Arbeitsrecht bei Kirchen: Schluss mit Sonderregeln

Beschäftigte kirchlicher Betriebe fordern ihre rechtliche Gleichstellung

  • Daniel Behruzi
  • Lesedauer: 4 Min.

»Kirchlich Beschäftigte sind keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zweiter Klasse«, sagt die Krankenschwester Edda Busse, die im Johanniter-Krankenhaus Stendal arbeitet. »Auch wir wollen an der Gestaltung unserer Arbeitsbedingungen demokratisch mitwirken – mit denselben Möglichkeiten wie in privaten Unternehmen.«

Doch auch im Jahr 2023 ist die Realität in Deutschland eine andere: Die rund 1,8 Millionen Beschäftigten der großen christlichen Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas haben nicht die gleichen Rechte wie ihre Kolleginnen und Kollegen in weltlichen Einrichtungen. Denn sowohl im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) als auch im Betriebsverfassungsgesetz gelten für kirchliche Betriebe Sonderregeln. Eine von gewerkschaftlich aktiven Kirchenbeschäftigten initiierte Unterschriftenkampagne will nun damit Schluss machen.

»Dass die Kirchen Sonderregeln für sich beanspruchen und ihren Beschäftigten grundlegende Rechte vorenthalten, ist völlig aus der Zeit gefallen«, findet auch Daniel Wenk, der sich im Evangelischen Sozialwerk Müllheim als Mitarbeitervertreter und Verdi-Vertrauensmann engagiert. »Dafür haben die allermeisten überhaupt kein Verständnis – weder in der Gesellschaft noch unter den Beschäftigten kirchlicher Einrichtungen.« Wenk und seine Mitstreiter*innen haben deshalb ihre Petition gestartet. Sie richtet sich nicht an die Kirchenleitungen, sondern an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und die Abgeordneten der Regierungsfraktionen – mit dem Ziel, die gesetzlichen Sonderregeln zu beseitigen. Bislang haben nach Verdi-Angaben rund 5000 Menschen unterzeichnet.

Hintergrund ist, dass die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP erstmals in einem Koalitionsvertrag vereinbart haben, kirchliche Sonderrechte zu überprüfen. Die Petition fordert, dass die Ausnahmen sowohl beim individuellen als auch beim kollektiven Arbeitsrecht beseitigt werden. So soll zum Beispiel der Paragraf 9 des AGG gestrichen werden, durch den die Kirchen Menschen unter bestimmten Voraussetzungen ungleich behandeln können. Das haben kirchliche Träger auch immer wieder getan, zum Beispiel, indem sie Beschäftigten kündigen, die aus der Kirche austreten.

Ein aktueller Fall betrifft eine Hebamme, die bereits vor ihrer Einstellung in einem Caritas-Krankenhaus in Dortmund aus der katholischen Kirche ausgetreten und später deshalb entlassen worden war. Ihre Kündigungsschutzklage liegt derzeit dem Europäischen Gerichtshof vor, der prüfen soll, ob der Vorgang gegen EU-Recht verstößt.

Die Beschäftigten von Kirchen, Diakonie und Caritas sind auch bei der betrieblichen Mitbestimmung schlechtergestellt. Statt des Betriebsverfassungsgesetzes gelten kircheneigene Mitbestimmungsregeln. Diese sind weniger wirksam.

Kritiker*innen verweisen darauf, dass sich kirchliche Unternehmen auf dem hart umkämpften »Sozial- und Gesundheitsmarkt« in erster Linie an marktwirtschaftlichen Kriterien orientieren. Ausgliederungen, Tarifflucht, Leiharbeit und sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse sind auch im Kirchenkontext üblich. »Vor 30 Jahren war noch heile Welt, heute wird knallhart betriebswirtschaftlich gerechnet«, kritisiert der Heilerziehungspfleger und Mitarbeitervertreter Jochen Dürr aus Schwäbisch Hall. »Diakonie ist nur noch der Andachtsraum. Deshalb brauchen wir volle Mitbestimmungsrechte.«

Nicht nur die Initiative zur Petition zeigt, dass Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen zunehmend ihre Rechte einfordern. Auch in den Betrieben wächst der Widerstand. So nahmen im Zuge der Tarifbewegung bei Bund und Kommunen im Frühjahr so viele Kirchenbeschäftigte an Aktionen teil wie noch nie zuvor.

In insgesamt 26 konfessionellen Einrichtungen, in denen sich die Arbeitsbedingungen nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst richten, kam es zu Streiks. »Viele Hundert Beschäftigte aus kirchlichen Betrieben haben Mut bewiesen und teilweise trotz Einschüchterung die Arbeit niedergelegt – das ist der Durchbruch«, meint der Gewerkschafter Wenk. »Kirchlich Beschäftigte lassen sich nicht länger ihrer Grundrechte rauben, sich auf die Zuschauerränge verweisen.«

Bei den Themen betriebliche Mitbestimmung und Gleichbehandlung nach dem AGG muss der Gesetzgeber aktiv werden, an den sich die Petition der Beschäftigten richtet. »Die Bundesregierung muss rasch handeln und dafür sorgen, dass die Beschäftigten der Kirchen endlich die gleichen Rechte haben wie andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland«, betont Mario Gembus, bei Verdi für kirchliche Betriebe zuständig. »Dafür machen wir Druck.«

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