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Hunger-Krise verschärft sich
Jeder zehnte Mensch leidet an Nahrungsmittelknappheit. Die Welthungerhilfe warnt vor Etatkürzungen
Weltweit hungern rund 735 Millionen Menschen. Vor allem Frauen und Kinder sind betroffen. Das geht aus dem aktuellen Welternährungsbericht der Vereinten Nationen (UN) hervor. Demnach litten im vergangenen Jahr 122 Millionen Menschen mehr an Hunger als vor der Corona-Pandemie. Die UN wollen den weltweiten Hunger eigentlich bis 2030 beenden.
Die Welthungerhilfe, eine der größten privaten Hilfsorganisationen in Deutschland, hat am Donnerstag in Berlin ihren Jahresbericht vorgestellt. Die Organisation befürchtet, dass es noch deutlich länger dauern wird, globale Ernährungssicherheit herzustellen. Vielmehr ist sie besorgt, dass sich die Zahl der weltweit Hungernden auf einem zu hohen Niveau stabilisiert. Die Situation hungernder Menschen habe sich im vergangenen Jahr weltweit sogar verschlechtert, erklärte Welthungerhilfe-Präsidentin Marlehn Thieme in Berlin. Vielfache Krisen wie die Folgen des Klimawandels sowie bewaffnete Konflikte und hohe Preise für Nahrungsmittel treiben immer mehr Menschen in den Hunger. Es fehle jedoch am politischen Willen, Armut wirksam zu bekämpfen.
Thieme erklärte, dass die Preise für Lebensmittel schon zu Beginn des Jahres 2022 Rekordwerte erzielt hätten. Der Krieg in der Ukraine habe den Anstieg der Nahrungsmittelpreise mit erheblichen Ernährungsproblemen für Millionen Familien im südlichen Afrika, in Asien und im arabischen Raum zudem extrem verstärkt. Grundnahrungsmittel seien teilweise unerschwinglich geworden und der Hunger sei dadurch weltweit weiter auf dem Vormarsch.
Die Welthungerhilfe engagiert sich global gegen Nahrungsmittelknappheit, kooperiert dabei mit 266 nationalen Hilfsorganisationen und unterstützte nach eigenen Angaben in 37 Ländern mit 603 Auslandsprojekten rund 18,8 Millionen Menschen. Der Großteil der Hilfen, insgesamt 185,1 Millionen Euro, floss in 366 Projekte in Afrika. Die Länder in der Subsahara stehen laut dem Generalsekretär der Welthungerhilfe, Mathias Mogge, im Mittelpunkt der Arbeit.
Die aktuelle Lage im Sudan sei dabei exemplarisch für die fatalen Auswirkungen von bewaffneten Konflikten. »Die schweren Kämpfe und Millionen Menschen auf der Flucht sind enorme Herausforderungen in der täglichen humanitären Hilfe.« Durch den Konflikt würden auch zivilgesellschaftliche Akteure zunehmend in ihrer Arbeit eingeschränkt. »Um den Hunger erfolgreich bekämpfen zu können, muss die Zivilgesellschaft jedoch staatliche Strukturen überprüfen und Verbesserungen einfordern können«, erklärte er. Dies sei jedoch in vielen Ländern nicht gegeben. In Afghanistan werde durch das Arbeitsverbot für Afghaninnen eine ganze Bevölkerungsgruppe ausgegrenzt, in Indien zweifele die Regierung die wissenschaftlichen Berechnungen im Welthunger-Index an und auch in Mali und Burkina Faso macht die sich tagtäglich verschlechternde Sicherheitslage die Arbeit für Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen immer schwieriger.
Auch der Klimawandel treibt die Zahl der Hungernden nach oben. Besonders davon betroffen sei Ostafrika, wo sich ohnehin schon bestehende Hungerkrisen verstärken, wie Marlehn Thieme erklärte: »Am Horn von Afrika hat sich die Lage dramatisch zugespitzt. Mehr als 36 Millionen Menschen leiden dort unter der schlimmsten Dürre seit vier Jahrzehnten.« Vor allem im Norden Kenias, in vielen Teilen Somalias, im Süden Äthiopiens und im Norden Ugandas sei die Situation weiterhin lebensbedrohlich. Die Böden sind viel zu trocken, es gibt zu geringe Ernten und nicht genug zu essen. Viele Hirtenfamilien haben ihren Viehbestand verloren. »Hungerkrisen entwickeln sich zu Katastrophen.« In manchen Regionen kommt zu den Dürren auch noch verstärkte Kriminalität, die wegen knapper Ressourcen aufflammt. Die Welthungerhilfe befürchtet zudem, dass durch das Wetterphänomen El Niño in den kommenden Monaten starke Regenfälle drohen: Auf die Dürren könnten Fluten folgen.
Trotz alledem ist die Welthungerhilfe vorsichtig optimistisch. »Hunger ist eines der größten lösbaren Probleme der Welt. Mit der Agenda 2030 und den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen haben wir eine gute Strategie, um den Hunger langfristig zu überwinden«, hieß es in Berlin. Es brauche aber »den politischen Willen und die Einigkeit, die nötigen Maßnahmen auch umzusetzen«, so Thieme. Dazu gehörten eine ausreichende Finanzierung sowie »grundlegende Reformen für ein gerechtes und nachhaltiges Ernährungssystem«, das vor allem die Menschen in ländlichen Regionen stärker unterstütze.
Daher kritisierte die Welthungerhilfe erneut die geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt 2024 bei der Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe. Diese seien »das falsche Signal in Zeiten größter Not«, monierte die Welthungerhilfe-Präsidentin. Noch deutlicher wurden angesichts der aktuellen Zahlen zum globalen Hunger weitere Hilfsorganisationen. »Wir müssen endlich begreifen, dass Hunger kein Schicksal ist«, so Philipp Mimkes, Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation FIAN Deutschland. »Hunger ist meist ein Resultat von Diskriminierung und Ausgrenzung. Ein Mix aus nationalen Politiken und internationalen Abkommen privilegiert heute einseitig industrielle und konzerndominierte Ernährungssysteme: input-intensive Landwirtschaft, sehr lange Versorgungsketten, globaler Handel dominiert von wenigen Konzernen, Investitionsabkommen oder marktbasierte Antworten auf die Klimakrise.«
In Ländern des globalen Südens werden jedoch rund zwei Drittel aller Nahrungsmittel von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern produziert. Daher sollten deren Rechte sowie eine Abkehr der Dominanz von Großkonzernen im Zentrum stehen, heißt es von FIAN weiter. Auch Dagmar Pruin, die Präsidentin von Brot für die Welt, kritisierte den weltweiten Handel, der meist auf Kosten des globalen Südens gehe: »In Afrika hungern immer mehr Menschen, auch weil zu stark auf Importe statt lokale Nahrungsproduktion gesetzt wird.« Diese einseitigen Abhängigkeiten der globalen Ökonomie führen ebenso wie Spekulationen mit Nahrungsmitteln zu gewaltigen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln und werden den Hunger weiter vorantreiben. Keine guten Aussichten.
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