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Berlin-Schöneberg: Auf der Spur von Christopher Isherwood
Ein Schotte macht Stadtführungen durch Schöneberg – und schreibt Romane
Brendan Nash kam vor 15 Jahren aus Schottland nach Berlin. Genauer gesagt: in eine Wohnung an der Motzstraße in Schöneberg. »Ich sah mich ein bisschen um in meiner Nachbarschaft, und da merkte ich, dass meine Wohnung direkt an die Wohnung grenzte, in der Christopher Isherwood einmal lebte«, erzählt Nash. Von diesem Moment an war es geschehen um Nash, der in Schottland mit seinem Ehemann ein Hotel betrieb.
Wem der Name Christopher Isherwood nichts sagt: Isherwood war ein amerikanischer Schriftsteller, auf dessen »Berlin Stories« das Musical »Cabaret« basiert. Isherwood zog 1929 nach Berlin, angezogen von der relativ freien Schwulenszene der Stadt. Er schrieb die Bücher »Mr. Norris Changes Trains« und »Goodbye, Berlin«, die der englischsprachigen Leserschaft das Berlin-Bild der frühen 30er Jahre vermittelten. 1933 verließ Isherwood die Stadt.
Isherwoods Bücher kennt der 58-jährige Nash in- und auswendig. Man könnte sogar sagen, dass Nash seinen Spuren folgte und er einen ähnlichen Sog nach Berlin wie Isherwood spürte. Ausgehend von Isherwood recherchierte der Schotte das ganze Viertel zwischen Nollendorfplatz und Eisenacher Straße und begann zu diesem Thema einen Blog. »Das wuchs und wuchs«, sagt Nash. Und er begann, einen Rundgang durch das Viertel auszuarbeiten.
Dieser führt zu Orten wie dem Neuen Schauspielhaus am Nollendorfplatz, das heutige »Metropol«, das 1905 erbaut wurde und in den Zwanzigerjahren unter Erwin Piscator zum Stadtgespräch wurde. Ein Fixpunkt ist auch das legendäre »Eldorado« an der Motzstraße, Ecke Kalckreuthstraße, heute ein Bio-Supermarkt. Weil sich hier die Hetero- mit der Homosexuellenwelt vermischte, zog es in seiner Blütezeit Touristen aus ganz Europa an. Nash zeigt auf eine unscheinbare Tür neben dem »Eldorado«, die in einen Keller führt: Der Nachtclub »La Garçonne« war damals die Adresse schlechthin für Lesben, betrieben übrigens von der Liebhaberin der Tänzerin Anita Berber.
Und natürlich fehlt Isherwoods Haus nicht, ein ganz normaler Altbau an der kurzen Nollendorfstraße. Dort lebte Isherwood in der kleinen Pension von Meta Thurau. Seine Mitbewohnerin Jean Ross inspirierte ihn zur Figur Sally Bowles, einer kapriziösen Nachtclubsängerin. Über die Epoche hat Nash jede Menge Bücher gelesen, er besitzt mittlerweile eine kleine Bibliothek über das Berlin der Zwanzigerjahre. Das meiste auf Englisch, da Nash kein Deutsch spricht.
Eine Fundgrube zu dem, was das Nachtleben der Zwanzigerjahre betrifft, ist das Buch »Führer durch das lasterhafte Berlin« von Curt Moreck, der detailliert beschreibt, welche Auswüchse das Nachtleben in dieser Zeit hatte. Das heutige Berliner Nachtleben verblasst dagegen zu einer relativ spießigen Angelegenheit. Auch der – nicht mehr vollständig erhaltene – Film »Anders als die Andern« aus dem Jahr 1919 war wichtig für Nash, schließlich wurde hierin zum ersten Mal Homosexualität thematisiert.
Die Tour vermarktet Nash ganz allein auf seiner Webseite. Sie kostet 20 Euro pro Person, ist natürlich auf Englisch und startet immer samstags am Nollendorfplatz. Weil Nash mittlerweile so viel zu erzählen hat, dauert sie jetzt fast zwei Stunden, anfangs war es eine Dreiviertelstunde.
»Auf der Tour versetze ich mich quasi in Christopher Isherwood und erkläre den Teilnehmern das Viertel aus seiner Sicht«, sagt Nash. Auch, warum einige Gebäude noch den alten Stuck haben, andere nicht – Stichwort Entstuckisierung.
Manchmal kommen durch Zufall hochinteressante Teilnehmer auf seine Tour, berichtet er begeistert: »Zwei Jahre, nachdem ich die Tour begann, traf ich auf den Enkelsohn des damaligen Inhabers des ›Eldorado‹, der an meiner Tour teilnahm und mir dann natürlich unglaubliche Geschichten erzählte.«
Mit großen Agenturen wie Visit Berlin arbeitet Nash nicht zusammen, er will sein Ding allein durchziehen und setzt auf Mund-zu-Mund-Propaganda seiner Kunden. Viel geholfen hat ihm, wie er zugibt, vor über zehn Jahren bereits ein Artikel über ihn in der »New York Times«, über den online nach wie vor viele zu ihm finden. Auch einige Fernsehauftritte in Großbritannien und den USA verhalfen ihm zu einer gewissen Bekanntheit.
Nun verschlingt Brendan Nash nicht nur Literatur über das Berlin der Zwanzigerjahre. Er schreibt auch selbst. Sein 2019 veröffentlichtes Buch »The Landlady« schildert das Leben von Anwohnern der Nollendorfstraße in einer Woche des Inflationsjahres 1923 – in Berlin zugleich eine Zeit exzessiven Vergnügens. Beim Schreiben ging er professionell vor, insgesamt ließ er sich fünf Jahre Zeit.
Er besuchte Schreibkurse, diskutierte Texte mit anderen Teilnehmern, recherchierte die Menükarten wie die des damals berühmten preiswerten Restaurants »Aschinger«. »Ich liebe das Detail, ich denke, es ist wichtig«, sagt Nash. Und die kleinen Geschichten, wie die, dass bei Arbeiten am Supermarkt, in dem früher das »Eldorado« war, eine kleine Tanzmünze unter den Gehwegplatten gefunden wurde, die Tänzerinnen und Tänzer damals austauschten. »Da würde ich doch gerne wissen, wer die damals fallen ließ«, frohlockt Nash.
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Ob das Buch auch demnächst auf Deutsch erscheint? Nash berichtet von einigen Verlagsanfragen, hüllt sich aber bei Details in Schweigen.
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