Linke übt scharfe Kritik an Strukturwandel in Braunkohlerevieren

Strukturwandel beteilige die Bürger zu wenig und setze falsche Akzente

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.

Am Freitag wäre Termin gewesen: »Erstmals zum 30. Juni 2023« solle das Bundeswirtschaftsministerium bewerten, wie sich in den deutschen Braunkohlerevieren »die Wertschöpfung, die Arbeitsmarktsituation und das kommunale Steueraufkommen« entwickelt haben. So steht es im Investitionsgesetz für die Kohleregionen, mit denen bis zum spätestens im Jahr 2038 erfolgenden Ausstieg aus der Braunkohle der Strukturwandel in den drei Revieren begleitet wird.

Der Termin ist verstrichen, der geforderte Evaluationsbericht liegt nicht vor. Das sei »ein ziemlicher Skandal«, findet Martin Schirdewan, Bundesvorsitzender der Linken. Es gebe »keine Anzeichen, dass die Bundesregierung ihren eigenen Vorgaben Genüge tut«, fügt er an; vieles deute stattdessen darauf hin, dass sie mit Blick auf die Umbrüche in den Revieren »auf Sicht fährt«. Damit blieben wichtige sozial- und wirtschaftspolitische Fragen unbeantwortet. Es sei eine Unsicherheit, auf der die AfD »ihre braune Suppe kocht«, schimpft der Europaabgeordnete, »und sie scheint damit Erfolg zu haben«.

Der Ausstieg aus der Kohle ist ein enormer Umbruch für die Lausitz, das Mitteldeutsche Revier südlich von Leipzig sowie das Rheinische Revier. Dort sorgten Abbau und Verstromung von Braunkohle über Jahrzehnte für Arbeit, Einkommen, Identität und Selbstwertgefühl. Mit dem Ausstieg aus der Kohleförderung reagiert Deutschland auf den rasant voranschreitenden Klimawandel und beendet die Verbrennung eines Energieträgers, bei der riesige Mengen Treibhausgas frei werden. Dem Ausstiegsgesetz zufolge soll spätestens 2038 Schluss sein, im Rheinischen Revier ist schon jetzt ein Ende bis 2030 beschlossen, und für die ostdeutschen Reviere gibt es ähnliche Forderungen. Das wirft aber die Frage auf, welche Unternehmen künftig dafür sorgen, dass es Arbeitsplätze und kommunale Steuereinnahmen gibt.

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Eigentlich will die Politik für einen geordneten Übergang sorgen. Der Bund hat satte 40 Milliarden Euro bereitgestellt, um rechtzeitig neue Strukturen aufzubauen. Ob das gelingt, ist nicht sicher. »Bei den Menschen vor Ort überwiegen Skepsis und Fragen«, sagt Kerstin Eisenreich, Abgeordnete der Linken im Landtag Sachsen-Anhalt und Kommunalpolitikerin im Burgenland, wo die Kohle noch immer für viele Jobs sorgt. Bis zum Strukturbruch nach 1990 waren es freilich Zehntausende. Die Erinnerung an die damalige, über Nacht erfolgte und ersatzlose Abwicklung von Tagebauen und Kraftwerken steckt den Menschen in den Knochen: »Sie fürchten, dass es wieder negativ ausgeht.« Die damalige »Deindustrialisierung«, fügt ihr Thüringer Kollege Andreas Schubert an, habe »jahrzehntelang abgehängte Regionen wie Ostthüringen hinterlassen«.

Die Art und Weise, wie der Strukturwandel bisher läuft, hat es nicht vermocht, solche Ängste zu lindern. Zwar wurden schon Millionen Euro an Fördermitteln verplant. Doch die Liste der Kritikpunkte ist lang. So landet ein gehöriger Teil des Geldes in Kommunen, die weit entfernt vom Tagebau liegen, statt in den, wie es die sächsische Linksabgeordnete Antonia Mertsching formuliert, »kernbetroffenen Regionen«. Auch wird es für Vorhaben wie die Sanierung von Kitas oder den Bau von Radwegen ausgegeben, die zwar das örtliche Leben verschönern, bei denen aber nicht sofort ersichtlich ist, wie sie die wegfallenden Jobs in der Kohle kompensieren sollen. »Das Geld wird nicht strategisch eingesetzt«, sagt Mertsching.

Zum Teil sind die Probleme den europäischen Rahmenbedingungen für die Vergabe der Fördergelder geschuldet. Die Mittel des Bundes dürfen nicht direkt an Unternehmen fließen; lediglich mit Geld aus dem »Just Transition Fund« (JTF) der EU können Ansiedlungen unmittelbar gefördert werden. Selbst von diesen, kritisiert Eisenreich, erhielten aber bereits bestehende Unternehmen nichts: »Dabei müssen auch sie eine Transformation bewältigen.« Der Bund steckt seine Milliarden angesichts der strengen Vorgaben in den Aufbau großer Forschungszentren, von denen man hofft, dass sie Unternehmensansiedlungen nach sich ziehen; zudem in den Ausbau von Verkehrswegen oder die Verlagerung von Behörden.

Auch dabei sei aber »kein politischer Ansatz für zukunftsfähige Industriecluster« zu erkennen, sagt Mertsching. Eine Möglichkeit wäre es ihrer Ansicht nach gewesen, in der Lausitz auf geballte Kompetenz im Schienenverkehr zu setzen. Zwar wird in Cottbus jetzt ein Werk zur Wartung von ICE-Zügen errichtet. Doch ein erhoffter Testring für Schienenfahrzeuge in der sächsischen Lausitz kommt nicht zustande, und Firmen wie der Görlitzer Standort des Schienenkonzerns Alstom oder der Waggonbau Niesky sind latent oder akut in ihrer Existenz bedroht. Für den geplanten Ausbau der schnellen Bahnverbindung von Berlin über Cottbus nach Görlitz, fügt Mertschings Brandenburger Kollegin Anke Schwarzenberg hinzu, sei noch nicht einmal eine Vereinbarung unterzeichnet, die es erlauben würde, mit der Planung zu beginnen.

Zu diesen vielen Unstimmigkeiten im Detail kommen grundsätzliche Probleme, die von Linke-Politikern in allen Revieren gerügt werden. »Die Entscheidungsprozesse sind mangelhaft, und es fehlt an Transparenz«, sagt Schwarzenberg. Eisenreich berichtet, dass bei den Bürgern ihrer Region oft von »Kungelgremien« die Rede sei. Die Bürgerbeteiligung sei extrem mangelhaft. »Die Menschen haben das Gefühl: Ihre Beteiligung ist nicht gewünscht, und der Wandel vollzieht sich über ihre Köpfe hinweg«, sagt Hans Decruppe, Linke-Chef im nordrhein-westfälischen Kreistag Rhein-Erft. Dabei, betont Mertsching, sei die Beteiligung der Zivilgesellschaft im Abschlussbericht der Kohlekommission, die Grundlage für den späteren Ausstiegsbeschluss des Bundestages war, ausdrücklich gefordert worden.

Die Realität sieht anders aus. Wenn Graswurzelinitiativen wie die »Bürgerregion Lausitz« entstünden, müssten sie einen harten Kampf darum führen, aus den üppig gefüllten Töpfen für den Strukturwandel ein paar Brosamen abzubekommen. »Die selbst organisierte Zivilgesellschaft wird vom Staat ausgebremst«, sagt Mertsching. Einige wenige gute Beispiele gebe es immerhin. In Sachsen-Anhalt hätten zwei Landkreise jetzt eigene Abteilungen für Bürgerbeteiligung eingerichtet, so Eisenreich. Und auch wenn die Linke in Brandenburg Kritik an den Prozessen in ihrem Land übt, schaue man aus Sachsen ein wenig neidisch auf das benachbarte Bundesland und die dortigen Werkstätten zum Strukturwandel, gesteht Mertsching: »Wir würden sagen, dort läuft es am besten. Das ist ein Modell, wie man es macht«. Generell aber müssten sich Länder und Kommunen deutlich stärker bemühen, Betroffene einzubeziehen: Kumpel, Auszubildende, Jugendliche, Frauen. Wenn das nicht geschehe, warnt Eisenreich, »empfinden die Menschen das als bedrohlich und entwickeln eine Abwehrhaltung«. Das allerdings wäre eine sehr schlechte Voraussetzung für einen gelingenden Strukturwandel.

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