• Politik
  • Rechtsregierung in Finnland

Chaostage in Helsinki

Finnlands rechte neue Regierung befindet sich von Beginn an in einer Dauerkrise

  • Robert Stark, Helsinki
  • Lesedauer: 4 Min.
Finnlands neue Regierung unter Petteri Orpo hat mit Skandalen zu kämpfen.
Finnlands neue Regierung unter Petteri Orpo hat mit Skandalen zu kämpfen.

Die ersten drei Wochen von Petteri Orpos neuer Regierung einen »Fehlstart« zu nennen, wäre wohl deutlich untertrieben. Während die eigentliche Regierungsarbeit während der Sommerpause noch ruht, ist die finnische Vier-Parteien-Koalition mit öffentlichen Skandalen beschäftigt. Sie drohte bereits mehrfach auseinanderzufallen.

Fast acht Wochen hatten Orpo und seine konservative Sammlungspartei (KOK) gebraucht, um ein gemeinsames Regierungsprogramm mit den rechtsextremen »Die Finnen« (Perussuomalaiset), der Schwedischen Volkspartei (SFP) und den Christdemokraten aufzustellen. Noch am Tag der Vereidigung des Kabinetts fanden die ersten Demonstrationen gegen massive neoliberale Kürzungsvorhaben statt.

Einen auch international beachteten Skandal brachte die Nominierung von Vilhelm Junnila von »Die Finnen« als Wirtschaftsministers. Junnila hatte in der Vergangenheit Witze über den Holocaust gemacht, seine Kandidatennummer 88 – in der Szene ein Code für die Grußformel »Heil Hitler« – gefeiert und auf einer Neonazidemonstration gesprochen. Am Donnerstag sprach das finnische Parlament dem Minister mit knapper Mehrheit zwar das Vertrauen aus, die liberale SFP allerdings stimmte gegen den Minister ihres Koalitionspartners.

Nach weiteren Enthüllungen in den sozialen Medien, einem verheerenden internationalen Presseecho und einem Machtwort des finnischen Präsidenten Sauli Niinistö reichte Junnila letztlich seinen Rücktritt ein. Die zehntägige Amtszeit war die kürzeste eines Ministers in der finnischen Geschichte.

In der zurückliegenden Woche haben »Die Finnen« einen Nachfolger für den vakanten Posten bestimmt. Ihre Wahl hätte kaum ein deutlicherer Affront gegen Orpos Sammlungspartei sein können: Der neue Wirtschaftsminister Wille Rydman hatte im vergangenen Jahr die Sammlungspartei verlassen müssen und war zu den Rechtspopulisten gewechselt. Zuvor waren in einem investigativen Artikel der Zeitung »Helsingin Sanomat« zahlreiche Vorwürfe gegen Rydman erhoben worden. Der Politiker soll nach Aussage mehrerer junger Frauen übergriffiges Verhalten an den Tag gelegt und versucht haben, sie mit Alkohol gefügig zu machen. Obwohl die Staatsanwaltschaft im Dezember entschied, dass die Beweislage keine Anklage rechtfertige, bleiben zahlreiche Vorwürfe im Raum stehen.

Ministerpräsident Orpo erklärte am Donnerstag auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz: »Aus Sicht der Sammlungspartei hätte Rydman weder Kandidat noch Minister werden dürfen.« Nun ist der für die Nationalisten im Ministeramt. Orpos Partei scheint immer mehr damit überfordert, den Koalitionspartner in die Schranken zu weisen.

Negativ in die Schlagzeilen internationaler Medien hat es auch Innenministerin Mari Rantanen geschafft. Die »Finnen«-Politikerin hatte erklärt: »Wir dürfen nicht so blauäugig sein, dass wir bald nicht mehr blauäugig sind.« Zudem wird in den sozialen Medien, in denen eine scharf polarisierte Debatte tobt, immer mehr Material ausgegraben, das Rantanens rechtsextreme Einstellungen offenbart. So hatte sie in der Vergangenheit die Verschwörungserzählung von einer »Umvolkung« geteilt, eines angeblichen großen Plans der »globalen Eliten«, die weiße europäische Bevölkerung gegen Menschen aus Afrika oder dem Nahen Osten auszutauschen. In den vergangenen Tagen haben Rantanen und andere »Finnen«-Politiker massenhaft Tweets und alte Posts auf Facebook gelöscht.

Auch der Umgang mit kritischer Berichterstattung spricht für sich. Nachdem eine Journalistin über die rechtsradikalen Hintergründe der »Finnen«-Minister berichtet hatte, ging ein virtueller Mob auf sie los. Einzelne »Finnen«-Abgeordnete machten auf Twitter Details zum Privatleben der Reporterin öffentlich. Nachdem diese bereits Vergewaltigungsdrohungen erhalten hatte, erinnerte der finnische Journalistenverband in einer Stellungnahme an die Pressefreiheit.

Politisches Chaos und eine scharfe Polarisierung beschäftigen Finnland mittlerweile seit drei Wochen. Einer Umfrage des Zeitungsverbands Uutissuomalainen zufolge glauben nur 28 Prozent der Befragten, dass die Regierung Orpo die vollen vier Jahre Amtszeit bestehen wird.

In dieser Woche wird US-Präsident Joe Biden Finnland besuchen, das erst im April der Nato beigetreten ist. Auch die Regierungschefs der anderen nordischen Länder werden anwesend sein. Den strauchelnden Ministerpräsidenten Orpo hat der finnische Präsident Sauli Niinistö bisher nicht für die Veranstaltungen berücksichtigt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -