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EU: Offene Türen für Gentechnik
Entwurf zur Deregulierung gentechnisch veränderter Pflanzen auf EU-Ebene geplant
Lange schien es unwahrscheinlich, dass die strenge Regulierung bei gentechnisch veränderten Pflanzen in Europa aufgeweicht wird. Doch die Befürworter*innen scheinen nun Oberhand zu gewinnen: Am Mittwoch will die EU-Kommission ihren Gesetzesvorschlag für ein neues Gentechnikrecht vorstellen. In einem vom Netzwerk Arc2000 bereits vorab veröffentlichten Entwurf wird deutlich, dass die Zeichen auf Deregulierung stehen.
Wegfall der Kennzeichnung
Die Dokumente geben den Arbeitsstand vor der Konsultation der EU-Kommission wieder. Demnach sollen Pflanzen, die mit neueren Gentechnik-Verfahren wie etwa Crispr/Cas hergestellt werden, künftig weitgehend aus den Zulassungsregeln herausfallen. Dafür werden diese »NGT-Pflanzen« (New Genomic Techniques) in Kategorien unterteilt. Als NGT-1 eingestufte Pflanzen gelten künftig als gleichwertig mit konventionell gezüchteten Pflanzen, wenn sie sich von der Elternpflanze durch nicht mehr als 20 genetische Veränderungen in »vorhersehbaren DNS-Sequenzen« unterscheiden. Auch können Züchter DNS-Abschnitte einfügen oder ersetzen, die es bereits in »ihrem Genpool« gibt. Problematisch ist, dass weder der Begriff »ihr Genpool« eindeutig definiert ist noch die »Vorhersehbarkeit der DNS-Sequenz«.
NGT-1-Pflanzen dürfen aber auch fortan kein genetisches Material von artfremden Organismen enthalten, wie zum Beispiel bei Glyphosat-resistenten Pflanzen. Diese tragen ein bakterielles Gen, das zur Toleranz gegenüber dem Herbizid Glyphosat führt. Sie müssen weiterhin als gentechnisch veränderte Organismen zugelassen werden.
Zudem sieht der Entwurf vor, dass NGT-Pflanzen, die nicht in die Kategorie 1 fallen, auch dann einfacher zugelassen werden können, wenn sie bestimmte Nachhaltigkeitskriterien erfüllen, die den Zielen des European Green Deal dienen. Dazu zählen beispielsweise Stresstoleranz gegenüber Trockenheit oder Hitze, aber auch höherer Ertrag oder eine »verbesserte« Nährstoffzusammensetzung. Grundsätzlich verboten bleibt alte wie neue Gentechnik im Öko-Anbau; allerdings sollen keine Abstandsregeln zu anderen Feldern festgelegt werden müssen.
Ein Großteil der gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermittel muss laut dem Vorschlag nicht mehr gekennzeichnet werden. Risikoprüfung und Zulassungsverfahren würden entfallen, lediglich ein Registereintrag und eine Saatgut-Kennzeichnung wären vorgeschrieben. Das Genehmigungsverfahren für Freisetzungsversuche wird komplett an die einzelnen Länder delegiert, die nach Anmeldung eines Versuches lediglich überprüfen, ob Pflanzensorten in die Kategorie 1 fallen.
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Verschiedene Reaktionen
Unter Wissenschaftler*innen ist der Entwurf unterschiedlich aufgenommen worden. Als »wirklich salomonisch« bezeichnete Holger Puchta, Molekularbiologe am Karlsruher Institut für Technologie, den Vorschlag. Es sei auf Bedenken aus allen Richtungen Rücksicht genommen worden; dennoch sei der Entwurf »ein sehr großer Schritt in die richtige Richtung, für die europäische Wissenschaft wie auch für die Züchter«. Für den Grundlagenforscher Andreas Weber von der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität ergeben sich »nun neue Möglichkeiten, die Funktion von genetischen Varianten in der Anpassung an bestimmte Umweltsituationen experimentell im Freiland zu überprüfen«.
Weniger begeistert ist Angelika Hilbeck, Agrarökologin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Der Vorschlag folge nur den Interessen der Vertreter*innen der Gentechnik. »Nach meiner Interpretation ist sozusagen alles möglich, solange nicht eine ominöse 20-Nukleotid-Grenze pro Gen überschritten wird.« Und selbst diese Grenze werde aufgeweicht, solange die Sequenzen aus einem letztlich undefinierten und potenziell unbegrenzten Genpool des Züchters stammen. »Die Bedingungen sind völlig schwammig, praktisch auch kaum überprüfbar ohne Sequenzierungen und weit offen für Interpretation«, so Hilbeck.
Umweltverbände und Kleinbäuer*innen haben bereits Proteste angekündigt. Nach Ansicht von Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik, setzt die EU-Kommission »leichtfertig im Interesse weniger Akteure den großen Wettbewerbsvorteil der Landwirte, Hersteller und des Handels in Europa aufs Spiel, die international für gentechnikfreie Qualitätsprodukte stehen«.
Auch Martin Häusling, der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses kritisierte den Entwurf: »Sollte der Vorschlag der Kommission so aussehen wie der Leak, ist das eine Absage an das europäische Vorsorgeprinzip und ein Schlag ins Gesicht für Verbraucher und Biolandwirte! Denn sie erfahren nicht, ob sie gentechnisch veränderte Lebensmittel auf dem Acker oder Teller haben. Das ist Verbrauchertäuschung.«
Wie die Bundesregierung sich zum Vorschlag verhalten wird, ist noch nicht festgelegt. Allerdings hat die Ampel in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie vorgesehen, dass Deutschland für die »Grüne Gentechnik« in Europa »eine Vorreiterrolle in der Forschung« einnehmen soll.
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