahre nach seiner Erstveröffentlichung noch einmal in den deutschen Singlecharts. Verschiedenste Vereine integrieren ihn nun in ihre Stadion-Liturgie, als Torhymne vor allem, und längst findet er auch beim American Football, Eishockey, bei Formel-1-Rennen Verwendung.
Eine so totale Vereinnahmung hat am Ende immer auch etwas Trauriges. Aber das gehört nun mal zu den Schattenseiten des Ruhmes, die der Song selbst skizziert: »They’re gonna rip it off …« In der Wirklichkeit allerdings gibt es kein Entkommen. Nicht mal in Wichita.
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