Europaspiele in Polen: Spektakuläres Skispringen im Sommer

Im Skispringen geht es bei den Europaspielen gerade um Medaillen – eine Antwort auf den Klimawandel

  • Lars Becker
  • Lesedauer: 5 Min.
Skispringen im Juni, Landung auf Matten – bald auch bei Olympia?
Skispringen im Juni, Landung auf Matten – bald auch bei Olympia?

Natürlich ist bei diesem Auftritt der Skispringerinnen bei den Sommersportarten einiges anders als sonst. Das gilt nicht nur für das grüne Umfeld der Schanzen im polnischen Zakopane und die ungewohnt warmen Temperaturen. Rekordweltmeisterin Katharina Althaus trägt nach ihrer Heirat den Namen Schmid. Und sie räumt im Sommer nicht mehr so locker-leicht die Titel ab wie im vergangenen Winter – zum Auftakt der European Games landete die Oberstdorferin am Dienstagabend nur auf Platz 14. Gold holte die Österreicherin Jacqueline Seifriedsberger vor Nika Prevc aus Slowenien und ihrer Landsfrau Marita Kramer.

Katharina Schmid wird es verkraften können – schließlich ist ihr Herz noch voll von ihrer »perfekten« Hochzeit mit Blasmusik, Tracht und einer Hüpfburg als Überraschungsgeschenk. »Cool« sei es trotzdem, bei diesen Europaspielen mal bei den Sommersportarten dabei zu sein. Aber der Fokus liegt immer noch klar auf dem Winter, wie auch die auf Platz acht bestplatzierte Deutsche Selina Freitag erklärt hat: »Wir sind immer noch in erster Linie ein Wintersport.«

Keine Frage: Skispringen ist der verrückteste Gast in diesem europäischen Sommersport-Festival mit insgesamt 29 Sportarten, auch wenn sich die polnischen Gastgeber bei dem größten Multisportevent dieses Jahres sehr innovationsfreudig präsentieren. So steht Teqball im Programm, eine wilde Mischung zwischen Fußball und Tischtennis. Es wird Padel gespielt, die weltweit am schnellsten wachsende Racket-Sportart, die als Fusion aus Tennis und Squash daherkommt. Und die Fans können die besten Kämpfer des Kontinents im Muay Thai live erleben, dem oft brutal wirkenden Nationalsport Thailands.

Bei der Aufnahme des traditionellen Wintersports Skispringen ins Programm spielte eine wichtige Rolle, dass die Flieger in Polen Heldenstatus genießen. Der je dreimalige Olympiasieger und Vierschanzentourneesieger Kamil Stoch beispielsweise genießt in Deutschlands Nachbarland eine ähnliche Popularität wie Fußball-Weltstar Robert Lewandowski. Aber das ist nicht der einzige Grund. »Wir zeigen, dass wir im Sommer genauso gut und spektakulär wie im Winter fliegen können. Das wissen ja noch längst nicht alle Menschen auf der Welt. Deshalb sind die European Games die perfekte Werbung für Skispringen als Ganzjahressport«, sagt Männer-Bundestrainer Stefan Horngacher.

Das hat durchaus einen ernsten Hintergrund. »Zwangsläufig werden sich die Zuschauer in Zukunft an den Anblick grüner Schanzen gewöhnen müssen«, sagt Constantin Schmid. Der 23-jährige Team-Olympiadritte spielt damit an auf den Klimawandel, der den gesamten Wintersport in Gefahr bringt. Das Skispringen ist daher schon längere Zeit bemüht, sich als Ganzjahressportart zu präsentieren. Und das ist nicht mal ein Etikettenschwindel, denn laut Horngacher werden »gute Skispringer schon immer im Sommer gemacht«. Der Bundestrainer meint nicht nur das Grundlagentraining: Mindestens 500 Trainingssprünge absolvieren Topathleten in den schneefreien Monaten, dagegen nur etwa 150 im Winter auf Schnee.

Seit inzwischen fast drei Jahrzehnten gibt es mit dem Sommer-Grand-Prix eine Wettkampfserie, bei der sich die besten Skispringer der Welt messen. Sie landen dabei auf mit Wasser benetzten Kunststoffmatten, die einst von DDR-Nationaltrainer Hans Renner erfunden wurden. So wird es auch bei den insgesamt fünf Skisprung-Entscheidungen der European Games auf den Schanzen in Zakopane der Fall sein.

Das Event könnte auch ein Testlauf dafür sein, ob Skispringen künftig sogar ins Programm der Olympischen Sommerspiele wechseln könnte. »Keiner weiß, wie schnell der Klimawandel weitergeht. Vielleicht gibt es irgendwann kein Winter-Olympia mehr«, sagt Horngacher. Selbst die sonst oft weltfremd wirkenden »alten Männer« des Internationalen Olympischen Komitees sehen diese Gefahr. Die Vergabe der Winterspiele 2030 wurde um ein Jahr nach hinten verlegt, um die Daten über die Auswirkungen des Klimawandels auf den Wintersport noch besser analysieren zu können.

Die Skispringer sind für eine Zukunft ohne Schnee jedenfalls bestens gerüstet. Im vergangenen Winter ging der Weltcup-Auftakt im polnischen Wisla schon auf Matten über die Bühne. Und Constantin Schmid kann sich nicht nur theoretisch vorstellen, dass sein Sport irgendwann Teil von Sommer-Olympia wird. »Wir springen im Sommer das exakt gleiche Material wie im Winter. Und wir haben durch die Keramikspur im Anlauf und die Kunststoffmatten im Aufsprung eine ganz andere Zukunftssicherheit als beispielsweise die Alpinen. Die können bei einer Abfahrt nicht einen riesigen Grashang runterfahren.«

Schmid ist bei den Europaspielen der prominenteste deutsche Flieger in einem jungen Team, während andere Nationen wie Polen, Slowenien, Österreich und Norwegen viele Stars am Start haben. »Für Constantin und die anderen Youngster sind die European Games eine perfekte Chance, bei so einem großen Event so etwas wie olympische Luft zu schnuppern. Das ist die perfekte Vorbereitung für Winter-Olympia 2026«, findet Horngacher. Die deutschen Topflieger Karl Geiger, Andreas Wellinger und Markus Eisenbichler setzen dagegen andere Prioritäten und testen im Windkanal in Stockholm Innovationen für die anstehenden größeren Materialveränderungen im kommenden Winter. Bei den European Games werden die Goldmedaillen noch nach den alten Regeln vergeben.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -