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Special Olympics: Die Spiele ihres Lebens

Das inklusive Sportfest in Berlin zeigt, wie Inklusion funktionieren kann – und wo sie noch scheitert

  • Noah Kohn
  • Lesedauer: 5 Min.
Endlich mal im Mittelpunkt: Sportler und Sportlerinnen mit geistiger Behinderung, wie Judoka Dijana Kontic aus Österreich.
Endlich mal im Mittelpunkt: Sportler und Sportlerinnen mit geistiger Behinderung, wie Judoka Dijana Kontic aus Österreich.

Auf den letzten 100 Metern beißt Elena Bergen noch einmal die Zähne zusammen. Sie schaut weder nach links, noch nach rechts und rauscht an den jubelnden Zuschauern vorbei – die Ziellinie der Radrennstrecke vor der Siegessäule fest im Blick. Jetzt noch einmal alles geben und ein paar Sekunden erhaschen, dann kann es mit einer Medaille bei diesem Zeitfahren der Frauen über zwei Kilometer klappen.

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»Du bist Dritte geworden«, rufen zwei Teamkollegen Bergen zu, als sie von der Strecke auf der Straße des 17. Juni in den Athletenbereich zurückkehrt. »Ihr wollt mich doch vergackeiern« antwortet Bergen ihnen und fasst sich an die Stirn. »Damit habe ich nicht gerechnet!«

Eine Woche lang traten über 6500 Athletinnen und Athleten mit geistiger und mehrfacher Behinderung wie Bergen bei den Special Olympics World Games in Berlin gegeneinander an – überall aus der Welt waren sie angereist, um sich in 26 verschiedenen Sportarten zu messen. Bergen reiste aus Aglasterhausen in Baden-Württemberg an. Berlin gab ihr und den anderen Athleten eine Bühne, die sie sonst selten bekommen. Fernsehsender strahlten die Wettbewerbe in dutzenden Ländern aus; die Zuschauer sahen ein sportliches Spektakel und lernten Menschen mit ganz unterschiedlichen Geschichten kennen.

So wie Radfahrerin Elena Bergen. Als ihre Eltern starben, holte ihr Onkel sie aus Russland nach Deutschland. Das war im Jahr 1996. Woran ihre Eltern gestorben sind, wisse sie bis heute nicht, sagt die 38-Jährige. Ihre Großmutter, die sich hier um sie kümmern wollte, wurde der Aufgabe nicht gerecht. Bergen kam in die Obhut des Jugendamts. Heute arbeitet sie in den Werkstätten der Johannes-Diakonie Mosbach. Radsport ist eine der Freizeitaktivitäten, die dort angeboten werden. »Eine Freundin hat mir extra die Haare geschnitten für Berlin«, sagt Bergen, die mehrmals die Woche trainiert und mit aerodynamischer Kurzhaarfrisur zu den Weltspielen angereist ist.

Am Sonntagabend sollten die Spiele mit einer großen Abschlussfeier am Brandenburger Tor schon wieder ein Ende finden. Bergens Bronzemedaille ist eine von über 150 Medaillen, die die deutsche Delegation bei den Weltsommerspielen gewann. »Aus sportlicher Sicht können wir mehr als zufrieden sein. Unsere Sportler haben in Berlin ihr Bestes gegeben und ich sehe in der Delegation viele glückliche Gesichter. Der Stolz, für Deutschland hier in Berlin gute Platzierungen zu erreichen und Medaillen gewinnen zu können, hat das Team durch die Wettbewerbstage getragen«, zog der Delegationsleiter der deutschen Mannschaft, Tom Hauthal, ein sportliches Fazit. »Sehr gefreut hat uns zudem die Unterstützung der zahlreichen und begeisterten Zuschauern an den Sportstätten«, so Hauthal weiter.

Rund 330 000 Menschen besuchten laut Veranstalter Special Olympics International (SOI) die Spiele. Vielleicht wären es sogar mehr gewesen, wenn nicht so viele Rolltreppen und Fahrstühle an den Berliner Bahnhöfen kaputt wären. Barrierefreiheit sieht anders aus. Teilhabe scheitert aber auch manchmal dann, wenn ein Mensch mit Rollstuhl nicht in die überfüllte Ringbahn reinpasst. Und auch nicht in die nächste Bahn. Weil niemand Platz macht.

Selbst im Teamhotel der deutschen Delegation, dem »Park Inn« am Alexanderplatz, war einer der Fahrstühle defekt. »Die Aufzüge dort sind scheiße. Du musst ewig warten, bis die kommen«, sagt Bergen. Bis zu 20 Minuten hätten sie und ihre Teamkollegen manchmal warten müssen.

Gleich ist die Siegerehrung des Rennens, bei dem sie Dritte wurde. Aus Lautsprechern dröhnt laute Chart-Musik, einige Athleten vertreiben sich die Wartezeit mit einem Tanz am Rand der Rennstrecke. »Gestern habe ich da auch getanzt«, sagt Bergen. Sie steht vor einem Zelt, in dem die Fahrräder der Fahrer und Fahrerinnen aufbewahrt werden: Modernste Rennräder, Gravelbikes, Dreiräder; aber auch klapprige Mountainbikes und alte Stadträder – ungewöhnlich für ein Zeitfahrrennen.

»Wenn es Länder mit Geld sind, zum Beispiel Kuwait, da sieht man, die haben hochwertige Rennräder. Und dann gibt es Länder, wie zum Beispiel Indien, die kein Geld haben. Die kommen dann teilweise hier an und haben noch nicht mal für alle Athleten Räder dabei«, erklärt Martin Weber, Trainer von Elena Bergen, die Diskrepanz des Materials. »Die spekulieren dann darauf, dass sie hier Räder gestellt kriegen. Oder sie haben Räder dabei, die sind schrottreif. Sogar Räder ohne Bremsen habe ich hier schon gesehen«, sagt Weber. Gleichberechtigte Teilhabe ist auch bei den Special Olympics manchmal eine Frage des Geldes.

Später auf dem Siegerpodest, welches acht statt der üblichen drei Stufen umfasst und somit jede Teilnehmerin würdigt, strahlt Bergen. Sie wisse ganz genau, was sie mit der Bronzemedaille in der Heimat machen will: In die Schublade legen, wo sich schon die Medaillen aus vergangenen Veranstaltungen der Special Olympics türmen, sagt Bergen. Ein Andenken an diese fulminanten Tage in Berlin, die vielleicht auch zu einem Umdenken in Richtung mehr Inklusion von Menschen mit Behinderungen im Sport führen werden.

Das würde sich auch Christiane Krajewski wünschen. »16 ist die nächste Zielzahl«, sagte die Präsidentin von Special Olympics Deutschland (SOD) am Freitagabend. Derzeit treiben in Deutschland rund acht Prozent der Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Sport – 16 Prozent strebt Krajewski an, am besten schon bei den nächsten Weltspielen in vier Jahren im australischen Perth. Das übergeordnete Ziel bleibt 32 Prozent, wie bei Menschen ohne Beeinträchtigung. »Dann ist das Ziel Inklusion erreicht«, so Krajewski.

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