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Überflutungen auf koreanischer Halbinsel
Südkorea hat Ausmaße unterschätzt, Nordkorea fürchtet Ernteausfälle
Eine Woche ist es her, dass vom Himmel über Seoul mal ein Sonnenstrahl herabschien. Stattdessen hat sich über der Hauptstadt Südkoreas eine graue Suppe verdichtet, die das Leben im ostasiatischen Land umkrempelt: An der Nordgrenze zum verfeindeten Bruderstaat Nordkorea reicht die Sicht von Ferngläsern kaum noch hundert Meter weit. Die Luftfeuchtigkeit ist unterdessen so hoch, dass Smartphones ihre Batterien nicht mehr aufladen. Selbst der Verkehr diverser Fernzüge ist bis auf Weiteres bis Dienstag ausgesetzt. In Südkorea herrscht dieser Tage apokalyptische Stimmung.
Mindestens 40 Tote
Wie ernst das Ausmaß der Starkregen ist, die in mehreren Gegenden auf das Land niederprasseln, zeigt aber vor allem die Opferzahl: Außer 10 000 Personen, die evakuiert worden sind, haben öffentliche Stellen bis jetzt 40 Todesfälle vermeldet. Zudem werden neun weitere Personen im Zentrum des Landes vermisst. Zunächst ist auch kaum Entwarnung in Sicht: Während am Montag zumindest in Seoul die Regenfälle nachließen, blieb man in mehreren Regionen in Habachtstellung vor weiteren schweren Niederschlägen am Dienstag.
Auch Nordkorea hat dieser Tage mit verstärkten Niederschlägen zu kämpfen und sorgt sich insbesondere um Ernteschäden. Bilder von Überschwemmungen und Landrutschen sind zudem aus Indien und Japan zu beobachten. Während es mehrere Gründe hierfür gibt, gilt der Klimawandel als entscheidender Faktor, der Extremwetterereignisse wahrscheinlicher macht.
In Südkorea führt die Lage auch zu politischem Ärger. Kritische Stimmen im Land sind der Meinung, die hohe Opferzahl wäre vermeidbar gewesen. Insbesondere geht es um einen Tunnel in der im geografischen Zentrum gelegenen Stadt Cheongju, der inmitten der Regenfälle überflutete, wodurch es im Verkehr zu besonders vielen Todesfällen kam. Der Tunnel hätte im Zuge der Warnung vor Starkregen gesperrt werden müssen, heißt es von mehreren Seiten.
Vermeidbare Katastrophe
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
»Die Todeszahl ist erstaunlich hoch«, findet auch Cheong Tae-sung, ein Experte beim südkoreanischen Institut für Katastrophenmanagement. Ein Grund hierfür sei zudem gewesen, dass die stärksten Regenfälle nicht wie in den vorigen Jahren in urbanen Gebieten verzeichnet werden, sondern in ländlichen Regionen, wo Überwachung schwieriger und die Reaktion langsamer sei. Hinzu komme, dass sich dieses Extremwetter plötzlicher ereigne als früher – also binnen eines Zeitraums mehr Niederschläge anfallen.
So erwartet Seo Jeong-il, Leiter der Feuerwehr in der Region West-Cheongju, dass die Opferzahl noch weiter steigen wird. Und diese Erwartung ist kontrovers. Bei einer Demonstration am Wochenende im Zentrum von Seoul, die eigentlich sozial- und gesundheitspolitischen Themen gewidmet war, skandierten Teilnehmerinnen auch gegen die Katastrophenpolitik im Land. Präsident Yoon Suk-yeol, dem die Kritik eigentlich auch galt, stimmte wiederum quasi ein. In einer Ansprache beklagte er die Lokalpolitik: »Wir müssen mit dieser Situation mit außergewöhnlicher Entschlossenheit umgehen.«
Zudem kündigte Yoon eine Untersuchung der Umstände an, die zu der hohen Todeszahl führten sowie einen stärkeren Fokus auf öffentliche Sicherheit. Dabei ist es längst nicht das erste Mal, dass Südkorea – trotz der hohen technologischen Standards im Land – eine wohl vermeidbare Katastrophe erleidet. Und immer wieder zeigt sich, dass die Gründe in laxer Sicherheitsplanung oder der Missachtung bestehender Regulierungen liegen.
Im Oktober vergangenen Jahres, als Yoon bereits regierte, starben mehr als 150 Menschen bei einer Massenpanik im Seouler Party-Viertel Itaewon – auch weil es bei Halloweenfeiern an Fluchtrouten und genügend Sicherheitskräften vor Ort mangelte. 2014 erschütterte ein Fährunglück das Land: Das Passagierschiff »Sewol« war auf dem Weg zur südlichen Insel Jeju plötzlich untergegangen, mehr als 300 Personen, darunter vor allem Kinder, starben. Im Jahr 2005 waren elf Leute im Gedrängel bei einem Konzert in Sangju gestorben. Die Liste ließe sich fortführen.
Shopping während Flutkatastrophe
Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol sieht sich aber nicht nur deshalb neuer Kritik ausgesetzt, weil die Ankündigung zu einem stärkeren Fokus auf Sicherheitsvorkehrungen wie ein altes Versprechen klingt. In den Augen der Opposition wirkte Yoon zunächst auch nicht allzu interessiert an den Regenfällen. Seiner Europareise im Zuge des Nato-Gipfels fügte er kurzerhand einen Besuch in die Ukraine hinzu. Zuvor hatten Medien in Südkorea darüber berichtet, dass sich Yoons Ehefrau in Litauen mit Luxusshopping vergnügt habe – während die koreanische Bevölkerung eben eine Katastrophe erlebte.
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