Judenhass: Immer mehr Anschläge

Bericht: Fast 2500 antisemitische Vorfälle wurden im vergangenen Jahr erfasst – von Beleidigung bis tätlichen Angriffen

Stereotype und Vorurteile über Juden werden in Deutschland noch immer von Generation zu Generation weitergegeben. Jüdische Menschen sind damit immer wieder konfrontiert. Das wird im Jahresbericht des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) festgestellt, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.

Beispiele für die erschreckende Kontinuität so absurder wie feindseliger Äußerungen wurden bei der Präsentation des Reports genannt. Eines davon: Ein Mann mit Kippa auf dem Kopf will im Café bezahlen. Da sagt die Bedienung über seinen Kopf hinweg: »Ja, dass er Geld hat, sieht man schon an der Mütze, die haben immer genug Geld.«

Die Zahl der erfassten Fälle ist insgesamt um elf Prozent zurückgegangen: von 2738 im Jahr 2021 auf 2480 im vergangenen Jahr. Das seien aber immer noch sieben pro Tag, sagte Bianca Loy, wissenschaftliche Referentin bei Rias. Der Verband unterhält Melde- und Recherchebüros in elf Bundesländern und erstellt mit Hilfe der von ihnen erfassten Vorfälle seine Jahresberichte.

In neun Fällen habe es sich um »extreme Gewalt« gegen Juden, also potenziell tödliche oder schwere Taten gehandelt, so Loy. »Dies ist die höchste Anzahl solcher Fälle seit Beginn der bundesweiten Erfassung 2017.« Dazu zählte Rias die Schüsse auf das ehemalige Rabbinerhaus in Essen, einen Brandanschlag in Bochum und einen vereitelten Anschlag auf die Synagoge in Dortmund.

Der Bundesgerichtshof habe bestätigt, dass diese drei Fälle in Zusammenarbeit von einem Verdächtigen im Iran koordiniert worden seien, sagte Rias-Vorstand Benjamin Steinitz. Der Generalbundesanwalt gehe von einer antisemitischen Motivlage aus. Steinitz forderte die Bundesregierung auf, gegen den »staatlich koordinierten Terrorismus des Iran« vorzugehen. Er verlangte zudem, bestehende »Sicherheitsdefizite für jüdische Gemeinden« müssten von den Bundesländern umgehend behoben werden.

In mehr als der Hälfte der Vorfälle war der politische Hintergrund nicht klar zuzuordnen. 13 Prozent hätten einen rechtsextremen, rund 20 Prozent einen »verschwörungsideologischen« Hintergrund. Dabei seien »Relativierungen der Nazi-Verbrechen und die Abwehr des Gedenkens an die Shoa« weiter die wichtigste Erscheinungsform antijüdischer Ressentiments, so Steinitz.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, lobte die Dokumentationsarbeit von Rias und versprach, sich dafür einzusetzen, dass das Netzwerk und seine Meldestellen dauerhaft finanziert werden. Nach Angaben von Steinitz drohen Kürzungen in mehreren Bundesländern.

Einen Grund dafür, dass 2022 weniger Fälle erfasst wurden als 2021, sieht Klein darin, dass es weniger »Gelegenheitsstrukturen« gegeben habe. Zu dem Mehr an dokumentierten antisemitischen Verhaltensweisen trugen 2021 demnach die Corona-Proteste bei. Dabei zeigten Demonstranten zum Beispiel gelbe Sterne, mit denen sie sich als Opfer eines angeblichen neuen Faschismus inszenierten und sich so mit verfolgten Juden auf eine Stufe stellten. Mit der Aufhebung der Corona-Beschränkungen sank die Zahl solcher Demonstrationen stark, womit es seltener Bühnen für solche Inszenierungen gab.

2022 boten laut Rias vor allem Demonstrationen zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine solche Gelegenheiten. Auf solchen Veranstaltungen wurden elf Prozent der erfassten Vorfälle registriert. Nach Angaben von Bianca Loy wurden aber auch 2022 noch 27 Prozent der Vorfälle auf Veranstaltungen mit Bezug zur Corona-Pandemie registriert, etwa in der Form der Behauptung, dass geheime jüdische Mächte versteckt das Weltgeschehen lenkten.

Klein sieht Judenfeindlichkeit indes insbesondere im Kulturbetrieb als wachsendes Problem. Den Rias-Beratungsstellen wurden im vergangenen Jahr 170 antisemitische Vorfälle in Kultur- und Bildungseinrichtungen gemeldet, 70 mehr als ein Jahr zuvor. Als Beispiele nannte der Antisemitismusbeauftragte unter anderem den Streit über antisemitische Darstellungen auf der internationalen Kunstausstellung Documenta in Kassel und Konzerte des britischen Rockmusikers Roger Waters in Deutschland. Waters ist Unterstützer der Bewegung für einen Boykott von Waren, Dienstleistungen und auch Kulturschaffenden vor allem aus von israelischen Siedlern besetzten palästinensischen Gebieten, teils aber auch aus Israel insgesamt. Die BDS-Bewegung (Boykott – Desinvestition – Sanktionen) wurde per Bundestagsbeschluss im Mai 2019 für antisemitisch erklärt. Waters zeigte aber auch wiederholt antisemitische Symbole wie etwa Luftballons in Schweineform mit einem Davidstern.

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