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Rechte Einstellungen in Ostdeutschland: Keine guten Neuigkeiten
Die Leipziger Studie zu rechtsextremen Einstellungen in Ostdeutschland sorgte für viel Aufsehen. Dabei sind die Befunde schon seit Langem bekannt
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Ein »Dammbruch« soll die Wahl des thüringischen AfD-Mitglieds Robert Sesselmann zum Landrat in Sonneberg gewesen sein – wieder einmal. Vielleicht ein noch größerer als jener, bei dem sich Thomas Kemmerich 2020 für kurze Zeit mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten Thüringens wählen ließ. Die viel beschworenen Brandmauern und Dämme erzeugen immer wieder den Eindruck eines akuten Rechtsrucks vor allem in Ostdeutschland. Das klingt nach Bedrohung und nach aktivem Prozess, etwa vorangetrieben von der AfD.
Die Empörung war erwartbar groß, als Spiegel-TV zum AfD-Wahlerfolg in Thüringen mit einem Passanten sprach, der offen darüber sinnierte, wann die NSDAP wieder führt. Kaum zu glauben schien auch das Video, in dem die übrigen AfD-Ballons der Wahlfeier einer lokalen Kita überreicht wurden, von einem Neonazi mit dem T-Shirt »Wehrmacht wieder mit«. Diese Szenen zeigen weniger eine akute Radikalisierung rechter Kräfte als vielmehr die Normalität jener Zustände in den ostdeutschen Bundesländern, in denen sich scheinbar jede zweite Person eine starke Partei der Volksgemeinschaft wünscht und rechte und rassistische Gewalt 2022 einen neuen Höchststand in Thüringen erreichte.
Das jedenfalls waren Befunde, die in der vergangenen Woche aus unterschiedlichen Studien und Berichten vorgestellt wurden. Das Leipziger Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI) für Demokratieforschung in Sachsen veröffentlichte seine Studie über rechtsextreme Einstellungen in den ostdeutschen Bundesländern, ausserdem wurde der Bericht »Thüringer Zustände« zu Rechtsextremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit präsentiert. Die Ursachen für (eventuell bevorstehende) Wahlerfolge der AfD besonders im Osten müssen also nicht im »Genderwahn«, der die Menschen in die Arme der Rechten treibe, herbeispekuliert oder bei den ewig abgehängten Protestwähler*innen gesucht werden. Die Bedingungen können in konkreter Faktenlage zu den ostdeutschen Zuständen nachvollzogen werden.
Im Osten nichts Neues
Die Studie des EFBI zur Spezifik Ostdeutschlands erhielt medial große Aufmerksamkeit angesichts der schockierenden Ergebnisse. Rechtsextreme Einstellungen sind durchweg weitverbreitet. Dass es bei knapp der Hälfte der Ostdeutschen hohe Zustimmung für eine Diktatur gebe, machte als Schlagzeile die Runde. Bei den Themen Nationalstolz und »deutsche Interessen« kamen in der Studie Zustimmungswerte zwischen 50 und 60 Prozent heraus. Einzelne Aussagen zur Ausländerfeindlichkeit erreichten Werte bis zu 70 Prozent, etwa mit der These »Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen«. Ebenfalls erschreckend und ein »Warnsignal« seien die Ergebnisse zur demokratischen Kultur. Zwar stimmten annähernd 90 Prozent der Demokratie als Idee zu, aber kaum jemand finde sich darin konkret wieder und knappe 65 Prozent gaben an, dass politisches Engagement sinnlos sei.
Solch alarmierende Befunde taugen zum medialen Schock, zur Empörung und den ritualisierten wie konsequenzlosen politischen Bekenntnissen der bürgerlichen Parteien. Sie sind aber nicht wirklich das, was die Studie ergab. In der repräsentativen Befragung von etwa 3500 Menschen wurde Zustimmung oder Ablehnung zu sogenannten Items mit einer Fünf-Punkte-Skala gemessen. Die Zustimmung zu einzelnen Fragen wurde in manifest und latent unterschieden. Zur latenten Zustimmung zählten jene, die unentschieden, also mit »Stimme teils zu, teils nicht zu« antworteten. Diese Unentschiedenheit zählt mit hinein, wenn die Studienergebnisse zu Schlagzeilen wie »Die Hälfte wünscht sich eine ‚starke Partei‘« gemacht werden. Konsequenterweise kommuniziert die Studie ihre Ergebnisse im Detail anders herum, nämlich »dass der Anteil der Ablehnenden bei einzelnen Items nicht einmal die Hälfte der Befragten ausmacht«. Wie Studienleiter Elmar Brähler ausführte, misst die latente Zustimmung »jene, die sich nicht zu einer Ablehnung durchringen können«.
Die Latenz ist berechtigterweise in die Zustimmungswerte mit eingegangen, relativiert aber den Skandalwert. Nichtsdestotrotz deutet sie auf ein Problem in der Einstellung hin. In der Diskussion der Studie im Rahmen eines Autorengesprächs am 28. Juni in Berlin wurde die Frage aufgeworfen, ob die latenten Einstellungen nicht sogar die viel größere Sorge bereiten müssten. Zumindest in einer Hinsicht stimmt dies: Es zeigt einen relativ geringen Rückhalt ausgerechnet für jene demokratische Zivilgesellschaft an, der gemeinhin der Kampf gegen Rechts zugeschoben wird.
Die Ergebnisse der Studie sind daher trotzdem keine gute Neuigkeit, vor allem aber sind sie genau genommen gar keine Neuigkeit. Die Befunde liegen seit mindestens 20 Jahren vor. So lange nämlich wird von den Studienleitern Oliver Decker und Elmar Brähler bereits die Leipziger Autoritarismusstudie durchgeführt, die im Vergleich zeigt, dass die manifesten rechtsextremen Einstellungen seit 2002 annähernd gleichgeblieben sind, sogar mit leicht sinkender Tendenz. Anlass für die Studie sind also keinesfalls fehlende Kenntnis des Rechtsextremismus in Ostdeutschland, sondern die »Wissenslücke«, dass die bisherigen Erhebungen keinen Vergleich zwischen den einzelnen ostdeutschen Bundesländern zuließen.
Ländervergleiche
Die Studie bot diese Möglichkeit des Vergleichs nun zum ersten Mal. So zeigte sich, dass rechtsextreme Einstellungen in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen am stärksten verbreitet sind. In den drei Ländern liege etwa die manifeste Ausländerfeindlichkeit (die explizite Zustimmung zu allen Fragen dieser Dimension) bei um die 30 Prozent, wohingegen sie in Mecklenburg-Vorpommern nur 20 Prozent beträgt, in Ostberlin knappe 15 – der westdeutsche Durchschnitt liegt bei 12,6 Prozent. In Sachsen-Anhalt etwa kommt der Anteil von Menschen mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild (die also allen 18 Items zustimmten) auf 11,6 Prozent, während die übrigen Länder zwischen 5 und 7 Prozent lagen.
Diese Vergleichsarbeit dient vor allem der Konkretisierung bisheriger Forschungsergebnisse bis hin zur Argumentationsgrundlage für Demokratieförderprojekte. Im Autorengespräch sagte Axel Salheiser, der beteiligte wissenschaftliche Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena, die Studie zeige wie eine »Sonde, wo die Probleme in der politischen Kultur liegen«. Salheiser war auch am Bericht »Thüringer Zustände« beteiligt, in dem wiederholt die Zunahme rechter Gewalt, die Mobilisierung der Montagsdemonstrationen und die Erfolge der AfD in Thüringen dokumentiert und kommentiert wurden. Auch diese an sich nicht neuen Berichte dienen neben fortlaufender Dokumentation der Ursachenbestimmung.
Passend zu solcher Sondierung wurde in der EFBI-Studie auch hinsichtlich der Transformationserfahrungen und einer ostdeutschen Identität befragt. Ein ungefähres Viertel sieht sich als Wendeverlierer, 75 Prozent identifizieren sich als Ostdeutsche. Der Einfluss dieser Gruppenidentität auf die rechtsextreme Einstellung sei aber gering, ebenso – wie bereits andere Forschungen zeigten – der Einfluss wirtschaftlicher Faktoren. Die subjektive ökonomische Lage werde durchaus positiver bewertet, als sie etwa im Vergleich zu Westdeutschland real ist, und habe in der Regressionsanalyse auch kaum einen Zusammenhang zum Rechtsextremismus gezeigt. Viel höher sei dagegen der Einfluss von Verschwörungsmentalität und der Wunsch nach autoritärer Herrschaft.
Mythos Rechtsruck
Deutlichste Ausprägung rechtsextremer Einstellungen ist der Ethnozentrismus, also die Verbindung aus der eigenen Aufwertung (Nationalchauvinismus) und der Abwertung anderer (Ausländerfeindlichkeit). Im Autorengespräch nannte Decker »Ausländerfeindlichkeit weiterhin die Einstiegsdroge in den Rechtsextremismus«. Entsprechend seien dies auch die Momente, von denen die AfD am meisten profitiere, indem sie es als Bindeglied für rechte Einstellungen in die Bevölkerung hinein nutze. Besonders die latenten Zustimmungen seien Ankerpunkte für rechte Parteien. So gaben fast 50 Prozent der Menschen mit ausländerfeindlichen Einstellung in der »Sonntagsfrage« an, AfD zu wählen. Zusätzlich komme noch das Mobilisierungspotenzial bei den Nichtwähler*innen hinzu.
Die AfD nutze diese Potenziale erfolgreich und verbinde sie mit einer »Exkulpationsstrategie«, wie Salheiser ausführte: Die AfD verkaufe die Mobilisierung jener Ressentiments als demokratische Krisenbewältigung und wehre jede inhaltliche Kritik als darum antidemokratisch ab. Im Umkehrschluss kann daher mit bestimmten Mythen des Rechtsrucks aufgeräumt werden: »Es liegt nicht an der AfD. Diese nutzt nur die Gelegenheit«, konstatierte Decker. Und es sind eben auch nicht die ökonomisch Abgehängten, die aus Frust und mangelnder politischer Alternativen zur Protestwahl AfD gebracht würden.
»Rechtsextreme Einstellungen gab es schon immer, es wurde nur anders damit umgegangen«, sagte Brähler etwa in der Diskussion, »Helmut Schmidt hat viele Rechtsextreme gebunden«. Gemeint ist damit nicht nur die Kontinuität rechter Einstellungen, sondern auch deren tradierte politische Verankerung. In Sachsen etwa ist die regierende CDU inhaltlich kaum von AfD-Positionen zu unterscheiden.
Ergebnisse auf die Straße bringen
Die Diskussion der Studie führte zu der Frage, wie sich die »Ergebnisse auf die Straße bringen« ließen. In den Stellungnahmen der Länder merkte Katrin Reimer-Gordinskaya vom Institut für demokratische Kultur an der Hochschule Magdeburg-Stendal an, die deutlichste Konsequenz aus der Studie müssten demokratische Beteiligungsmöglichkeiten sein. Dazu räumte sie ein, »manche Antworten haben wir noch nicht und müssen Sie in den nächsten Monaten finden«. Passend dazu mahnt auch der Bericht »Thüringer Zustände« »den Handlungsdruck an, der sich daraus für die Thüringer Politik und Zivilgesellschaft ergibt«.
Hier liegt genau das Dilemma: Es braucht eine funktionierende demokratische Kultur, um antidemokratische Einstellungen zu verhindern. Der Skandal bestehe laut Oliver Decker darin, dass die demokratische Gesellschaft aber selbst die Subjekte hervorbringt, die gegen die Demokratie sind. Der Handlungsspielraum entsprechender Demokratieförderung wird dabei immer kleiner. Wenn nicht gar durch konservative Regierungsparteien schon demokratische Bildung unter Linksextremismusverdacht gestellt wird, so macht spätestens die AfD keinen Hehl daraus, dass sie die sogenannte Zivilgesellschaft demontieren will. Dabei hängen auch die zum Teil erst in den letzten Jahren gegründeten Forschungsinstitute in den ostdeutschen Bundesländern, die jene Studien und Berichte zum Rechtsextremismus umsetzen, an der Landesfinanzierung. Sie sind somit erste Kandidaten für die zivilgesellschaftlichen Säuberungsfantasien.
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