- Politik
- Wahlen in Spanien
Spanien: Vox verschiebt den Diskurs nach rechts
Miquel Ramos über Entstehung und Erstarken der rechtsradikalen Partei in Spanien
Sie recherchieren viel zu der extrem rechten Vox-Partei in Spanien. Wann und wie ist diese Partei entstanden, deren Name auf Latein »Stimme« bedeutet?
Entstanden ist die Vox bereits 2013 aus dem Inneren der Partido Popular (Volkspartei) heraus. Von der PP stammen auch die führenden Köpfe von Vox. Die Gründung war das Ergebnis einer neo-konservativen Revolte innerhalb der spanischen Rechten ab Mitte der 2000er Jahre. Wir sprechen von der Neocon-Revolte. Im Rahmen dieser Kampagne beschuldigten einige in der spanischen Rechten Teile der PP, zu schwach gegen die damalige Regierung des Sozialdemokraten José Luis Zapatero (PSOE) vorzugehen. Dabei ging es um Maßnahmen zur Geschlechtergleichstellung, um sexuelle und reproduktive Rechte wie Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe, auch um die historische Erinnerung an den Franquismus.
Vox hat keine direkte faschistische Vorgängerpartei?
Nein. Bei Vox handelt es sich nicht um eine historische Formation von Faschisten, es gab Anfang der 2010er Jahre in Spanien – ebenso wie in Portugal – keine institutionalisierte rechtsextreme Partei. Vox entstammt wie gesagt der PP, die seit dem Tod Francos 1975 die gesamte Rechte vom Zentrum bis zur extremen Rechten vereinte. Nach der Gründung von Vox sammelten sich dort einige extrem Rechte, andere blieben zunächst aber noch innerhalb der PP beheimatet.
Wie erklärt sich der Bedeutungszuwachs der Vox?
Ab 2017, 2018 schlossen sich ihr viele Leute an, darunter auch viele Faschisten und einige Nazis. Vox erschien als ein Novum, die Entwicklung war auch getrieben von der internationalen Entwicklung, von Trump in den USA, Bolsonaro in Brasilien und auch von der extremen Rechten in Europa, von Orbán in Ungarn, Marine Le Pen in Frankreich, der AfD in Deutschland. Dieser Kontext begünstigte das Erstarken von Vox.
Welche Rolle spielte die erstarkende Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien?
Das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien am 1.10.2017 war wichtig. Dabei profitierte die extreme Rechte von dem nationalistischen spanischen Diskurs, mit dem die Behörden und Teile der Gesellschaft die Repressalien gegen die Unabhängigkeitsbewegung rechtfertigten. Einer der wichtigsten Vox-Politiker ist der Anwalt Javier Ortega-Smith. Er prozessierte gegen führende Vertreter*innen der Unabhängigkeitsbewegung, die später verurteilt wurden. Dadurch war Vox sehr präsent in den Medien und konnte ihre Position in der spanischen Rechten stärken.
Was ist das Programm von Vox?
Die Partei ist einerseits sehr stark von dem ultrakatholischen und nationalistischen Erbe der Franco-Diktatur geprägt und pflegt andererseits einen ausgeprägten anti-linken und antikommunistischen Diskurs. Wenn sie von Kommunismus sprechen, greifen sie alle von der Sozialdemokratie bis zur radikalen Linken an. Vox steht für Nationalismus, Antifeminismus, Migrationsfeindlichkeit. Die Partei ist neoliberal und hat in der Wirtschaftspolitik keine Unterschiede zur PP.
Migrant*innen werden ausnahmslos abge-
lehnt?
Es kommt sehr auf die Herkunft der Migrant*innen an. Vox interessiert sich sehr für Lateinamerikaner*innen in Spanien und versucht, diese anzusprechen. Wenn die Partei migrationsfeindliche Botschaften verbreitet, bezieht sie sich damit auf die Einwanderung aus Afrika und dem Nahen Osten. Migration aus Lateinamerika nach Spanien wird aufgrund historischer, sprachlicher, kultureller und sonstiger Bindungen eher befürwortet.
Vox spielt international eine bedeutende Rolle. Wo unterhält sie die engsten Beziehungen?
Ich sehe eine Art Dreieck aus Europa, den Vereinigten Staaten und Lateinamerika. Vox unterhält starke Verbindungen zur PIS in Polen und zu Orbán in Ungarn, hat sich sehr an Trump und Bannon in den USA orientiert und auch an Bolsonaro in Brasilien. Vox überträgt den lateinamerikanischen ultrarechten Populismus nach Europa und Rechte in Lateinamerika orientieren sich wiederum am Diskurs und an den Organisationsformen der spanischen extremen Rechten.
Ist Vox eine Brücke zwischen Europa und Lateinamerika?
Ja, sie sind sich bewusst, dass die Sprache ein Einfallstor für ihre Ideen in Lateinamerika ist. Es geht um einen Kulturkampf. Eine besondere Rolle spielt dabei ihre Zeitung »La Gaceta de la Iberosfera« (Zeitung der Ibero-Sphäre), die Disenso, die Parteistiftung von Vox, 2020 gekauft hat. Ein Teil des Geldes, das Vox als Partei mit 52 Abgeordneten in Madrid erhält, fließt in die Parteistiftung, die auch Stipendien vergibt und Qualifizierungen anbietet, um die neue politische Elite ihres Spektrums auszubilden.
Ist Vox in Spanien weiter auf dem Vor-
marsch?
Es ist noch nicht klar abzusehen, ob es für Vox aufwärts oder abwärts geht und welche Rolle sie spielen wird. Die Partei ist gerade dabei, sich zu positionieren und zu stabilisieren, ihre Ideen sind bereits angekommen und haben sich normalisiert. Der Erfolg von Vox besteht nicht nur darin, mehr oder weniger Stimmen zu erreichen, sondern auch darin, dass der gesellschaftliche Diskurs und der der anderen Parteien nach rechts verschoben wurde. So hat sich die PP teilweise den Diskurs von Vox zu eigen gemacht und wirbt um deren Klientel.
Sehen Sie die diesjährigen Lokal- und Regionalwahlen in Spanien als Ausdruck dieser Entwicklung?
Die Lokal- und Regionalwahlen am 28. Mai waren zweifellos ein Erfolg der extremen Rechten, die die PP getrieben und ihre Ausrichtung radikalisiert hat. Vox ging gestärkt aus diesen Wahlen hervor und ist nun an mehreren Regionalregierungen zusammen mit der PP beteiligt. Diese haben sofort angefangen, gegen Geschlechtergleichstellung, gegen die Rechte von LGTBI-Personen mit konkreten Maßnahmen vorzugehen, zum Beispiel wurden Theateraufführungen untersagt oder Abos von katalanischen Zeitschriften in Bibliotheken gekündigt, weil ihre Inhalte, die sich um Diversität drehen, angeblich ungeeignet seien.
Welche Bedeutung hat die Parlamentswahl am Wochenende für die Partei?
Das wird ein Schlüsselmoment sein, um zu bewerten, wie weit die spanische extreme Rechte kommen wird. Es besteht die Gefahr, dass die PP die vorgezogenen Parlamentswahlen zwar gewinnt, aber die extreme Rechte zum Regieren braucht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.