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Tour de France: Jai Hindley kämpft für Bora verletzt ums Podium

Der Giro-Sieger von 2022 wurde durch einen Sturz zurückgeworfen. Für einen Platz unter den ersten Drei der Tour erträgt er nun auch große Schmerzen

  • Tom Mustroph, Saint-Gervais
  • Lesedauer: 5 Min.
Fahren am Limit: Jai Hindley kämpft bei der Tour mit Gefahren, Gegnern, Geist und Körper.
Fahren am Limit: Jai Hindley kämpft bei der Tour mit Gefahren, Gegnern, Geist und Körper.

Erschöpft und mit schmerzverzerrtem Gesicht stieg Jai Hindley im Schatten des Mont-Blanc-Massivs am Sonntag von seinem Rennrad. Es war für ihn ein Tag der Leiden bei der Tour de France. Der Rücken tat weh. Denn am Vortag war auch der australische Radprofi Opfer eines Massensturzes. »Schmerzen im Hintern« nannte er selbst das Hauptproblem. Teamchef Ralph Denk äußerte sich etwas differenzierter: »Er hat ein Hämatom. Und das bedeutet, er kann nicht immer in der optimalen Position sitzen und treten«, erläuterte der Bora-Chef gegenüber »nd«. »Auch die anderen Muskeln sind beeinträchtigt. Sie blockieren nach ein paar Stunden Arbeit. Und sie können sich auch nicht so gut regenerieren, weil der Körper viel Energie in die Heilung des Hämatoms stecken muss.«

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Insofern ist es schon eine große Leistung, dass der 27-jährige Australier überhaupt noch vorn im Feld herumfährt. Zwar ist er mittlerweile im Gesamtklassement von Platz eins bis auf Rang fünf zurückgefallen. Aber er kämpft. Nur knapp zwei Minuten verlor er am Sonntag am Fuße des Mont Blanc auf die beiden Führenden Jonas Vingegaard und Tadej Pogačar. Etwas mehr als eine Minute lag Hindley im Ziel hinter dem jungen Spanier Carlos Rodríguez, der nun Dritter hinter den beiden Dominatoren aus Dänemark und Slowenien ist. Das kann sich immer noch sehen lassen.

Am Teambus konnte sich Hindley auch von Freundin Abby Chandler trösten lassen, die ihn in die Arme nahm. Und noch etwas Freudiges durfte er vom Sonntag mitnehmen: Radsport taugt als Rehasport selbst dann, wenn er auf Wettkampfniveau betrieben wird: »Vor der Etappe konnte Jai noch nicht mal richtig laufen«, beschrieb Denk den Zustand seines Spitzenfahrers. Nach anstrengenden 179 Kilometern durch die Alpen stieg Hindley aber ohne fremde Hilfe vom Rad und machte die paar Schritte zum Rollentrainer zwar ziemlich steif, aber ebenfalls ganz allein.

Der Ruhetag am Montag kam da zur rechten Zeit. Wie gut erholt er herauskommt, ist jedoch ungewiss. Ungünstig für Hindley ist, dass an diesem Dienstag gleich wieder eine Maximalbelastung ansteht. Es sind zwar nur 22 Kilometer, aber im einsamen Kampf gegen die Uhr. Im Einzelzeitfahren kann Hindley nicht auf Hilfe seiner Teamgefährten bauen. Die hatten am Sonntag noch einen regelrechten Lazarettzug für ihn geplant. Gleich drei Mann gingen in die Spitzengruppe des Tages. Das Ziel: So viele Helfer wie möglich sollten am letzten Berg noch bei ihrem Kapitän sein.

Das sah lange Zeit auch gut aus. Bis dann Teamkollege Emanuel Buchmann stürzte. »Wir waren zum Glück nicht so schnell, ich bin weggerutscht, habe ein paar Schürfwunden, aber das kennt man als Fahrer. Ärgerlich ist, dass ich dann nicht mehr bei Jai bleiben konnte«, fasste der Ravensburger das Geschehen zusammen. Noch ärgerlicher war, dass durch diesen Sturz auch eine Lücke zu den mittlerweile aus der Fluchtgruppe zu Hindley zurückgekehrten Teamkollegen Nils Politt und Patrick Konrad riss. Nur noch der Luxemburger Bob Jungels konnte in den letzten Anstieg hinein bei Hindley bleiben.

Umso höher ist dessen Leistung zu bewerten. Gewöhnliche Angestellte wären mit Verletzungen, wie Hindley sie hat, nicht zur Arbeit erschienen, lobte Denk die Leidensleistung seines Spitzenfahrers. Natürlich kann man nach dem Sinn fragen, sich solchen Qualen auszusetzen. Andererseits stecken Monate Vorbereitung in so einer Tour-Teilnahme. Solange das Treten noch geht und Ziele am Horizont nicht ganz verschwinden, wird also weitergefahren.

Ohnehin gibt es eine regelrechte Tradition des Leidens im Straßenradsport. Gerade eine Tour de France ist durch nur wenige Hochs und viele Tiefs gekennzeichnet. Die meisten Fahrer nehmen vor allem Tiefpunkte von der gar nicht so wohlmeinenden »Mutter aller Rundfahrten« mit – seien es Stürze, Defekte, leere Beine oder vor Erschöpfung leere Köpfe.

Hindley hatte zumindest einen echten Höhepunkt: Die fünfte Etappe gewann er als Solist und eroberte das Gelbe Trikot. Die Führung war er tags darauf zwar wieder los. Aber der dritte Gesamtrang schien zementiert. Die Träume vom Podium in Paris waren beim deutschen Bora-Rennstall und auch beim Australier selbst riesengroß. Sie waren auch gut begründet. Dass er dreiwöchige Rundfahrten mit überstehen kann, hat er bereits vor drei Jahren bewiesen, als er überraschend Zweiter beim Giro d’Italia wurde. 2022 gewann er die Italien-Rundfahrt sogar – es war der erste Grand-Tour-Sieg für einen deutschen Radrennstall seit den Tagen von Jan Ullrich im Telekomkonzern. Team Sunweb war zwar 2017 beim Giro-Sieg von Tom Dumoulin in Deutschland lizenziert. Die Basis lag aber doch in den Niederlanden. Hindley und Bora-hansgrohe erreichten also einen echten Meilenstein für den deutschen Radsport.

Die Ziele sind nun wieder etwas kleiner geworden. »Es ist schon ein Rückschlag«, meinte Teamchef Denk. Ganz aufgegeben hat der Bayer den dritten Rang mit seinem Kapitän aber noch nicht. Zum einen wird erst in Paris abgerechnet. Zum anderen gehören Stürze zum Radsport. Man kann sie nicht so einplanen wie Anstiege und Abfahrten, sie sind aber Rennalltag. Knapp drei Stürze pro Fahrer, so sagt es die Statistik der Tour de France. Hindley ist da sogar noch unterhalb des schmerzenden Solls. Und auch die vor ihm Liegenden kann jederzeit das Pech ereilen. Das Klassement steht erst beim Überqueren der weißen Ziellinie auf den Champs-Élysées. Für Hindley kommt es also bis zum Sonntag auf das perfekte Leidensmanagment an

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