Und sie machen immer weiter

Senioren regieren große Staaten: Wie fit und gesund ist die Generation 70 plus?

  • Gisela Gross
  • Lesedauer: 4 Min.
Walter Ulbricht motivierte noch mit Mitte 60 alle Altersklassen zum Sporttreiben (Aufnahme von 1959).
Walter Ulbricht motivierte noch mit Mitte 60 alle Altersklassen zum Sporttreiben (Aufnahme von 1959).

Schon als Joe Biden 2021 ins Weiße Haus einzog, war er der älteste US-Präsident aller Zeiten. Seit der 80-Jährige ankündigte, 2024 erneut zur Wahl antreten zu wollen, geht es immer wieder um sein Alter. Am Ende einer zweiten Amtszeit wäre der mächtigste Mann der Welt stolze 86. Auch weitere wichtige Politiker sind 70 oder älter, darunter die Staatslenker von Russland, China, Indien, Brasilien, Südafrika und Israel.

Wie fit und flexibel im Kopf kann »Mann« im Alter sein? Eine Ferndiagnose verbietet sich, weil etwa über Biden vergleichsweise viel bekannt ist, über den Gesundheitszustand des chinesischen Staatschefs Xi Jinping hingegen wenig. Trotzdem lohnt es sich, die körperliche und geistige Verfassung dieser Generation genauer anzuschauen.

Insgesamt dürfte es aktuell einen höheren Anteil fitter älterer Männer geben als vor 20 oder 30 Jahren, sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit, Frank Sommer. Vorbeugung und Erhalt der körperlichen und geistigen Fitness gelingen vor allem eher wohlhabenden, gut gebildeten Männern. Spitzenpolitiker und andere mächtige Senioren dürften dabei besonders herausstechen mit engmaschiger, sehr guter medizinischer Versorgung, auch mit Privatköchen und -trainern.

Trotz aller Fortschritte: Mit dem Alter erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für chronische Leiden und Mehrfacherkrankungen. Im Alter von 65 bis 74 hat laut Robert-Koch-Institut hierzulande mehr als jeder zweite Mann Bluthochdruck, jeder vierte Arthrose. Rund 18 Prozent sind Diabetiker. Knapp 14 Prozent berichteten, schon einmal einen Herzinfarkt gehabt zu haben. Ungefähr genauso hoch ist der Anteil der Männer dieses Alters, die schon eine Krebsdiagnose hatten. Die Demenzraten liegen laut Deutscher Alzheimer-Gesellschaft bei Männern unter 75 in Europa deutlich unter fünf Prozent, sie steigen ab 80 auf über zehn Prozent.

Dazu kommen Gesundheitsprobleme wie Stürze, Inkontinenz und Sinneseinschränkungen. Zwischen 71 und 80 sei etwa jeder Dritte hochgradig schwerhörig. Jenseits des 80. Lebensjahres ist es mehr als jeder Zweite. »Spätestens ab dem 70. Lebensjahr können wir davon ausgehen, dass es zu einem relativ umfassenden Verlust an Muskelkraft und Muskelmasse gekommen ist«, erklärt Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln. Hauptursachen seien die in der Regel viel zu geringe muskuläre Belastung im Alltag und bei der Arbeit. Ausnahmen seien insbesondere jene Menschen ab 50, die regelmäßiges und intensives Muskeltraining betrieben.

Fachleute unterscheiden zwischen dem chronologischen Alter – bezogen auf das Geburtsdatum – und dem biologischen Alter, das abweichen kann. »Um es etwas überspitzt zu erklären: Es gibt 75-Jährige, die spielen dreimal in der Woche Tennis und fangen noch einmal ein zweites Studium an. Und es gibt Gleichaltrige, die kommen ohne Rollator nicht mehr über die Straße und können sich nicht an die Namen ihrer Enkel erinnern«, sagt Bernd Kleine-Gunk, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anti-Aging-Medizin.

Das chronologische Alter sei nur eine Zahl, entscheidend für die berufliche Leistungsfähigkeit sei das biologische, sagt Kleine-Gunk. Ihn ärgert es, dass die Debatte über das Alter mancher Regierungschefs manchmal recht negativ geführt wird: »Ich sehe da schon eine Form der Altersdiskriminierung, ein Abstempeln alter Menschen. Das ist nicht korrekt.« Um im Kopf fit zu bleiben, sei es sogar förderlich, weiterhin das zu machen, was einem Spaß bereitet. »Wenn das der Beruf ist, dann ist es eine wunderbare Anti-Aging-Therapie.« Umgekehrt gebe es keinen größeren Alterungsfaktor für Nervenverbindungen im Gehirn, als sich mit 65 dem Nichtstun zu verschreiben.

Der Psychologe Hans-Werner Wahl, Projektleiter am Netzwerk Alternsforschung der Uni Heidelberg, betont, dass es sich bei älteren Staatenlenkern um »eine Art Superselektion« handele: Man sehe hier quasi die Fittesten, sicher keine Durchschnittsmänner. »Wenn man es so weit schafft, hat das viel mit Bildung zu tun. Auch mit vielen Routinen und Lebenserfahrung. Man weiß, wie man Energie spart und sich Aufgaben einteilt«, so der Wissenschaftler.

Kehrseiten sind Wahl zufolge aber denkbar: Zum Problem könne möglicherweise die Prägung durch historische Erfahrungen werden. »Hochaltrige kommen ja gewissermaßen aus einer anderen Zeit.« Das Verständnis für aktuelle gesellschaftliche Bedürfnisse und Entwicklungen könne alten Politikern schwerer fallen. »Eine weitere Gefährdung sehe ich darin, dass speziell ältere Männer nach längerer Zeit in Machtpositionen zu Selbstüberschätzung neigen könnten«, sagt Wahl. Laut Zahlen von 2020 ist das Durchschnittsalter politischer Führungskräfte in den letzten drei Jahrzehnten in den meisten Teilen der Welt jedoch nicht wesentlich gestiegen. dpa/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.