Wagner in Belarus: Quartiernahme im Vasallenstaat

Nach dem gescheiterten Aufstand der Söldner-Gruppe Wagner in Russland bietet ihr Belarus Asyl

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin seinem Minsker Kollegen Alexander Lukaschenko bereits gehörig für dessen Einsatz bei der Entschärfung der Wagner-Meuterei vor gut einer Woche gedankt hatte, entfachte Marija Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, geradezu eine Huldigungsorgie. Alexander Grigorjewitsch sei »zweifellos ein hervorragender Staatsmann, ein geschickter Politiker, Diplomat, einfach ein Mann, der viele höchst komplexe Probleme und nicht triviale Aufgaben schnell löst«. So könne er gewiss auch »einen erheblichen Beitrag zum Frieden in der Ukraine« leisten – falls Kiew dazu bereit sei.

Lukaschenko bestätigt zwar, dass nur durch seine Vermittlung und nur in letzter Minute ein blutiger Bürgerkrieg um Putins Macht abgewendet werden konnte. Doch bestehe keinerlei Notwendigkeit, ihn zu einem Helden zu machen. Dass ein wie auch immer zu erreichendes Ende des Krieges zwischen Russland und der Ukraine notwendigerweise Verhandlungen mit Belarus einschließt, kommt ihm entgegen.

Doch Belarus als Vermittler? Ein absurder Gedanke! Lukaschenko nimmt eindeutig für Russland Partei. Zu Beginn des Krieges hatte er Belarus als Aufmarschgebiet für Putins gescheiterten Angriff auf Kiew bereitgestellt. Nun bietet er einem Massenmörder namens Jewgeni Prigoschin Asyl. Dass der Wagner-Chef unbehelligt nach Belarus ausreisen kann, war Bestandteil des Deals, den Lukaschenko zur Rettung Putins abgeschlossen hat.

Die Aufnahme Prigoschins muss Lukaschenko erklären. Nach innen versuchte er das am Mittwoch vor ranghohen Offizieren seiner Armee und der Sicherheitsdienste so: »Wenn Russland einstürzt, wird es auch Belarus und eine ganze Reihe postsowjetischer Staaten unter seinen Trümmern begraben.« Und anders als Kollege Putin hält er die Krise in Russland nicht für beendet, denn in Moskau säßen »viele Leute mäuschenstill«. Nur sehr langsam erkenne man diese »Wanzen und Kakerlaken«. Wie aber will er garantieren, dass der Wagner-Chef mit denen kein neues Putsch-Geflecht knüpft, in dem sich auch Belarus verfängt?

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Es bleibt abzuwarten, ob Prigoschin allein oder mit Legionen loyaler, altgedienter Truppen in Belarus Quartier nimmt. Generalmajor Kyrylo Budanow, der 37-jährige Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, geht nicht von einer massiven Verlegung von Wagner-Söldnern nach Belarus aus. Er glaubt, dass die Truppe dort nur Büroräume und ein Rekrutierungszentrum einrichten wird. Das an der Grenze zu Russland geschaffene »Söldner-Drehkreuz« diene logistischen Zwecken, um die Auslandsaktivitäten der Privatarmee am Laufen zu halten.

Lukaschenko äußert sich nur vage und widersprüchlich. Er betonte mehrfach, dass in Belarus keine Lager für Wagner-Kämpfer gebaut werden. Man habe ihnen ein verlassenes Militärgelände angeboten. »Stellt eure Zelte auf. Wir werden helfen, wo wir können«, sagte er.

Glaubt man dem Minsker Machthaber, so befindet sich das Gros der Söldner weiter in Lugansk, also im eroberten Teil der Ukraine. Einige der Wagner-Leute wollten den vom russischen Verteidigungsministerium geforderten Freelancer-Vertrag akzeptieren und dann erst einmal zu ihren Familien, habe Prigoschin ihm zugesagt. Lukaschenkos Antwort: »Gott befohlen!«

So viel Gottvertrauen bringen mehrere osteuropäische Nato-Staaten nicht auf. »Wenn Wagner seine Serienmörder in Belarus einsetzt, besteht für alle Nachbarländer ein noch größeres Risiko der Instabilität«, meinte der litauische Präsident Gitanas Nausėda nach einem Treffen mit Nato-Chef Jens Stoltenberg und Vertretern aus sechs weiteren Allianz-Staaten. »Wirklich ernst und sehr besorgniserregend« nennt Polens Präsident, Andrzej Duda, die Lage. Eine »sehr, sehr harte Antwort« der Nato sei erforderlich.

Einige Militärexperten sehen bereits, dass Wagner-Leute als »Partisanen« in die Ukraine oder nach Litauen, wo die Bundeswehr Kontingente stehen hat, einsickern könnten. Brigadegeneral Pat Ryder, Sprecher des Pentagons, will sich »nicht auf Hypothesen einlassen oder spekulieren«. Sicher sei, es handle sich um eine »sehr gefährliche Organisation, und wo immer sie operiert, bringen sie Tod, Zerstörung, Betrug und kriminelle Aktivitäten mit sich«.

Die Staats- und Regierungschefs der EU sind – das zeigte der gerade beendete Gipfel – weiter gespalten. Wie soll man mit Russlands Vasallenstaat umgehen? Einige wollen Lukaschenko von Putin weglocken, andere meinen, eine härtere Linie gegenüber Minsk einschlagen zu müssen. Der französische Präsident Emmanuel Macron überrasche jüngst mit dem Eingeständnis, der Westen habe Belarus bislang nur immer weiter in Richtung Russland gedrängt.

Lukaschenko will keine zusätzliche Eskalation, spürt aber die wachsende Besorgnis. »Wagner, Wagner, Wagner…«, ereiferte er sich. Es gebe keinen Grund, Angst vor ihnen zu haben. Damit das so bleibt, versucht man, die Söldner-Truppe zu beschäftigen und in überwachte Strukturen einzubinden. Ganz pragmatisch, denn: Die Erfahrungen, die die Wagner-Leute im Kampf gesammelt haben, könnten den belorussischen Truppen wertvolle Lehren sein. Das sei »unbezahlbar«, so Lukaschenko.

Zugleich ist es ihm wichtig, »die Polen und andere« zu beruhigen. Ende März erst hatte Lukaschenko zugestimmt, dass Russland taktische »Iskander«-Raketen samt nuklearen Sprengköpfen in Belarus stationiert. Die ersten sind da. Putins Luftwaffe unterhält einen Stützpunkt in dem Nachbarland, von dem Atombomber starten könnten. Kämen Söldner in den Besitz – Lukaschenko würgt solche Befürchtungen ab: »Kein Wagner wird Atomwaffen bewachen. Wir haben genug Leute, die in der Lage sind, diese Anlage zusammen mit den Russen zu schützen.«

Auf Klärung wartet ein weiteres weitreichendes Problem. Seit 2014 ist Wagner ein wesentliches außenpolitisches Instrument der russischen Führung. Die Militärfirma verfügt über einen gewaltigen Einfluss in afrikanischen und arabischen Staaten. Man beutet Diamantenminen aus, dominiert Wirtschaftsvereinigungen, lenkt Regierungen. Damit habe der russische Staat »nichts zu tun«, versicherte Putins Sprecher und Außenminister Sergej Lawrow. Etwas hintersinnig ergänzte er: Was aus den zwischen afrikanischen Ländern und Wagner getroffenen Abkommen werde, hänge davon ab, ob die jeweiligen Länder diese Form der Zusammenarbeit fortsetzen wollten.

Also kein Countdown für den so brutalen wie schlauen Söldner-Boss? Doch, sagt Geheimdienstgeneral Budanow. Der russische FSB sei längst mit der Ermordung Prigoschins beauftragt. Ob das gelingt? »Die Zeit wird es zeigen«, meint Budanow.

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