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Erich Kästner: »Nehmt beizeiten Einfluß!«

Über den politischen Publizisten Erich Kästner

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 3 Min.
Erich Kästner war kein Rufer, keiner, der seine Botschaften mit lauter Stimme vortrug.
Erich Kästner war kein Rufer, keiner, der seine Botschaften mit lauter Stimme vortrug.

Er war der einzige Schriftsteller, der am Abend des 10. Mai 1933 zusah, wie seine Bücher auf dem Platz neben der Berliner Oper ins Feuer geworfen wurden. Da waren Kollegen wie Willi Bredel oder Erich Mühsam schon inhaftiert und andere längst ins Ausland geflohen. Erich Kästner blieb und harrte, ein »verbrannter Autor« mit Verkaufsverbot und immer wieder zu Kompromissen gezwungen, bis zum Kriegsende in Deutschland aus.

25 Jahre danach, im Mai 1958, hat er in seiner Hamburger Rede zur Bücherverbrennung erzählt, wie er damals schweigend dastand, ein Zuschauer, der nicht aufschrie und nicht mit der Faust drohte, der nur die Faust in der Tasche ballte. Es war nicht die Zeit für Heldentaten. »Keiner weiß«, sagte er nun, »ob er aus dem Stoffe gemacht ist, aus dem der entscheidende Augenblick Helden formt. Kein Volk und keine Elite darf die Hände in den Schoß legen und darauf hoffen, daß im Ernstfall, im ernstesten Falle, genügend Helden zur Stelle sein werden.«

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Kästner, der sich schon in den Jahren der Weimarer Republik immer wieder politisch geäußert hatte, der nach Douaumont gereist war, wo die Toten des Ersten Weltkriegs liegen, und der neben Tucholsky und Ossietzky in der »Weltbühne« vor den Nazis gewarnt hatte, ist nach zwölf Jahren des Schweigens noch 1945 mit »Streiflichtern aus Nürnberg«, seinen Notizen über den Kriegsverbrecherprozess, zur politischen Publizistik zurückgekehrt. Und er entwickelte gleich eine ungeheure Aktivität. »Wer jetzt beiseite steht, statt anzupacken«, schrieb er, »hat offensichtlich stärkere Nerven als ich … Wer jetzt Luftschlösser baut, statt Schutt wegzuräumen, gehört vom Schicksal übers Knie gelegt. Das gilt übrigens nicht nur für die Schriftsteller.«

Den politischen Kästner, Feuilletonchef der von Hans Habe im Oktober 1945 gegründeten »Neuen Zeitung«, kann man jetzt in einem Band des Zürcher Atrium-Verlages kennenlernen, in dem Sven Hanuschek unter dem Titel »Resignation ist kein Gesichtspunkt« Reden und Betrachtungen zum Tage versammelt, einige davon unveröffentlicht oder allenfalls an entlegener Stelle gedruckt. Es sind kraftvolle, berührende Texte, die hier stehen, vor Jahrzehnten verfasst und noch immer nicht gealtert.

Kästner spricht wie stets mit leiser Stimme, er war kein Rufer, keiner, der seine Botschaften mit lauter Stimme vortrug. Er blieb der Erzähler, der das Anekdotische bevorzugte, der Pazifist und von Erfahrung geprägte Skeptiker, der sich nichts vormachte und dennoch nicht aufhörte, Gleichgültigkeit, Müdigkeit und Vergessen zu attackieren.

»Wann war der letzte Krieg?«, fragte er 1929 besorgt, weil »Tage und Wochen, ja Monate vergehen …, ohne daß die Erinnerung an jene abscheuliche Vergangenheit heraufgerufen würde. Wir entziehen uns dadurch, daß wir wie die Stubenfliegen vergeßlich sind …« Er ist später, in den 50er und 60er Jahren, immer entschiedener und radikaler geworden, sprach zur Gewerkschaftsjugend und zu Studenten, protestierte gegen atomare Bewaffnung und den Vietnam-Krieg, rief vor allem die Jungen auf, sich politisch zu engagieren: »Bildet euch ein Urteil! Nehmt beizeiten Einfluß!«

Es ist nur eine bescheidene Auswahl, die Sven Hanuschek getroffen hat, 200 Seiten Kästner, ergänzt mit Anmerkungen und Nachwort des Herausgebers. Aber welche Gelegenheit, so konzentriert Einsatz und politisches Denken eines wunderbaren Feuilletonisten und Redners kennenzulernen, den mancher bislang nur als Kinderbuchautor und Verfasser des »Fabian«-Romans wahrgenommen hat.

Erich Kästner: Resignation ist kein Gesichtspunkt. Politische Reden und Feuilletons. Atrium-Verlag, 239 S., geb., 23 €.

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