- Reise
- Wracktauchen in der Ostsee
Geheimnisse am Grund
Die Ostsee ist ein Traum für geschichtlich interessierte Taucher. Denn in dem salzarmen Brackwasser sind viele hölzerne Schiffe erhalten geblieben, die vor Jahrhunderten sanken. Darunter die einst größten Schlachtschiffe der Welt
Und dann sind wir runtergegangen!» Unter Wasser habe er, erzählt Jim Hansson, Details entdeckt, die keinen Zweifel mehr zuließen. Mit Gasflasche auf dem Rücken und Maske vorm Gesicht erkannte er die typische Schiffsbauweise des frühen 17. Jahrhunderts, sah die Kanonenöffnung auf dem zweiten Deck, eine große Lücke in der hölzernen Außenwand. Der Unterwasserarchäologe erzählt vom bislang größten Moment seiner Berufslaufbahn. Er erzählt von der Entdeckung der «Äpplet» im Dezember 2021 und hat feuchte Augen bekommen.
Die «Äpplet» ist eines von drei Schwesterschiffen der berühmten «Vasa». Als anhand von Holzproben im Herbst 2022 auch offiziell bestätigt wurde, dass es sich bei der Entdeckung durch Hansson und seinem Team um das Schwesterschiff «Äpplet» handelt, wurde das als Sensation gefeiert. Die vier Galeonen zählten zu den größten Schlachtschiffen ihrer Zeit. Die Suche nahm Jahre in Anspruch, berichtet Hansson. «Die ›Äpplet‹ lag da, vergessen seit 1659 im Stockholmer Schärengarten.»
Dabei sind Schiffswracks in der Ostsee keine Seltenheit. «Es gibt eine Menge Geheimnisse in der Gegend», meint Hansson. Während die genaue Lage des «Äpplet»-Wracks geheim gehalten wird, haben Tauchtouristen allein in der Nähe der auf Inseln gebauten Hauptstadt viel Gelegenheit, auf Unterwasser-Entdeckungstour zu gehen. Einstmals war die Gegend südöstlich Stockholms Knotenpunkt für die Schifffahrt in der Ostsee, hier war die Marineflotte Schwedens stationiert.
Die Ostsee: ein Unterwassermuseum
«Das grüne Wasser der Ostsee ist voll von Wracks», sagt Emmy Ahlén von der Tauchbasis Captain Baltic Wreck Dive Resort in Dalarö. 2011 wurde unweit der Tauchschule Schwedens erstes «maritimes Kulturreservat» eingerichtet, um das schaurige Schifffahrtserbe auch mehr Hobby-Froschleuten zugänglich zu machen: der Dalarö-Tauchpark im Schärengarten südöstlich Stockholms. Dort können Schiffswracks aus dem 17. Jahrhundert mit Flossen und Flasche in Begleitung eines ausgebildeten Wrackführers besichtigt werden: kleinere Fischerboote, größere Handelsschiffe.
- Anreise: Von Deutschland aus gibt es zwei Nachtzugverbindungen. Die schwedische Staatsbahn SJ setzt ab Berlin täglich einen Euronight ein. Die Liegewaggons haben Abteile mit je zwei mal drei übereinanderliegenden Pritschen. Die Schlafwaggons bieten bezogene Doppelbetten, in denen man längs zur Fahrtrichtung nächtigt.
sj.se/en/travel-info/sj-euronight.html
Alternative ist der zwischen Ostern und Herbst privat betriebene Nachtzug Snälltåget.
snalltaget.se - Unterkunft: Charmant und dank der nautischen Sammlerexponate fast ein kleines Schifffahrtsmuseum ist das »Collector’s Victory Hotel« in der Altstadt, das für Selbstversorger auch Gästewohnungen mit Küche und großem Wohnbereich für bis zu sechs Personen anbietet; DZ ab 180 Euro/Nacht; Penthouse: 340 Euro bei Belegung zu viert.
www.victoryhotel.se/victory-hotel
Superzentral gelegen ist das »Hotel Frantz« am Verkehrsknotenpunkt Slussen, DZ ab 140 Euro/Nacht. www.hotelfrantz.se
Einfache Unterkünfte bietet auch die Tauschschule Captain Baltic. vrakdykarpensionatet.se - Tauchen: Ein Bootstrip mit zwei Tauchgängen im Dalarö-Unterwasserpark kostet bei Captain Baltic umgerechnet 115 Euro, hinzu kommen 90 Euro fürs Equipment.
vrakdykarpensionatet.se - Museen: Das »Vrak«-Museum hat täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet, mittwochs bis 20 Uhr. Der Eintritt beträgt rund 16 Euro, bis 18 Jahre ist er kostenlos. Das Vasa-Museum hat die gleichen Öffnungszeiten, außer von Juni bis August (8.30 bis 18 Uhr); Eintritt: 16 Euro. Das Kombiticket für beide Museen kostet 25 Euro.
vrak.se, www.vasamuseet.se
«Die nächstgelegenen Wracks sind die ›Anna-Maria‹ und die ›Jutholms‹», sagt Emmy Ahlén. Vor allem das hölzerne Frachtschiff «Anna Maria» sei für die meisten Taucher prima geeignet, es liege in etwa 20 Meter Tiefe und sei gut erhalten – bis auf die Brandspuren, die auf sein Ende hindeuten: «In einem kalten Winter im Jahr 1709 sank es, als an Bord ein Feuer ausbrach.» Auch die «Jutholms» erlitt zu der Zeit Schiffbruch, an Deck liegen noch Teile der einstigen Fracht.
Und doch betrachtet Emmy Ahlén den Dalarö-Tauchpark eher als eine «Informationskampagne über sieben Wracks». Zu groß ist der Reichtum an gesunkenen Schiffen auch andernorts in der Ostsee. So liegen rund um die Insel Gotland oder den zu Finnland gehörenden Åland-Inseln viele gut erhaltene Schiffsreste. «Wir haben eine einzigartige Umgebung, in der man wie in einem Museum schwimmt und das Tauchen selbst hauptsächlich dazu dient, diese Sehenswürdigkeiten zu sehen», sagt sie.
Weit über 20 000 gesunkene Schiffe wurden bereits dokumentiert, laut Schätzungen sind noch Zehntausende unentdeckt. Von «unendlich vielen Möglichkeiten» schwärmt auch Stadtführerin und Hobby-Taucherin Gunilla Kuehner beim Besuch im Herbst 2021 eröffneten Vrak-Museum auf Stockholms Museumsinsel Djurgården. Sie steht vor einer hinterleuchteten Tafel, die von Gotland bis zum Norden des Finnischen Meerbusens schier unzählige Punkte entlang der Küste zeigt, jeder steht für ein identifiziertes Wrack. Auch sie habe schon eins mitentdeckt: «Das war eine Fleute aus dem 17. Jahrhundert, der Lkw dieser Zeit.»
Konserviert dank Brackwasser
Dass die Ostsee so reich an Spuren und Überbleibseln vergangener Schifffahrtsepochen ist, liegt an ihrem gegenüber anderen Meeren geringen Salzgehalt. Holz überdauert viel länger: «Im Brackwasser kann die Muschel Teredo navalis nicht in nennenswerten Populationen leben», sagt Gunilla. Besser bekannt ist die Art als Schiffsbohrwurm. Dieser sorgt in salzhaltigeren Gewässern dafür, dass von havarierten Schiffen aus der Zeit vor der Industriellen Revolution oft kaum noch etwas übrig bleibt.
Tauch-Guide Ahlén steuert in der Gegend von Dalarö etwa 40 Wracks mit Tauchtouristen an. «Mein persönlicher Favorit ist ›Gröne Jägaren‹, weil sie so eine tolle Geschichte hat.» Das mit Kanonen bewaffnete Kriegsschiff hatte im Schonischen Krieg Gefechte gegen Dänemark vor Öland überstanden, doch sank es, als 1676 ein Pulverfass an Bord explodierte, das sich vermutlich an außer Kontrolle geratener Glut aus der Kombüse entzündete. Einige geborgene Teile des 1950 entdeckten Wracks sind heute im Schwedischen Schifffahrtsmuseum ausgestellt.
Der größte museale Schatz aber ist die «Vasa», die nach 333 Jahren auf dem Meeresgrund 1961 vor Stockholm gehoben wurde und in einem eigenen Museum auf Djurgården in voller Pracht besichtigt werden kann. Oft wird behauptet, ganz Schweden sei kaum auf etwas anderes so stolz wie diese Galeone, die in den 1620er Jahren zusammen mit ihren drei Schwesterschiffen im Auftrag von König Gustav II. Adolf von Schweden als seinerzeit vielleicht größtes Schlachtschiff der Welt zur Machtdemonstration im Dreißigjährigen Krieg erbaut wurde. «Ein großes Missverständnis», sagt Jim Hansson.
Gleich auf der Jungfernfahrt am 10. August 1628 sank das fehlkonstruierte Schiff vor der Insel Beckholmen. Nach nur gut einem Kilometer Fahrt packte es ein Windstoß, der es zum Kentern brachte. «Wir sind natürlich nicht stolz darauf, dass es sank, eher dass wir es heben konnten und dass es noch da ist», sagt Hansson.
Im Museum riecht es nach Chemikalien
Über elf Jahre wurde die sehr gut erhaltene «Vasa» im Trockendock konserviert. Allein die Bergung, zu der man die «Vasa» am Meeresboden mehrfach untertunnelte, um dort dicke Stahlseile hindurchzuführen, mit denen das Schiff geliftet wurde, war mehr als aufwendig. In der großen Halle, die am Trockendock rund um den eichenhölzernen Koloss von 60 Metern errichtet wurde, riecht es leicht stechend; das Wrack dünstet Chemikalien aus, die den schleichenden Zersetzungsprozess an der Luft verlangsamen sollen.
«Ein Schiff in diesem Erhaltungszustand sieht man sonst nirgendwo», meint Hansson. An Stellen, wo die «Vasa» hell ist, wurde sie rekonstruiert, doch fast überall ist ihr Holz dunkel. Er hofft, dass man das Schlachtschiff noch Jahrhunderte wird besichtigen können. «Doch irgendwann wird sie sich zersetzt haben.»
Somit wird die «Äpplet» sie im besser konservierenden Brackwasser der Ostsee wohl überdauern. Es gibt derzeit keine Pläne, das Schwesterschiff zu heben. Viel zu teuer. Anders als das Original war die breiter konstruierte «Äpplet» rund 30 Jahre im Dienst. 1658 wurde sie schließlich als Teil einer Unterwasserbarriere versenkt. «Eine Art historisches Recycling», meint Hansson. Die Unterwassermauer sollte feindliche Schiffe von Stockholm fernhalten. Auch die anderen beiden Schwesterschiffe der «Vasa» seien zu diesem Zweck versenkt worden. Doch bislang weiß niemand, wo.
Für erfahrene Kaltwassertaucher
Hobbytauchern wird auch die «Äpplet» verborgen bleiben. «Es gibt ein Tauchverbot, da das Wrack sich in einer Militärzone befindet», sagt Emmy Ahlén. «Aber um etwas Ähnliches aus der gleichen Zeit zu betauchen, bieten sich die Wracks ›Bodekull‹ und und ›Riksäpplet‹ an.» Beide Schiffe seien aber nur etwas für erfahrene Kaltwassertaucher. Die «Riksäpplet», zeitweise Flaggschiff des Reichsadmirals, lief 1676 vor Dalarö auf Grund und sank. Teile von ihr wurden später beim Bau eines der hölzernen Tore des Rathauses, Stockholms stadshus, verwendet.
Wer etwas von der «Äpplet» im Original sehen möchte, muss das «Vrak»-Museum aufsuchen. Dort, in einem Aquarium, lagern drei geborgene Holzstücke des einstigen Schlachtschiffes. Unspektakulär und eher unansehnlich – wer aber die Geschichte dazu kennt, wird fasziniert sein.
Die Recherche wurde unterstützt von Visit Sweden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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