Lesbisches Schöneberg: Vom »Blocksberg« zur »Begine«

Lesbisches Leben gab es in Schöneberg schon in den 1920ern, wenn auch viele damalige Treffpunkte heute nicht mehr existieren

  • Johanna Montanari
  • Lesedauer: 6 Min.
Schöneberg ist inzwischen weit über die Stadtgrenzen Berlins hinaus für seinen queeren Kiez bekannt. Die Geschichte dessen begann in der Weimarer Republik.
Schöneberg ist inzwischen weit über die Stadtgrenzen Berlins hinaus für seinen queeren Kiez bekannt. Die Geschichte dessen begann in der Weimarer Republik.

Wir treffen uns bei strahlend blauem Himmel am S-Bahnhof Yorckstraße in Schöneberg. Die AG Queer der Hellen Panke, dem Berliner Teil der Rosa-Luxemburg-Stiftung, hat eine Stadtführung mit Katja Koblitz organisiert. Koblitz ist Historikerin und leitet das Spinnboden-Lesbenarchiv. Mit viel Leidenschaft beschäftigt sie sich ausgiebig mit lesbischer Bewegungs- und Stadtgeschichte.

Auf unserer Tour geht es um zentrale Orte in Schöneberg. Von den aufregenden 1970er und 1980er Jahren reisen beziehungsweise spazieren wir in die 1920er Jahre und kurz reden wir auch über das Heute. Aber alles der Reihe nach.

Die lesbische Bewegung startet Anfang der 1970er Jahre im Kontext der Bürgerrechts- und Studierendenbewegung. Protestiert wurde gegen obrigkeitsstaatliches Denken, für Teilhabe und Gleichberechtigung. Damals galt noch der berüchtigte Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuches, der »widernatürliche Unzucht« zwischen Männern kriminalisierte und erst 1994 abgeschafft wurde. Zwar betraf der Paragraf nur Männer, aber er war Ausdruck eines politischen Klimas, das queeres Leben abwertete.

1971 erschien »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt«, ein Film von Rosa von Praunheim. Der Titel wurde zum Motto der Bewegung. Die Devise war, nicht länger im Privaten mit sich selbst zu hadern, sondern die gesellschaftlichen Bedingungen anzukreiden.

Dies alles erzählt Koblitz, während wir vor dem Backsteinbau im Hinterhof der Kulmer Straße 20/20a stehen. Dort kommt sie auf die Homosexuelle Aktion Westberlin (HAW) zu sprechen. Zur HAW gehörte auch eine Frauengruppe, in der die Frauen sich selbst als »schwule Frauen« bezeichneten. 1974 trennten sie sich von der HAW, wurden als Lesben aktiv und zogen als Lesbisches Aktionszentrum (LAZ) in die Kulmer Straße. Berlins lesbische Bewegung nahm ihren Anfang.

In der Kulmer Straße veranstalteten die Frauen alles mögliche, von Körperselbsterkundung zu Gesangsgruppen bis zu Marxismus-Feminismus-Diskussionsrunden. Das LAZ hatte bis Anfang der 1980er Bestand. Auch die Lesbenberatung lag in der Kulmer Straße. Von der nahe gelegenen Weinhandlung Leydicke, die Liköre herstellt und seit 1877 existiert, sei bekannt, dass sich so manch eine Lesbe dort mit einem Likör Mut angetrunken hätte, bevor sie in die Lesbenberatung gekommen sei, um über ein mögliches Outing nachzudenken.

Koblitz berichtet stolz von den Anfängen des Spinnboden-Lesbensarchivs, das auch in dieser Zeit seinen Anfang nahm und dieses Jahr fünfzigjähriges Jubiläum feiert. Das Spinnboden-Archiv entstand als ein »Archiv von unten« mit dem Ziel, die ansonsten unterdrückte Geschichte lesbischer Frauen zu bewahren. Das Projekt verfolgt heute eine intersektionale Herangehensweise, um gemeinsam mit Frauen, Lesben und queeren Menschen zu agieren.

Es geht weiter in die Yorckstraße zur ersten Berliner Lesbenkneipe. Die Kneipe hieß »Blocksberg« – das Hexenthema war beliebt. Die Kneipe wurde 1975 gegründet und hatte von 19 Uhr bis 2 Uhr geöffnet. Koblitz erzählt von der fantasievollen Speisekarte: »Sapphos Traum« etwa war ein griechischer Salat. Trotz wiederkehrender finanzieller Schwierigkeiten hielt sich das »Blocksberg« bis 1980.

Sprung zurück in die 1920er Jahre – zur Zeit der Weimarer Republik herrschte in Berlin eine Atmosphäre des sozialen und kulturellen Aufbruchs, was auch Auswirkungen auf die Situation von Lesben hatte. In den 1920er Jahren fanden lesbische Frauen größere Freiheiten, allerdings war das öffentliche Bekenntnis zur Homosexualität nach wie vor mit Risiken verbunden. Die Sichtbarkeit des lesbischen Lebens beschränkte sich in den 1920er Jahren vor allem auf bestimmte Teile der Gesellschaft in urbanen Gebieten. In ländlichen Regionen und konservativen Milieus blieben lesbische Frauen oft unsichtbar. In der aufstrebenden Metropole jedoch entwickelte sich eine lebendige homosexuelle Subkultur, vor allem in Schöneberg.

Warum ausgerechnet Schöneberg? Der Bezirk war eher kleinbürgerlich, hier ließ sich bezahlbarer Wohnraum finden. In den 1920er Jahren war Schöneberg gerade erst eingemeindet worden, lag also nicht im Zentrum Berlins. Die kleinbürgerliche Umgebung hätte, so Koblitz, zu einer gewissen Toleranz geführt: Alle wollten eben Geld verdienen. Zu dieser Zeit sei es viel verbreiteter gewesen, nicht den ganzen Abend an einem Ort zu verbringen, sondern von Kneipe zu Kneipe zu ziehen, sodass es viele verschiedene Läden mit eigenen Attraktionen gab. Koblitz zeigt uns, wo früher das »Dorian Grey« seinen Sitz hatte. Das Café wurde zuerst vor allem von Schwulen frequentiert, wurde dann aber ab 1926/27 eher ein lesbischer Treffpunkt.

Auch trans Personen waren in den 1920er Jahren eine eigene sichtbare Gruppe. Sie schlossen sich in dieser Zeit eher der lesbischen Szene an. Von schwulen Männern erfuhren sie laut Koblitz meist Ablehnung, weil dort ein misogynes Männlichkeitsbild vorherrschte.

Ähnlich wie in den 1970er und 1980er Jahren wurde auch in den 1920er Jahren lesbische Sexualität nicht in demselben Maße verfolgt wie schwule. Eine Frage aus dem Publikum: »Ist das nicht die viel schlimmere Diskriminierung, dass man die Sexualität der Frauen so sehr nicht ernst nimmt, dass man sie nicht mal verbietet?« Ja, antwortet Koblitz, man habe Frauen nicht als politische Subjekte anerkannt. Das hieße jedoch nicht, dass Lesben nicht diskriminiert wurden. Es gab verschiedene Mechanismen der sozialen Kontrolle und Stigmatisierung von Lesben. So wurden sie häufig Opfer von Verleumdungen, wurden gesellschaftlich isoliert und hatten Schwierigkeiten, ihre Beziehungen öffentlich zu führen. Es gab Fälle, in denen lesbische Frauen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeitsstellen verloren. Auch in Bezug auf das Sorgerecht für Kinder und Erbrecht waren lesbische Frauen benachteiligt.

Wir stehen vor der Bülowstraße 37. Dort befand sich ein Ballsaal mit dem Namen »Königshof«, der wahrscheinlich zwei oder drei Etagen umfasste, später in »Nationalhof« umbenannt wurde und ab 1920 zunehmend lesbisches Publikum empfing. Und wir hören von Lotte Hahm, von der es ausschließlich Fotos in Hosen gibt, die selbst trans Gruppen mit geleitet hat und sich wahrscheinlich der lesbischen und der trans Szene zugehörig fühlte. Das Tragen von Hosen galt in den 1920er Jahren noch als unkonventionell für Frauen.

Die politische und soziale Situation änderte sich nach dem Aufstieg der Nationalsozialisten in den 1930er Jahren dramatisch. Mit der Machtübernahme Hitlers im Jahr 1933 begann eine Zeit der Repression und Verfolgung von Homosexuellen, die auch lesbische Frauen betraf. Die Nazis betrachteten sie als »asozial« und »entartet«, einige wurden in Konzentrationslagern inhaftiert und ermordet. Der »Nationalhof« in der Bülowstraße verbot bereits 1932 Homo- oder Transbälle. Nach dem Krieg stand der Saal noch, doch 1976 wurde er trotz Proteste abgerissen.

Unsere letzte Station ist die »Begine«, ein Frauencafé, das 1981 besetzt und von Frauen saniert wurde. Wir stehen vor einem Knotenpunkt vieler Frauenprojekte: Hier gab es WGs für Mädchen, die ihre Familie wegen Gewalterfahrungen verlassen mussten, Hydra, ein Verein für Sexarbeiter*innen, nutzte eine Zeit lang die Räume. Die »Begine« ist heutzutage das einzige lesbische Café Berlins. Ein Verlust? Koblitz findet, Berlin habe viele neue queere Räume dazugewonnen, wie den »Südblock« in Kreuzberg. Am wichtigsten sei, dass es neben Webseiten oder Dating-Plattformen weiterhin queere Orte gebe, wo man sich persönlich treffen könne. »Wir waren immer vielfältig und werden es immer bleiben«, so Koblitz.

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