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Tod in Mannheim: Polizisten vor Gericht
Prozess wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge sowie unterlassener Hilfeleistung
Der Fall erinnert an den Afroamerikaner George Floyd, der im Mai 2020 von der Polizei im US-Bundesstaat Minnesota getötet wurde: Fast zwei Jahre später, am 2. Mai 2022, traktiert ein Polizist in Mannheim einen Psychiatrie-Patienten auf einem Gehweg am Marktplatz mit Pfefferspray, bringt ihn zu Boden und fixiert ihn in Bauchlage mit dem Knie. Derart eingeklemmt erhält der 47-Jährige Faustschläge ins Gesicht, ein weiterer Beamter sieht dabei zu. Der blutende und schließlich bewusstlose Mann wird von Sanitätern abgeholt und verstirbt im Krankenhaus.
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Nun müssen sich die beiden Täter vor Gericht verantworten. Am vergangenen Donnerstag hat die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Mannheim die Prozesstermine gegen die beteiligten Polizisten bekannt gegeben. Beginnend am 7. Januar sind bis zum 8. März zunächst sieben Sitzungen anberaumt. Angeklagt ist ein Polizeioberkommissar wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge, als Tateinheit wird die versuchte gefährliche Körperverletzung angenommen. Einem ebenfalls beteiligten Polizeihauptmeister wirft die Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung durch Unterlassen vor.
Der Verstorbene war Patient des Mannheimer Zentralinstituts für seelische Gesundheit und soll an einer paranoiden Schizophrenie gelitten haben. Sein behandelnder Arzt hatte wegen akuter Eigengefährdung die Polizei gerufen, nachdem der Mann während einer psychischen Ausnahmesituation die Einrichtung plötzlich verlassen habe. Danach soll der 47-Jährige selbst beim Polizeirevier geklingelt, sich anschließend aber wieder in Richtung des späteren Tatortes am Marktplatz entfernt haben. Im Gehen habe er sich zu den ihm folgenden Polizeibeamten umgedreht, daraufhin sei dem Mann Pfefferspray ins Gesicht gesprüht worden. Gegen seine Festnahme soll er sich mit zwei Faustschlägen gewehrt haben.
Von dem Vorfall kursieren in sozialen Medien mehrere Videos. Darauf sind sowohl die Misshandlungen als auch der Abtransport des Mannes mit einem Krankenwagen zu sehen. Die Bilder der übertriebenen Polizeigewalt haben vor einem Jahr in Deutschland für Empörung und in Mannheim für Proteste gesorgt.
Auch die Äußerungen des Bundesvorsitzenden der rechtslastigen Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, sorgten für Kritik. In einem Interview mit dem Fernsehsender der »Bild« hatte Wendt die Authentizität der ins Netz gestellten Videos angezweifelt und erklärt, die Anwendung polizeilicher Gewalt »produziert keine schönen Bilder«. Dass der Einsatz ungewöhnlich sei, könne er nicht erkennen.
Ein Gutachten der Staatsanwaltschaft hatte im September des vergangenen Jahres einen nicht natürlichen Tod infolge des Polizeieinsatzes festgestellt, demnach starb der Mann an einer »lage- und fixationsbedingten Atembehinderung«. Laut einer Obduktion habe er an einer Herzinsuffizienz gelitten.
Die Staatsanwaltschaft Mannheim erhob bereits im Dezember Anklage gegen die beiden Polizisten. Die Ermittlungen zu dem Vorfall hatte zuvor das Landeskriminalamt Baden-Württemberg geführt und ein Hinweisportal sowie ein Hinweistelefon eingerichtet. Darüber konnten Zeugen Videos und Bilder hochladen sowie Hinweise übermitteln. Insgesamt sollen bei der Polizei 120 Videosequenzen eingegangen sein, die »jeweils einzelne Handlungsstränge des Ereignisablaufes zeigten«. Daraus sowie mithilfe der Aussagen von 91 Augenzeugen haben die Ermittler einen einstündigen, chronologischen Zusammenschnitt der Tat erstellt.
Für den Tod des 47-Jährigen ist nach Ansicht des Gerichts »neben seiner ungünstigen Fixierung auf dem Bauch« auch das aus insgesamt vier Faustschlägen resultierende Nasenbluten »zumindest mitursächlich«. Dafür soll der Polizeikommissar verantwortlich sein. Der Einsatz des Pfeffersprays gegen das weggehende Opfer wertet die Anklage als versuchte gefährliche Körperverletzung im Amt.
Sein wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagter Kollege soll daran und auch an den Faustschlägen nicht beteiligt gewesen sein. Jedoch habe er versäumt, für eine Umlagerung in eine Seitenlage zu sorgen. So hätte der Tod nach Einschätzung der Rechtsmedizin »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« vermieden werden können. »Der 47-Jährige hätte dann freier atmen können«, so das Gericht.
Nur wenige Tage nach dem tödlichen Einsatz schoss ein Polizist in Mannheim einen 31-Jährigen in einem psychischen Ausnahmezustand ins Bein, dieser starb daraufhin. Im September erkannte die Staatsanwaltschaft auf Notwehr und stellte die Ermittlungen ein.
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