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Kolumbien: Es geht ums kulturelle Erbe
Betreiber von Bogotás Markthallen wehren sich gegen schleichende Kommerzialisierung
Unter den Standinhaber*innen der Bauernmärkte in Bogotá geht die Angst um. Aus ihrer Sicht ist eine über Jahrzehnte gewachsene Tradition in Gefahr. Seit dem 6. Juli kämpfen die Arbeiter*innen und Pächter*innen von 16 staatlich verwalteten Marktplätzen der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá gegen neue Auflagen des Instituts für Sozialwirtschaft (IPES). Sie scheinen von der Behörde gehört, aber nicht verstanden zu werden.
Längst geht es nicht mehr nur um die neuen rechtlichen Bedingungen – die Betroffenen haben Angst vor der Privatisierung der Markthallen, die Pächter*innen vermuten einen schleichenden Rausschmiss. Sie verlangen einen sicheren Arbeitsplatz und die Anerkennung und den Schutz der Märkte als immaterielles kulturelles Erbe. In der kommenden Woche ist ein Streikmarsch der Betroffenen geplant.
Anfang des Monats haben das IPES und die Vertretung der Marktplätze vereinbart, im Laufe des Monats in allen beteiligten Markthallen zusammenzukommen und gemeinsam an der Resolution zu arbeiten, die im Chaos der Pandemie verabschiedet wurde. Die Beteiligten sind verärgert, dass das IPES in der Öffentlichkeit von einem Runden Tisch spricht, jedoch nicht zusammengearbeitet wird. Um wirksam zu werden, muss die Resolution von den Pächter*innen unterzeichnet werden. Viele haben das rechtlich bindende Dokument bereits unterzeichnet, ohne den Inhalt und die für sie negativen Auswirkungen zu verstehen, verkündet der Anwalt des Markt-Kollektivs.
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Während die ersten Besprechungen ohne bemerkenswerte Fortschritte verliefen, versprach die Behörde – nach hitzigen Auseinandersetzungen mit den Teilnehmenden – auf der dritten Versammlung am 11. Juli, die gewünschten Änderungen zu überprüfen. Bei diesem Treffen wurde deutlich, dass bei den Betroffenen große Unklarheit über die praktische Umsetzung des vom IPES verfassten Dokuments herrscht. »Viele der Lokalbesitzer sind sehr alt und gehören Bauernfamilien und der Landbevölkerung an, die Behörde hat kein Verständnis für deren Perspektive und möchte ihnen ›von oben diktieren‹, was sie zu tun haben«, erklärt einer der Sprecher. Selbst ein Repräsentant des Stadtrates bemängelte die fehlende inklusive Sprache und die Ignoranz der Behörde, was die Belange der ländlichen Bevölkerung und deren Verständnis ihrer Traditionen anbelange.
Die Lokalbesitzer haben Angst, dass ihre Stände von größeren Marktketten übernommen werden. Die Älteren unter ihnen fürchten vor allem, ihren Nachfahren ihr Lebenswerk nicht überlassen zu können, da die Resolution eine Klausel enthält, die diese bisherige Handhabung neu regelt. Ein Großteil der Teilnehmenden sieht die Gefahr der Kommerzialisierung ihrer Traditionen. »Unsere Märkte sind historisch und unsere Identität. Wir lassen nicht zu, dass sie in eine Touristenattraktion verwandelt werden!«, rief die Sprecherin des Acoplamer-Marktes in die Menge.
Ati Quigua, eine indigene Politikerin des Stadtrates, nahm ebenfalls an der Diskussionsrunde teil und bekundete den Standinhaber*innen ihren Beistand. Sie wolle das kulturelle Erbe der Bauernmärkte als Tradition schützen und sich für die Lebensmittelversorgung der Hauptstadt einsetzen.
Die Befürchtungen der Streikenden sind nicht unbegründet. Die größten Markthallen der Stadt Corabastos und Paloquemao sind in privaten Händen. Über die Jahre sei außerdem die typische Kultur der Marktplätze als Ort des Austausches von Neuigkeiten und Gerüchten sowie die Atmosphäre für die Arbeiterklasse verloren gegangen, erklärt Rosemberg Falla Delgado, der rechtliche Vertreter der Plaza Perseverancia. Jede der Markthallen ist einzigartig und spiegelt die Geschichte und die soziale Struktur des jeweiligen Viertels wider, die sich im Laufe der Zeit entwickelt hat. Einer der Anführer äußert sich besorgt über aktuelle Entwicklungen: »Ursprünglich waren diese Plätze für die Gemeinschaft des jeweiligen Viertels gedacht, aber jetzt wollen sie uns gentrifizieren.«
Am Folgetag setzte die Behörde die weiteren geplanten Termine aus. Dies wurde von den Betroffenen als gutes Zeichen gedeutet. »Dank unserer Aktion kommt nach monatelanger Ignoranz endlich eine Reaktion. Das bedeutet, es bewegt sich etwas«, erklärte Falla Delgado. »Jetzt müssen wir weiter Druck machen, sonst passiert wieder nichts«, fügte er hinzu. Deshalb versammelten sich sieben der Sprecher*innen mit Protestplakaten vor dem IPES, riefen »Schluss mit den Lügen!« und hielten dabei ihre Plakate in die Höhe, auf denen zu lesen war: »Für das Wohlergehen derjenigen, die seit über 50 Jahren die Lebensmittelversorgung der Gesellschaft gewährleisten« und »IPES versucht durch Lügen mit seinen Resolutionen die Beschäftigten der Marktplätze zu betrügen«.
»Unser Kampf hat dazu geführt, dass wir Lokalbesitzer enger zusammenhalten und uns nicht mehr von der Behörde gegeneinander ausspielen lassen«, fasste Falla Delgado die aktuelle Situation für »nd« am Montag zusammen. Bisher sei das IPES nicht mit den versprochenen Änderungen auf das Kollektiv zugekommen. »Da bald Bürgermeisterwahlen sind, will die Institution die Resolution schnell durchbringen, das ist das Einzige, was zählt«, fügte der Restaurantbesitzer hinzu. Doch die Ständebesitzer*innen geben nicht klein bei. Für den 24. Juli ist eine Großdemonstration angesetzt.
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