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Tour de France: Das riskante Spiel mit der Sicherheit
Trotz großer Diskussionen schaffen die Organisatoren der Frankreich-Rundfahrt neue Gefahren
In Sachen Sicherheit tut sich was bei der Tour de France. Adam Hansen, ehemaliger Radprofi und frisch gewählter Präsident der Fahrergewerkschaft CPA, nimmt jedenfalls seinen neuen Job ernst. Er fuhr am Donnerstag die Abfahrt vom Col de Joux Plane herunter, die an diesem Sonnabend die finalen Kilometer der 14. Etappe der Frankreich-Rundfahrt bildet. Er stellte das Video auf Twitter. Und man konnte sehen, dass an vielen Stellen eine neue, feine und glatte Asphaltdecke aufgetragen war. »Die Aso hat genau das getan, was sie versprochen hat bei unserem Treffen vor dem Tour-Start. Mir hatten Fahrer zuvor vom schlechten Zustand der Fahrbahn berichtet. Und die Aso hat diese Abschnitte repariert«, lobte Hansen die Tour-Organisatoren.
Das ist ein gutes Zeichen. Denn es signalisiert, dass Bedenken ernst genommen werden. Es zeigt auch, dass es lohnt, Kritik zu äußern. Bislang glich die Streckenplanung bei den Grand Tours eher einer Art Blackbox. Zwar hatte der Radsportweltverband UCI bereits vor zwei Jahren eine Sicherheitskommission eingerichtet und den Schweizer Ex-Profi und Direktor der Romandie-Rundfahrt Richard Chassot als Sicherheitsbeauftragten installiert. Und wie die Streckenplaner von Giro und Tour, Mauro Vegni und Thierry Gouvenou, »nd« auch mehrfach versicherten, war bei der finalen Abnahme der Strecken stets jemand von der UCI an Bord. Aber: Äußerten danach Fahrer, die die Strecken von Trainingseinheiten oder Erkundungsfahrten her kannten, Bedenken, fielen die meist unter den Tisch. Denn außer Streikandrohung gab es kein wirksames Mittel, die Interessen der Profis durchzusetzen.
Das scheint sich jetzt zu ändern. Hansen wirkt proaktiver als sein Vorgänger Gianni Bugno. Einen wichtigen Weg hat auch die Fahrerinnengewerkschaft The Cyclists Alliance (TCA) gewiesen. Die führt schon seit ein paar Jahren regelmäßig Auswertungen von Stürzen, Fast-Stürzen und anderen Sicherheitsmängeln bei den Frauenrennen durch. Leider war die TCA zum Sicherheitsgipfel Safe Roadcycling beim Grand Depart in Bilbao nicht eingeladen. Aber manches, was dort vorgestellt wurde, etwa eine statistische Auswertung von Sturzursachen, betreibt die TCA eben schon. Die Abwesenden geben gewissermaßen Ton und Richtung vor. Das ist etwas umständlich, aber wann geht es bei großen Institutionen schon einmal schlank, smart und direkt zu?
Die Fahrer beobachten mit freundlicher Skepsis die Veränderungen. »Es ist gut, dass sich etwas bewegt. Nun muss man sehen, was es wirklich bringt«, meinte Nikias Arndt, Teamkollege des bei der Tour de Suisse tödlich verunglückten Schweizer Profis Gino Mäder, zu »nd«. Auch bei den Teamchefs stößt die größere Aktivität von Weltverband und Rennorganisatoren auf ein positives Echo. Patrick Lefevre vom Team Soudal Quick Step sagte zu »nd«: »Es waren ja zwei Leute, ich und Jumbo-Visma-Chef Richard Plugge, die das Thema vor einigen Jahren schon in die Hand genommen haben. Inzwischen hört uns die UCI wenigstens zu. Für uns ist es bitter, wenn die Fahrer stürzen. Sie riskieren nicht nur ihre Gesundheit und fallen aus. Wir müssen sie auch bezahlen, selbst wenn sie keine Rennen fahren. Fabio Jakobsen habe ich fast zwei Jahre bezahlt nach seinem Sturz, Remco Evenepoel nach seinem mehrere Monate.«
Fabio Jakobsen war auf einer Sprintabfahrt bei der Polen-Rundfahrt im August 2020 so schwer gestürzt, dass er durch die Absperrgitter rauschte, mehrere Tage ins künstliche Koma versetzt wurde und dem Tode näher als dem Leben war. Noch im gleichen Monat stürzte Evenepoel bei der Lombardei-Rundfahrt über eine nicht gesicherte Brücke tief in die Schlucht. Dass er überlebte und auch wieder Rennen fährt, gleicht einem Wunder.
Einiges hat sich seitdem schon getan. Absperrungen müssen zumindest auf dem letzten Kilometer einer Etappe viel besser gesichert sein. Sie dürfen nicht mehr so auseinanderfliegen wie die im August 2020 in Polen. Auch Massensprints bergab werden vermieden. »Durch das Profil der Rennen können bereits einige Gefahrenmomente beseitigt werden. Keine Kurven, keine Fahrbahnteiler und eben auch kein abschüssiges Terrain bei Sprintankünften zum Beispiel«, erklärte Ralph Denk, Teamchef von Bora-hansgrohe, »nd«. Bei anderen Dingen wie der Straßenmöblierung, die den Autoverkehr verlangsamen soll, oder auch Radwegen, die durch Barrieren von den Fahrbahnen und vom motorisierten Verkehr getrennt sind, können die Organisatoren hingegen wenig machen. Diese Elemente nehmen zu. Für den allgemeinen Fahrradverkehr seien sie auch nützlich, meint Denk. Für den Hochgeschwindigkeitssport auf zwei Rädern stellen sie zusätzliche Gefahrenquellen dar.
Umso überraschender war es, dass dort, wo die Streckenplaner Einfluss nehmen können, nun doch ein Gefahrenmoment eingebaut wurde – eben die Abfahrt vom Joux Plane. Die Fahrer sind erschöpft und ausgelaugt von fünf Gipfeln zuvor. Auf der Abfahrt will jeder noch Sekunden oder gar Minuten gutmachen. Viel mentale Kraft für Konzentration auf die Kurven ist dann aber nicht mehr da. Es ist ein riskantes Spiel. Immerhin mindert der neue Asphalt die Gefahr, auch akustische Warnsignale sollen vor Kurven installiert werden.
Auf der 17. Etappe sollen in einigen Kehren sogar Matratzen aufgestellt werden, um im Falle von Stürzen schwere Verletzungen zu vermeiden. Das erinnert an Sicherheitsmaßnahmen im alpinen Skisport. Das könne sinnvoll sein, sei aber auch schwer zu realisieren, meint Bora-Chef Denk. »Ich komme aus Bayern und wohne in der Nähe von Kitzbühel. Man sieht ja, welcher Aufwand bei den Skirennen getrieben wird. Aber man sichert dort fünf oder sechs Kilometer ab. Beim Radsport sind die Etappen viel länger. Wenn man da Schluchten auspolstern oder Fangnetze aufstellen will, muss man sich auch einmal die Frage stellen, wer das dann bezahlt«, überlegt er. Gleich eine geeignetere Strecke zu wählen, ist die bessere Variante. Auch die große Aso kann noch lernen.
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