Solidarische Klimabewegung: »Wir brauchen Umverteilung«

Die Bildungsreferentin Lea Dehning über ihr Engagement für eine solidarische Klimabewegung

  • Gisela Dürselen
  • Lesedauer: 6 Min.
Aktivismus – Solidarische Klimabewegung: »Wir brauchen Umverteilung«

Frau Dehning, seit vier Jahren koordinieren Sie das Jugendprojekt Locals United. Worum geht es dabei?

In dem Projekt Locals United wollen wir unterschiedliche Aspekte von Klimagerechtigkeit aufzeigen und mit jungen Menschen darüber nachdenken, wie eine solidarische, antirassistische und dekoloniale Gesellschaft aussehen kann. Das Projekt bezieht marginalisierte Perspektiven in die Debatte um die Klimakrise ein, setzt Positionen von Schwarzen, Indigenen und People of Color (BIPoC) in den Fokus und betrachtet intersektionale Lösungsansätze für eine gerechte Gesellschaft.

Was sind intersektionale Lösungsansätze?

Interview

Lea Dehning ist Bildungsreferentin für Klimagerechtigkeit und Intersektionalität. Gemeinsam mit dem Locals-United-Team der BUND-Jugend gibt sie Workshops und hält Vorträge. Darin vermittelt sie, wie intersektionale Forderungen, Bündnisse und Lösungsansätze für Klimagerechtigkeit entwickelt werden können.

Mit einer intersektionalen Perspektive auf die Klimakrise zu schauen, bedeutet einerseits zu sehen, welche Menschen und Länder stärker zur Klimakrise betragen, und andererseits Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen nicht nur auf ihre Auswirkungen auf den Klimawandel zu überprüfen, sondern auch auf ihre Auswirkungen auf verschiedene Gruppen von Menschen, insbesondere auf benachteiligte Gruppen. Klimagerechtigkeit fordert nicht nur Lösungen für die Klimakrise, sondern auch eine Umverteilung von Reichtum und Entscheidungsmacht, um eine gerechte Gesellschaft aufzubauen. Menschen, die am meisten von der Klimakrise und meistens auch von mehreren Diskriminierungsformen betroffen sind, stehen dabei im Zentrum.

Sie haben Umweltnaturwissenschaft studiert. War das Ihr Zugang zu dem Projekt Locals United?

In meinem Studium habe ich mich vor allem mit unterschiedlichen Ökosystemen, Pflanzen-Tier-Beziehungen und den Auswirkungen der Klimakrise beschäftigt, ohne soziale Faktoren zu betrachten. Außerhalb des Studiums war ich in antirassistischen und queer-feministischen Kontexten aktiv und habe mich viel mit Intersektionalität und Machtverhältnissen auseinandergesetzt. Nach einigen Jahren habe ich immer mehr Verbindungen zwischen der Klimakrise und gesellschaftlichen Machtverhältnissen erkannt und mich für diese Überschneidung interessiert. Im Locals-United-Projekt sind Menschen aus ganz unterschiedlichen sozialen Bewegungen zusammengekommen, und so haben wir gemeinsam das Projekt entwickelt.

Dabei entstanden Workshops und diverse Bildungsmaterialien.

Ja, in unseren interaktiven Workshops schauen wir uns die Zusammenhänge zwischen der Klimakrise und sozialen Ungerechtigkeiten an und lassen uns dabei von unterschiedlichen Widerstandsbewegungen, vor allem von antikolonialen Kämpfen im Globalen Süden, inspirieren. Neben den Workshops haben wir zum Beispiel die Broschüre »Kolonialismus & Klimakrise – Über 500 Jahre Widerstand« erstellt.

Was hat die Klimakrise mit Kolonialismus zu tun?

Im Kolonialismus liegt aus vielfachen Gründen der Ursprung der Klimakrise. Die koloniale Praxis äußerte sich durch den Raub an Ressourcen, Versklavung von Menschen und die Ausbeutung der Natur. Natur als »Ressource« für die Produktion von Waren für den europäischen Markt, wie Zuckerrohr oder Tabak, mit stetiger Profitsteigerung maximal auszubeuten, zerstörte ganze Ökosysteme, die als CO2-Speicher dienten. Vielfältige Beziehungen zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen wurden dadurch ausgeblendet. Mit dem Reichtum, den europäische Kolonialmächte erlangten, wurde die Industrialisierung erst ermöglicht. Die intensive Nutzung von Steinkohle als Treibstoff der Industrialisierung führte zu stark steigenden CO2-Emissionen und gilt als Startpunkt der großflächigen Nutzung fossiler Brennstoffe. 1830 erwärmten sich bereits die Arktis und die tropischen Ozeane. Mit der Zeit wurden immer mehr fossile Brennstoffe vor allem aus dem Globalen Süden für die Produktion im Globalen Norden abgebaut und verbrannt. Länder des Globalen Nordens sind für mehr als zwei Drittel aller historischen Emissionen verantwortlich. Demgegenüber sind Länder des Globalen Südens zwei- bis dreimal stärker durch Klimawandelfolgen gefährdet.

Gab es bei der Arbeit an der Broschüre auch einen Selbsterfahrungsaspekt?

Ich habe viel stärker als vorher über das koloniale Naturverständnis nachgedacht und darüber, wie tiefgreifend dieses bis heute nachwirkt. Wir haben uns bewusst dazu entschieden, die Broschüre gemeinsam mit BIPoC-Personen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland zu erarbeiten, um neue Perspektiven zu bekommen und die vielfältigen Widerstände sichtbar zu machen, die in der deutschen breiteren Klimabewegung kaum Erwähnung finden.

Was kann »weißer Klimaaktivismus« von Widerstandsbewegungen des Globalen Südens lernen?

Als Klimabewegung in Deutschland sollten wir uns geschlossen hinter die Forderungen der Communitys stellen, die am meisten von der Klimakrise betroffen sind. Lernen können wir einerseits von der Ausdauer der Widerstandsbewegungen, vor allem von jenen, die bereits seit Jahrhunderten für ihre Rechte, ihr Überleben und gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur kämpfen. Andererseits brauchen wir einen ganzheitlichen, systemverändernden Ansatz (»Not in anybody’s backyard« statt »Not in my backyard« – sinngemäß: »Vor keiner Haustür« statt »Nicht vor meiner Haustür«) bis hin zur Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Bewegungen, Fürsorge füreinander im Widerstand, Einbeziehung von marginalisierten Communitys und zahlreiche Strategien und Taktiken, um politische Veränderungen zu bewirken.

Und wer kommt zu Ihnen?

Die Workshops richten sich hauptsächlich an Menschen zwischen 16 und 27 Jahren. Je nach Kontext geben wir aber auch Workshops für Fachkräfte und ältere Personen. Wir haben in der Vergangenheit mit sehr unterschiedlichen Organisationen kooperiert und Workshops für Unis, Klimagruppen, Jugendfestivals und in unterschiedlichen Sommercamps gegeben.

Welche Resonanz gibt es?

Es fällt auf, dass es nicht so viele Angebote zur Verknüpfung zwischen Kolonialismus, Intersektionalität und Klimakrise gibt, sodass manchmal Menschen von Freiburg nach Berlin oder Hannover anreisen, um an einem unserer Workshops teilzunehmen. Meistens bekommen wir sehr positives Feedback für die Perspektive, die wir in die Debatte einbringen, und Teilnehmer*innen melden uns zurück, dass sie auf diese Art und Weise noch nicht über die Klimakrise nachgedacht haben. Gleichzeitig stellen wir mit unseren Workshops gängige Machtverhältnisse infrage. Ein Teil unserer Workshops ist auch eine längere Selbstreflexion über die eigenen Handlungsweisen und die Reproduktion von Diskriminierungen. Das kann für einige Personen erst mal unangenehm sein, weil sie bestimmte Bilder und Annahmen noch nie hinterfragt haben.

Wie könnte ein zukunftsträchtiger Weg jenseits vermeintlich nachhaltiger technischer Klimalösungen aussehen?

Für Klimagerechtigkeit brauchen wir Lösungen, die nicht auf der Ausbeutung von Mensch und Natur und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem basieren. Das können nur Lösungen sein, die das Problem an der Wurzel packen und nicht profitorientiert sind. Wichtig dabei ist, dass vor allem reiche Länder und große Unternehmen Verantwortung für die Folgen des Kolonialismus und der Klimakrise übernehmen und Klimareparationen an die am stärksten betroffenen Gemeinschaften zahlen. Eine Utopie wäre eine Gesellschaft, die Sorgearbeit für Menschen, Tiere und Pflanzen ins Zentrum stellt, indigenes Wissen und Widerstand würdigt. Gleichzeitig brauchen wir eine Umverteilung von Reichtum und Entscheidungsmacht, um eine gerechte Gesellschaft aufzubauen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.