Auf den Arabischen Frühling folgte der ägyptische Winter

Nach dem Rücktritt des Langzeitpräsidenten Hosni Mubarak und dem Intermezzo des Muslimbruders Mohammad Mursi putschte sich das Militär an die Macht

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

In den Badeorten am Roten Meer bräunen sich die ausländischen Tourist*innen, vor den Pyramiden und den vielen anderen Sehenswürdigkeiten Ägyptens drängeln sich die Besucher*innen. Was sie nicht zu sehen bekommen: Tausende Bürgerrechtsaktivist*innen, mindestens 170 Journalist*innen sitzen im Gefängnis, meist verurteilt in Massenprozessen, in denen durchaus auch mal mehrere hundert Menschen auf einmal ohne jegliche Beweisführung abgeurteilt wurden.

Heute vor genau zehn Jahren erschien um neun Uhr abends Ortszeit der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Feldmarschall Abdel Fattah Al-Sisi, auf den Fernsehbildschirmen des Landes. Die Verfassung sei außer Kraft gesetzt, Präsident Mohammad Mursi seines Amtes enthoben – zur Rettung der Demokratie, sagte er, jener Freiheit, die sich junge Ägypter*innen im Januar 2011 während des sogenannten Arabischen Frühlings erkämpft hatten. In der Hotellobby brach Jubel aus, draußen fielen sich Wildfremde in die Arme.

Wochenlang waren Millionen junge Ägypter*innen auf die Straßen geströmt, um gegen die Politik des der Muslimbruderschaft nahestehenden Präsidenten Mohammad Mursi zu protestieren. Der Hauptvorwurf: Mursi nutze die junge Demokratie, um das Land zu einer an islamischen Lebensvorschriften ausgerichteten Diktatur zu machen. Das Militär kommt der Demokratie zur Hilfe, das war das Narrativ der Stunde, das Menschen im In- und Ausland mitriss, Al-Sisi für einige Zeit zu einem umjubelten Superstar werden ließ.

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Doch was zweieinhalb Jahre nach der Absetzung des Langzeitpräsidenten Hosni Mubarak begonnen hatte, war ein klirrend kalter ägyptischer Winter, der bis heute andauert. Begonnen hatte alles im April 2013, als eine Bewegung namens »Tamarod« (Rebellion) in sozialen Netzwerken eine Petition für den Rücktritt Mursis startete und zu Protesten aufrief. Angeblich sollen fünf junge Ägypter*innen hinter der Bewegung gestanden haben. Doch sichtbar war nur einer davon: der offizielle Sprecher Mahmud Badr. Die Bewegung traf einen Nerv: In den zwei Jahren nach der Absetzung Mubaraks war die Gesellschaft aufgeblüht: In der neuen Freiheit wurden Tausende Gewerkschaften, Betriebsräte, Medien gegründet, gestreikt und gestritten. In den Cafés der Städte saß die Jugend und debattierte über die Zukunft, Politik und Gesellschaft.

Aber Freiheit bedeutet immer auch Spaltung. Sehr schnell kamen auch die gesellschaftlichen Trennlinien zum Vorschein. Denn auf dem Land und in den Armenvierteln Kairos ist man konservativ, religiös und abgehängt. Mit karitativen Einrichtungen hatte sich dort die Muslimbruderschaft enormen Einfluss gesichert, während sie sich gleichzeitig zu einer politischen Organisation entwickelte. In der ersten freien Parlamentswahl errang sie auf Anhieb fast die einfache Mehrheit, ein Jahr später wurde Mursi zum Präsidenten gewählt. Doch beides war nicht vereinbar: Während die einen mehr säkulare Freiheit forderten, wollten die anderen mehr Religion in Staat und Gesellschaft.

2013 schien in Gesprächen mit Demonstrierenden immer wieder die Überzeugung durch, dass man auch demokratisch gewählte Präsident*innen einfach aus dem Amt jagen dürfe, wenn nur genug Menschen auf die Straße gingen. Bei Mursis Unterstützer*innen wurde das nicht verstanden: Man verwies immer wieder auf die Wahlergebnisse.

Nach seiner Absetzung gingen Zehntausende Anhänger*innen des mittlerweile inhaftierten Mursi auf die Straße. Das Militär ging äußerst brutal gegen diese Proteste vor: Aus Hubschraubern wurden Tränengaskanister abgeworfen, scharfe Munition wurde eingesetzt. Selbsternannte »Nachbarschaftskomitees« prügelten auf mutmaßliche Muslimbrüder ein, hunderte starben.

Eine Übergangsregierung übernahm, bis im Mai 2014 Al-Sisi zum Präsidenten gewählt wurde. Schon kurz nach dem Putsch gegen Mursi hatte das Militär die Presse- und Meinungsfreiheit stark eingeschränkt. Man müsse verhindern, dass Medien die Proteste weiter anstacheln, so die Begründung. Nach Al-Sisis Wahl zum Präsidenten folgte eine Vielzahl weiterer Einschränkungen. Um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, hieß es dann stets. Und wenn Kritik von ausländischen Regierungen kommt, dann verweist man selbstbewusst auf die eigene strategische Bedeutung: Chaos am Suez-Kanal, in direkter Nachbarschaft zu Israel? Das reicht bisher aus, um Widerworte zu ersticken.

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