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Recycelte Antwort auf Garnisonkirche
Künstler verwandeln Kassenhäuschen aus einem Fußballstadion zum Ausstellungsort
Der wiederaufgebaute Turm der Potsdamer Garnisonkirche ist nur noch bis zu einer Höhe von 18 Metern rundum eingerüstet. Von der Breiten Straße abgewandt, erhebt sich das Baugerüst zwar bis zur vollen Höhe. Aber der Turm zeigt sich nun schon in seiner barocken Pracht und soll demnächst noch weiter von den Baugerüsten entkleidet werden. Im kommenden Jahr werde der Turm voraussichtlich eröffnet, informiert die Stiftung Garnisonkirche Potsdam. Einen Blick von der Aussichtsplattform weit ins Umland der Stadt und bis nach Berlin verspricht die Stiftung künftigen Besuchern. Im Eintrittspreis enthalten sei dann die Besichtigung der Ausstellung »Glaube, Macht und Militär«.
Da der Turm aus der Häuserflucht hervortritt, ist er schon von Weitem gut zu sehen – und durchaus eine Augenweide. Er stellt dennoch in verschiedener Hinsicht ein großes Ärgernis dar. Zunächst einmal sorgt das Bauwerk durch seine Positionierung für eine bedenkliche Engstelle. Radfahrer und Fußgänger müssen sich durch einen provisorischen Tunnel unter den Baugerüsten am Kirchturm vorbeischlängeln. Eigentlich fehlt hier schon der Platz, dass ein Radfahrer gefahrlos einen Fußgänger passieren könnte. Kommen dann noch mehrere Passanten zusammen ... Wenn der Turm eröffnet wird, gibt es zumindest ein bisschen mehr Raum.
Die Hauptkritik am Wiederaufbau bezieht sich jedoch darauf, wofür die Garnisonkirche früher stand. Sie war ein Tempel des preußischen Militarismus, in dem stolz die in Kriegen eroberten Fahnen besiegter Regimenter präsentiert wurden. Und die Kirche war am 21. März 1933 Schauplatz für die feierliche Eröffnung des Reichstags. Zelebriert wurde damals eine unheilige Allianz aus deutschen Faschisten und preußischen Militaristen. Beispielhaft steht dafür ein berühmtes Foto. Es zeigt den Reichskanzler Adolf Hitler, wie er symbolträchtig die Hand des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg schüttelt. Die kommunistischen Reichstagsabgeordneten wurden schon verfolgt, die sozialdemokratischen bedrängt. Mit der Demokratie war es vorbei.
Bei einem Bombenangriff am 14. April 1945 brannte die historische Garnisonkirche aus. 1968 wurde die Ruine gesprengt. Die Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel begann 1990, Spenden für einen originalgetreuen Wiederaufbau zu sammeln. Sie löste sich 2005 auf. Das Konzept der evangelischen Stiftung Garnisonkirche – es sieht gegenüber dem Original einige Abstriche vor – missfiel der Traditionsgemeinschaft, deren Ausrichtung mit dem Begriff rechtslastig noch sehr zurückhaltend beschrieben ist.
Einen Konflikt gibt es aber auch mit dem Kunst- und Kreativhaus im ehemaligen Rechenzentrum nebenan. Die Künstler, die hier Ateliers und Büros gemietet haben, dürfen zu einem guten Teil und im weitesten Sinne der linksalternativen Szene zugerechnet werden. Sie sind nur vorübergehend geduldet. Die Zwischennutzung wird zwar gerade bis Ende Januar 2026 verlängert. Was danach passiert, bleibt unklar. Ursprünglich sollte das Kunsthaus dem später auch noch wiederaufzubauenden Kirchenschiff weichen. Fraglich ist, ob die notwendigen Mittel jemals aufgetrieben werden. Potsdams Linke kämpft für den Erhalt des Rechenzentrums. Das Kreativquartier, das gleich um die Ecke als Ausweichstelle gebaut wird, sei kein vollwertiger Ersatz. Bedarf bestehe sowohl für das Kreativquartier als auch das Rechenzentrum, argumentiert der Stadtverordnete Sascha Krämer.
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»Wenn das Rechenzentrum nicht mehr besteht, wüsste ich nicht, wohin«, erzählt am Mittwochabend der Maler Jasper Precht. Seit 2016 hatte er hier zusammen mit anderen ein Atelier, seit 2019 nutzt er in der zweiten Etage einen Raum für sich allein. Er schätzt die günstige Miete sowie die Kleinteiligkeit und Offenheit des Hauses mit Innenhof. Hier könne man sich einerseits gut vernetzten, andererseits auch zurückziehen, um zu malen. »Ich wüsste nicht, was ich in dem Kreativquartier soll«, gesteht Precht.
Im Rechenzentrum dagegen weiß er viel mit sich und den Kollegen anzufangen. Gerade arbeitet er mit Sarah Weber auf dem Gehweg der Dortustraße 46 unmittelbar vor seinem Atelier an einem Kassenhäuschen aus den 70er Jahren. Die beiden bereiten es mit Schleifmaschinen für einen frischen Anstrich vor. Der Kassenkiosk, der einst in einem Fußballstadion in Niedersachsen Verwendung fand, wird jetzt für den Lernort Garnisonkirche hergerichtet. Er soll künftig mit wechselnden Ausstellungen bespielt werden.
Der Lernort Garnisonkirche ist im Erdgeschoss des Rechenzentrums untergebracht und setzt sich kritisch mit der Geschichte der Kirche und ihres Wiederaufbaus auseinander. Jetzt möchte der Lernort mit dem Kassenhäuschen nach draußen gehen und so Passanten erreichen, die anders nicht ansprechbar wären. Lange hat Architekturprofessor Philipp Oswalt darum gekämpft und seit Ende 2020 insgesamt vier Anträge gestellt, bis die Stadtverwaltung das endlich genehmigte. Die ersten Vorstöße seien mit Verweis auf den Denkmalschutz oder eine mögliche Behinderung des Verkehrs abgelehnt worden, berichtet Oswalt. Dabei ist der Gehweg hier nun wirklich breit genug – ganz anders als vor der Kirche.
Zuletzt stand das Kassenhäuschen in der Werkstatt des Recyclingkünstlers Fred Rubin in Berlin-Wedding. Gut vier Tonnen wiegt es und wurde am Dienstag mit einem Schwerlasttransport nach Potsdam geschafft. Rubin hat das lädierte Schmuckstück repariert, eine zusätzliche Fensterscheibe eingesetzt und einen beleuchtbaren Schaukasten angebracht. Sitzbänke aus einem Freibad will er noch davorsetzen. Das ist Rubins Arbeitsweise: alte Dinge neu zusammenfügen. Was es bisher gekostet hat und noch kosten wird? »Das kann man nicht in Zahlen fassen. Man muss bekloppt sein, um so etwas zu machen.« Rubin spricht von »intellektuellem Luxus«, den er sich gönne.
Das alte Kassenhäuschen begeistert den Künstler. »Das sieht ja aus wie aus einem Science-Fiction, das Teil«, ruft er aus. Er begreift den Kassenkiosk als Antwort auf den Käfig, in dem gleich um die Ecke die Wetterfahne mit Hahn ausgestellt ist, die zur Garnisonkirche gehört. »Der Hahn macht doof ›blub‹, der Kiosk macht elegant ›blop‹«, beschreibt Rubin seinen Ansatz und lacht. »Jeder nach seiner Fasson«, kommentiert er trocken. Der preußische König Friedrich II. meinte einst: »Jeder soll nach seiner Fasson selig werden.« Es ist ein geflügeltes Wort geworden.
Rubin muss weg und verabschiedet sich. Jasper Precht und Sarah Weber werkeln unentwegt weiter. Freitag könnte die Grundierung aufgetragen werden, nächste Woche dann der zweite Anstrich, wenn alles klappt und die Farbe gut deckt, erläutert Precht. Für außen wählen die beiden einen dunklen Saphirblauton aus – Fachbezeichnung RAL 5003. Das korrespondiert mit Elementen an der Fassade des Rechenzentrums und mit den Farbtönen des dort angebrachten Mosaiks »Der Mensch bezwingt den Kosmos«. Innen soll der Kiosk papyrusweiß gestrichen werden. Der Schriftzug »Coming out of RZ« (RZ steht für Rechenzentrums) wird in einem Pastellblauton mit leichtem Grünstich aufgebracht. Im September dürfte alles fertig sein, hofft Precht.
Sarah Wewer lernt viel dabei, und das gefällt ihr. »Total spannend, ich liebe es«, schwärmt sie. Schließlich sei es das erste Mal, »dass Jasper und ich einen Kiosk bearbeiten«. Und irgendwer muss es tun. »Es hat nicht jeder Bock, dreckig zu werden und eine Flex zu bedienen.« Andere Nutzer des Rechenzentrums können dafür vielleicht sehr gut einen Text schreiben, sagt Wewer. So bringt jeder seine Talente ein im Kampf um den Erhalt des Kunsthauses. Dazu gehört, das sehr lebendige Zentrum noch weiter zu öffnen. Das in einen Ausstellungsort verwandelte Kassenhäuschen ist ein Schritt auf diesem Weg.
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