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Wahlkampfthema Mindestlohn: SPD für höhere Lohnuntergrenze
Sozialdemokraten blinken links und übernehmen Gewerkschaftsforderungen
FDP-Vize Wolfgang Kubicki brachte das Grundproblem beim deutschen gesetzlichen Mindestlohn am Sonntag auf den Punkt. Wenn die SPD die Entgeltuntergrenze nun stärker erhöhen wolle, als letzte Woche von der zuständigen Kommission verfügt, dann müsse sie das Gremium wohl abschaffen. SPD-Chef Lars Klingbeil hatte zuvor in einem Zeitungsinterview eine Anhebung auf 13,50 bis 14 Euro ins Gespräch gebracht und damit Forderungen der Gewerkschaften aufgegriffen.
»Das Leben ist teurer geworden, deshalb brauchen wir generell höhere Löhne im Land«, begründete Klingbeil seinen Vorstoß. Er sei erschrocken darüber, dass die Arbeitgeberseite nicht sehe, wie die Lebensrealität von vielen Millionen Arbeitnehmern in Deutschland sei: »Die Inflation frisst die Löhne auf.«
Die Mindestlohnkommission, in der Unternehmervertreter, Repräsentanten der Gewerkschaften und Experten paritätisch vertreten sind, hatte am 26. Juni mitgeteilt, die Entgeltuntergrenze werde im Januar von derzeit zwölf Euro auf lediglich 12,41 Euro angehoben und Anfang 2025 um noch einmal 41 Cent auf 12,82 Euro. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte die Beträge als viel zu niedrig kritisiert. Die Gewerkschaftsvertreter waren in der Kommission erstmals überstimmt worden.
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Im vergangenen Jahr hatte die Ampelkoalition den Mindestlohn erstmals unter Umgehung der Kommission per Gesetz von 10,45 auf 12 Euro erhöht. Die FDP hatte jedoch darauf bestanden, dass dieser Eingriff eine Ausnahme bleibt, dass also danach umgehend wieder die Hoheit der Kommission gelte. Wolfgang Kubicki bemerkte entsprechend süffisant: »Wenn Lars Klingbeil konsequent wäre, würde er fordern, die Mindestlohnkommission komplett aufzulösen.«
Der gesetzliche Mindestlohn wurde von der damaligen Großen Koalition 2014 auf Betreiben der SPD beschlossen und trat Anfang 2015 in Kraft. Damals betrug er 8,50 Euro, und es gab Ausnahmen für mehrere Branchen, darunter die Landwirtschaft. Es war seinerzeit das Bundesarbeitsministerium unter Andrea Nahles, das dafür sorgte, dass der Mindestlohn durch eine Kommission jeweils für zwei Jahre festgelegt werden sollte, die paritätisch mit Vertretern der Unternehmerverbände, der Gewerkschaften und mit Experten besetzt ist. Erhöhungen der Untergrenze können also nicht ohne Zustimmung der Unternehmerlobby durchgesetzt werden, deren Interesse naturgemäß nicht existenzsichernde, sondern renditesichernde Löhne sind.
Klingbeil berief sich bei seiner Forderung nun auf die Europäische Mindestlohnrichtlinie, auf die sich die EU-Mitgliedsstaaten im vergangenen Jahr geeinigt hatten. Doch sie ist auch in der Bundesrepublik noch nicht in nationales Recht umgesetzt. Die Bundesregierung muss dies bis zum Herbst 2024 tun.
Laut EU-Richtlinie soll der Mindestlohn sich am Median- oder Durchschnittslohn des jeweiligen Landes orientieren. In Anlehnung an den Median, der die Verteilung der unterschiedlichen Lohnhöhen berücksichtigt, käme man laut DGB auf gut 13,50 Euro brutto pro Stunde. Der deutsche Mindestlohn liegt also aktuell längst unter dem Wert, der laut EU-Richtlinie bindend wäre.
Allerdings dürfte die SPD mit ihrem Wunsch nach Erhöhung wohl an der FDP scheitern. Die Liberalen sehen mit einer Anhebung auf das von den Sozialdemokraten und den Gewerkschaften geforderte Niveau den sozialen Frieden und selbstredend auch den Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr. Zudem werfen die Liberalen der SPD vor, mit dem Thema Mindestlohn angesichts der im Herbst anstehenden Landtagswahlen in Hessen und Bayern Wahlkampf machen zu wollen.
Im europäischen Vergleich ist der deutsche Mindestlohn vergleichsweise hoch. Darüber lag zu Jahresbeginn in der EU noch Luxemburg mit 13,80 Euro pro Stunde, wie aus einem Vergleich des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervorgeht. Weitere Nachbarländer wie Frankreich, die Niederlande und Belgien lagen zwischen 11,27 Euro und 11,85 Euro. Schlusslicht ist in der EU Bulgarien mit 2,41 Euro je Stunde.
Neben dem DGB hatte vor der Entscheidung der Mindestlohnkommission auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für eine Anhebung auf 14 Euro zum Jahreswechsel plädiert. DIW-Chef Marcel Fratzscher verwies darauf, dass insbesondere für Menschen, die im Niedriglohnbereich arbeiten, die Mehrbelastung durch die Inflation zu massiven Reallohnverlusten geführt hat. Auch Die Linke plädiert für 14 Euro Mindestlohn. Ihre sozial- und arbeitsmarktpolitische Sprecherin im Europaparlament, Özlem Alev Demirel, nannte den Vorschlag der Kommission »völlig inakzeptabel«.
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