- Politik
- Brasilien
Bolsonaro darf nicht mehr kandidieren
Oberstes Wahlgericht spricht Brasiliens Ex-Präsident wegen Desinformation des Amtsmissbrauchs schuldig
Brasilien befinde sich auf dem Weg in die Diktatur. Das erklärte ein sichtlich aufgebrachter Jair Bolsonaro am Freitag in der Stadt Belo Horizonte vor einer Gruppe von Reportern. Grund für den Frust: Das Oberste Wahlgericht in Brasília hatte dem im vergangenen Oktober abgewählten Präsidenten ein Amtsverbot erteilt. Fünf Richter stimmten dafür, nur zwei dagegen. Mit der Verurteilung ist der Ex-Staatschef für die nächsten acht Jahre von allen Wahlen ausgeschlossen. Bleibt das Urteil bestehen, darf Bolsonaro bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2026 also nicht wieder kandidieren.
Begonnen hatte der Prozess gegen Bolsonaro am 22. Juni. Die Anklage wirft ihm vor, bei einem Treffen mit ausländischen Diplomaten im Juli des vergangenen Jahres Falschinformationen über elektronische Urnen und deren vermeintliche Sicherheitsmängel verbreitet zu haben. Der Vorsitzende Richter, Benedito Gonçalves, erklärte in seiner Urteilsbegründung: Das Wahlgericht stehe in der Pflicht, »die gefährliche Verbreitung von Desinformationen einzudämmen, die darauf abzielen, das demokratische System zu diskreditieren.«
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen. Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Bolsonaros Verteidigung erklärte hingegen, ihr Mandant habe mit seiner Rede »Zweifel an der Transparenz des Wahlprozesses« ausräumen wollen und bestand darauf, die Aussagen seien nicht an Wahlberechtigte, sondern an ausländische Diplomaten gerichtet gewesen. Außerdem kündigte sie an, Rechtsmittel einzulegen und notfalls auch vor den Obersten Gerichtshof zu ziehen.
Andere Prozesse könnten wegen weiterer Untersuchungen der Justiz auf Bolsonaro zukommen. Seit seinem Ausschneiden aus dem Präsidentenamt Anfang Januar genießt dieser keine Immunität mehr vor Strafverfolgung. Ende April musste Bolsonaro vor der Bundespolizei aussagen, die ihn als möglichen »intellektuellen Anstifter« für die Ereignisse am 8. Januar sieht. An diesem Tag hatten Anhänger des ultrarechten Ex-Präsidenten das Regierungsviertel in Brasília gestürmt und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Anfang Mai durchsuchte die Bundespolizei das Haus des Rechtsextremen. Der Vorwurf: Bolsonaro und einige seiner nächsten Angehörigen sollen mit gefälschten Impfpässen in die USA eingereist sein. Außerdem soll Bolsonaro geschenkten Schmuck aus Saudi-Arabien ohne Verzollung ins Land gebracht haben.
Durch die diversen Ermittlungen sehen sich Bolsonaro-Anhänger darin bestätigt, dass ein »Komplott des Systems« gegen ihr Idol im Gang sei. Doch auch dem Ex-Präsidenten nicht nahestehende Beobachter sehen bei Justiz und den Ermittlungsbehörden eine zunehmende Politisierung. »Ich habe den Eindruck, dass die brasilianische Justiz in letzter Zeit dazu neigt, zu schauen, wer verklagt wird und welche Folgen das haben wird«, sagte der Politik-Professor und Autor Fernando Limongi im Gespräch mit der Tageszeitung »Folha de São Paulo«. Auch wenn der Angeklagte Bolsonaro heiße, dürfe die Justiz nicht den Eindruck erwecken, »es handele sich um einen politischen Rachefeldzug«.
Bolsonaro gibt sich selbstbewusst und will weiterhin politisch aktiv bleiben. »Das ist nicht das Ende der Rechten«, sagte er. Außerdem verkündete er, »ein Ass im Ärmel« für die Wahl 2026 zu haben. Was das genau sein soll, sagte er aber nicht.
Während seiner Amtszeit schaffte es Bolsonaro, eine überaus aktive Bewegung hinter sich zu scharen. Immer noch verehren viele Brasilianer den ultrarechten Demagogen. Die Verurteilung werde sicherlich »einen Einfluss« auf die Schlagkraft der Bewegung haben, meint Odilon Caldeira Neto, Geschichtsprofessor und Rechtsextremismusexperte, im Gespräch mit »nd«. Der Bolsonarismus bringe allerdings ganz verschiedene Themen und unterschiedliche rechtsradikale Gruppen zusammen, die auch »ohne die Führung Bolsonaros« weiterleben werden.
Laut Neto gebe es zudem viele Abgeordnete und Senatoren, die weiterhin auf der »Bolsonaro-Welle« surfen. Sicherheitsfragen und konservative Werte – Kernthemen Bolsonaros – dürften auch bei den nächsten Wahlen großen Stellenwert einnehmen.
Trotz aller Loyalität haben bereits die Diskussionen über mögliche Bolsonaro-Nachfolger begonnen. Als aussichtsreichster Kandidat gilt derzeit der Gouverneur von São Paulo, Tarcísio de Freitas. Dieser sagte nach dem Gerichtsurteil, die Führungsrolle Bolsonaros sei weiterhin »unbestreitbar«. Bei eingefleischten Bolsonaro-Fans gilt er allerdings als nicht loyal und radikal genug. Auch Bolsonaros Frau Michelle brachte sich unlängst für eine politische Karriere ins Spiel. Die streng gläubige Christin könnte gerade bei Anhängern der Pfingstkirchen punkten, die immer mehr an Einfluss in Brasilien gewinnen. Jair Bolsonaro erklärte, es gebe »mehrere gute Namen« für seine Nachfolge – natürlich werde er aber seine Frau unterstützen, sollte sie höhere Aufgaben anstreben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.