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  • Fußball-WM der Frauen 2023

DFB-Fußballerinnen fliegen ohne Ballast zur WM

Heikle Themen wie Prämien und Regenbogenbinde wurden bei den Frauen rechtzeitig geklärt

  • Frank Hellmann, Herzogenaurach
  • Lesedauer: 6 Min.
Kapitänin Alexandra Popp wird die Regenbogenbinde bei der WM nicht tragen. Mit dem Ersatz ist sie aber auch zufrieden.
Kapitänin Alexandra Popp wird die Regenbogenbinde bei der WM nicht tragen. Mit dem Ersatz ist sie aber auch zufrieden.

Es sind Themen, die keiner Trainerin wirklich Spaß machen. Deshalb hat sich Martina Voss-Tecklenburg dazu entschlossen, auf dem sogenannten »Homeground« eines Ausrüsters des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) in Herzogenaurach in persönlichen Gesprächen für Klarheit zu sorgen. Jede einzelne deutsche Nationalspielerin soll wissen, welche Erwartungen an sie bei der WM in Australien und Neuseeland gestellt werden, die in knapp zwei Wochen starten wird. Oder warum sie am kommenden Dienstag am Frankfurter Flughafen dann doch nicht nach Sydney mitreisen darf. Vier Feldspielerinnen und eine Torhüterin müssen noch auf die Streichliste, ehe der endgültige WM-Kader endlich steht. »Ab Samstag sind dann die Rollen klar verteilt. Dann weiß man, wer in den Flieger steigen und wer noch eine Chance auf Abruf haben wird«, erklärte die Bundestrainerin.

Jeden Tag habe es im Trainingslager in der Nominierungswoche »geknistert«, erzählte die 55-Jährige. Die Anspannung sei im Training zu spüren gewesen. So ein Casting-Prozess drückt auch auf die Stimmung, wobei Voss-Tecklenburg auf den Teamgeist nichts kommen lassen wollte. »Jede Spielerin, die aktuell bei uns ist, unterstützt diese Mannschaft. Beim Team-Abend waren sogar die verletzten Linda Dallmann und Giulia Gwinn da. Das ist ein klares Zeichen, dass unser Teamspirit stimmt.«

Für die anspruchsvolle Titelmission – offen wird ja der dritte Stern, also der Gewinn der WM nach 2003 und 2007 angestrebt – kein schlechtes Zeichen. Ein anderes Ziel wäre nach dem verlorenen EM-Finale gegen England kaum vermittelbar gewesen. Das deutsche Frauen-Nationalteam steht in der aktuellen Fifa-Weltrangliste auf Platz zwei hinter Rekordweltmeister USA, der bei den letzten WM-Turnieren 2019 in Frankreich und 2015 in Kanada eindrucksvoll reüssierte, aber derzeit einen spannenden Erneuerungsprozess durchläuft.

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Es ist allerdings kein Selbstläufer, dass Deutschland wieder weit kommt. Klar, die Gruppe mit Auftaktgegner Marokko (24. Juli), Kolumbien (30. Juli) und Südkorea (3. August) sollte keine Stolpersteine bereithalten, aber schon im Achtelfinale dürfte es gegen Frankreich oder Brasilien schwer werden. Nur wenn diese Hürde genommen wird, werden sich bei den am Vormittag oder zur Mittagszeit von ARD und ZDF übertragenen Spielen mitten in der Ferienzeit wirklich neue Zielgruppen am Fernseher versammeln.

Die EM hat im vergangenen Jahr zur Primetime Appetit gemacht: Eine verschworene Gemeinschaft, die leidenschaftlich kämpft und erfolgreich spielt – und unverbraucht rüberkommt. Der DFB kann auf solche Sympathieträgerinnen gar nicht mehr verzichten. Und auch die Politik möchte die Strahlkraft nutzen, sonst hätten nicht am vergangenen Sonntag die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Innenministerin Nancy Faeser (beide SPD) beim Training und für ein Mittagessen bei den deutschen Fußballerinnen tief im Frankenland vorbeigeschaut. Bas konnte sogar auf eine besondere Schnittstelle in ihrer Vita zu der aus Duisburg stammenden Bundestrainerin verweisen: »Ich kenne Martina Voss-Tecklenburg seit wir 16, 17 sind. Wir haben beide im gleichen Verein gespielt. Sie war deutlich besser.«

Auch Faeser überbrachte eine Botschaft: »Ich habe einen sehr guten Eindruck gewonnen und drücke ganz fest die Daumen.« Dazu gab es noch einen Berliner Bär als Glücksbringer. Ihre entspannte Stippvisite illustrierte zugleich den Gegensatz zur Männer-Nationalmannschaft und deren WM in Katar. Als Faeser dorthin nach Doha jettete, war wenige Stunden vor dem deutschen WM-Auftakt die vom Weltverband Fifa verbotene Regenbogenbinde ihr größtes Thema, das letztlich den DFB, den Bundestrainer und die Nationalspieler überforderte. Faeser war dann mit einer solchen Binde am Arm auf der Tribüne zum ersten Gruppenspiel gegen Japan erschienen.

Doch offenbar haben alle Seiten ihre Lehren gezogen. Fifa, DFB und auch die Politik. Die sportpolitischen heiklen Themen sind schon vor dem Turnier geklärt. Dieser Ballast ist abgeräumt. Wobei Australien und Neuseeland als Ausrichter eben auch kein Politikum sind wie Katar. Die Fifa möchte zwar auch bei den weltbesten Fußballerinnen keine Regenbogenbinde sehen, hat aber angeblich im Einvernehmen mit den Verbänden und den Kapitäninnen ein Sortiment von Solidaritätsbekundungen erlaubt, in deren Motiven man sich »gut wiederfinden« könne, wie Deutschlands Spielführerin Alexandra Popp sagte. Eine Kraftprobe mit dem in Regenbogen-Hinsicht sturen Weltverband will niemand mehr. Popp kann für die WM unter acht verschiedenen Farbkombinationen auswählen. Eine sieht übrigens so aus wie die ominöse »One-Love«-Binde, die den Männern in Katar nicht erlaubt worden war.

Auch zum Dauerthema Equal Pay sind die Standpunkte ausgetauscht. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz belobigte »eine großartige Prämie für die Frauen«. Die Fifa hat mit der Festsetzung der Preisgelder für alle WM-Spielerinnen recht generös Fakten geschaffen, ehe der DFB die Beträge aushandelte. »Wir sind grundsätzlich sehr zufrieden damit, was die Fifa auf die Beine gestellt hat«, erklärte Wortführerin Popp, die beim Gewinn des dritten Sterns 270 000 US-Dollar (umgerechnet 252 000 Euro) einstreichen würde. Zum Vergleich: Birgit Prinz und Co hatten für den WM-Titel 2007 »nur« 50 000 Euro bekommen. Daher sagt auch Voss-Tecklenburg: »Man muss immer sehen, wo wir herkommen.«

Anders als ihr Männerkollege Hansi Flick gerät die Bundestrainerin bei Themen abseits des Fußballs nicht so schnell ins Schlingern. Mitunter blüht die 55-Jährige richtig auf, wenn es um gesellschaftliche Statements geht. Ihre Weitsicht und Weltoffenheit sind ein Faustpfand. Aber sie weiß auch: Letztlich hängt die Bewertung auch ihres Tuns eher am sportlichen Erfolg. Ein frühes Scheitern ist zwar ziemlich unwahrscheinlich, aber danach wird ein mögliches Achtelfinale gegen Brasilien oder Frankreich wohl zum Lackmustest, ob die Frauen wirklich gegen den Reputationsverlust des deutschen Fußballs angespielt haben, nachdem die A-Nationalmannschaft der Männer ein Jahr vor der Heim-EM ihr Publikum vergrault und die U21 jüngst die EM in den Sand gesetzt und Olympia verpasst hat.

Nicht umsonst hat der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften, Joti Chatzialexiou beim Eintreffen in Herzogenaurach gesagt: »Natürlich würde ich mich freuen, wenn unsere Frauen die deutschen Fußballfans in dem Sommer noch mal wach küssen könnten.« Doch Voss-Tecklenburg gefallen diese Quervergleiche gar nicht. »Wir wollen unsere Leistung bringen – unabhängig davon, was im direkten Umfeld passiert.« Sie sieht ihre Vize-Europameisterinnen nicht in der Rolle, irgendeine Ehre zu retten: »Wir haben einen eigenen Anspruch.«

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