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Sébastien Piquet: Die Stimme der Tour de France
Der Chef von Radio Tour ist der Herr aller rennrelevanten Informationen bei der Frankreich-Rundfahrt
Vor Ihrem Sitz im Auto sieht man eine Art Mischpult mit verschiedenen Knöpfen. Wozu dienen die?
Wir haben verschiedene Kanäle. Der rote Knopf hier dient der Kommunikation mit der Direktion, also vor allem mit Tour-Chef Christian Prudhomme, der im Auto Nummer 1 sitzt, während ich im Auto des Renndirektors und Streckenplaners Thierry Gouvenou bin, das immer direkt hinter dem Hauptfeld platziert ist. Christian hingegen ist uns voraus, entweder vor dem Feld oder direkt hinter einer Ausreißergruppe. Der gelbe Knopf ist der Tourfunk an sich. Wenn ich ihn einstelle, hören mich die Sportlichen Leiter in den Begleitfahrzeugen der Teams, aber auch alle anderen in der Begleitkolonne. Auch Journalisten, die diese Empfänger haben, hören das. Und inzwischen können auch Mitarbeiter im Hauptquartier des Veranstalters Aso in Paris mithören. Die Technik hat sich in den vergangenen Jahren entwickelt.
Genau, ich erinnere mich, in den ersten Jahren, die ich bei der Tour de France war, reichte die Funkstrecke oft nur 40 Kilometer weit. Hatte man sich zu weit vom Peloton entfernt, hörte man nichts mehr.
Ja, das ist besser geworden im Laufe der Zeit. Dann haben wir noch zwei weitere Knöpfe. Der grüne dient der Kommunikation der Rennjury untereinander. Bei uns im Auto sitzt auch noch der Chef der Rennkommissäre vom Radsportweltverband. Und er hält über diesen Kanal Kontakt mit seinen Kollegen, die in den anderen Fahrzeugen das Rennen verfolgen. Und der letzte Knopf ist für mich sehr wichtig. Denn er verbindet mich mit drei Motorrädern, die im Rennen an verschiedenen Stellen unterwegs sind. Eines befindet sich meist vorn im Peloton. Denn von unserer Position direkt hinter dem Feld kann ich nicht gut erkennen, was vorn vor sich geht. Die anderen beiden Motorräder heften sich an Fluchtgruppen und Verfolgergruppen. Sie sind gewissermaßen meine Augen.
So erklärt sich, wie Sie aus Ihrem Wagen hinter dem Peloton erkennen können, was vorn los ist oder gar wie Ausreißergruppen zusammengesetzt sind.
Ohne meine sechs weiteren Augen auf den Motorrädern wäre das auch nicht möglich. Und hier unten habe ich noch ein Fußpedal. Trete ich da drauf, kann ich sprechen und die Empfänger des jeweils gewählten Kanals hören mich.
Was ist Ihre wichtigste Aufgabe während des Rennens?
Das Allerwichtigste ist, die Sportlichen Leiter in der Kolonne hinter mir zu informieren. Wenn ein Rennfahrer beispielsweise Verpflegung haben will, hebt er die Hand und ich informiere das entsprechende Teamfahrzeug, dass es nach vorn kommen soll. Das gleiche Prozedere gibt es bei einem Defekt. Und auch, wenn jemand stürzt, sage ich das sofort, damit unsere Rennärzte und das entsprechende Teamfahrzeug sofort an die Unfallstelle kommen können. Ich gebe aber auch Informationen über das Rennen, wer sich in den Fluchtgruppen aufhält, wie die Abstände zwischen den Gruppen sind, wer welche Punkte bei den Sprint- und Bergwertungen geholt hat. Und auch, wenn sich spezielle Gefahrenmomente ergeben, durch eine besonders enge Kurve zum Beispiel oder ein schlecht geparktes Auto am Straßenrand, gebe ich diese Information durch.
Wie ist das Verhältnis zu den Sportlichen Leitern? Sind sie vor allem dankbar, weil sie all diese Informationen bekommen, die ja teilweise die einzigen sind, wenn das Fernsehbild wieder mal ausfällt oder im Funkverkehr mit den eigenen Sportlern nur noch wenig zu verstehen ist? Oder sind sie manchmal auch sauer, weil Sie es ja sind, der ihnen erlaubt oder eben nicht erlaubt, nach vorne zu fahren und manchmal die Begleitfahrzeuge zur Ordnung ruft. Gibt es da Spannungen?
Nein, das Verhältnis ist gut. Es ist über die Jahre auch viel enger geworden. Die meisten kennen mich, vor allem meine Stimme, und es gab nie Probleme. Und das, was Sie ansprechen, die Ansagen über die Positionen im Konvoi, kommt ja auch nicht von mir. Es sind die Rennkommissäre, die das entscheiden. Ich übermittle das nur. Da gibt es gar keinen Grund für Konflikte.
Wie flexibel sind eigentlich die Regelungen, ab wann ein Begleitfahrzeug hinter eine Ausreißergruppe darf? Es heißt ja immer, ab einer Minute. Aber das ist sicher auch vom Profil abhängig, oder?
Die Regel besagt, dass ab einer Minute Abstand Begleitfahrzeuge hinter eine Gruppe dürfen. Aber dann liegt es an der Jury zu entscheiden, ob das Sinn macht. Das Profil ist ein Kriterium, auch, wie schnell ein Vorsprung wieder zusammenschmelzen kann. Die Größe der Gruppe ist auch entscheidend. Wenn 20 Mann aus vielleicht 15 verschiedenen Teams vorn sind, dann wird die Autokolonne zu groß. Dann muss man warten, bis der Abstand zwei oder gar drei Minuten beträgt.
Wie sind Sie überhaupt zu Radio Tour gekommen? Haben Sie auch eine Karriere als Rennfahrer hinter sich wie viele hier beim Rennorganisator Aso?
Nein. Ich komme auch nicht aus einer Radsportfamilie. Ich habe früher bei Eurosport gearbeitet, war dann Freelancer und auch bei der Rallye Paris-Dakar tätig. Als John Lelangue aufhörte als Stimme von Radio Tour, weil er damals zum Rennstall Phonak ging, rief mich die Aso an. Ich sprang erst mal ein und fing bei der Katar-Rundfahrt an. Das lief offenbar gut. Seitdem mache ich den Tourfunk.
Gab es besonders schöne oder besonders dramatische Momente?
Sébastien Piquet ist die Stimme der Tour de France. Er teilt seit 19 Jahren über den Tourfunk von Radio Tour den Sportdirektoren mit, wann ein Fahrer einen Defekt hat, wann einer gestürzt ist und wann Trinkflaschen und Energieriegel zur Übergabe bereitgehalten werden sollen.
Das Gute ist, ich habe ein schlechtes Erinnerungsvermögen. Ich vergesse wirklich vieles. Und das führt dann dazu, dass ich mich auf jede neue Tour de France so freue als sei es meine erste. Aber klar, das letzte Jahr war schon speziell, als wir in einer Ausreißergruppe in den Bergen das Gelbe, das Weiße und das Grüne Trikot vereint hatten – Jonas Vingegaard, Tadej Pogacar und Wout van Aert. Es ist selten bei der Tour, dass der Träger des Punktetrikots in den Bergen so weit vorn ist.
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