Rechtsruck in Spanien: Wahlkampf bei Extremtemperaturen

In Spanien wird ein neues Parlament gewählt. Umfragen prognostizieren einen Wahlsieg der konservativen Volkspartei Partido Popular und der rechtsextremen Vox. Was droht dem Land bei einem Rechtsruck?

  • Julia Macher, Barcelona
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist heiß in Spanien dieser Tage, der Wetterbericht meldet fast täglich neue Rekorde. Die emotionale Temperatur des Wahlkampfs aber liegt noch ein paar Grad darüber. Zum Beispiel an der Plaça del Mar in Barcelona. Direkt an der Strandpromenade hat die rechtsextreme Vox ihre Bühne aufgebaut. Gigantische Spanien-Fahnen flattern im Abendlicht. Auf dem Podium schimpft Vox-Chef Santiago Abascal über die »Vaterlandsverräter«, die gemeinsam mit »Terroristen und Putschisten« regierten, wegen der punktuellen Unterstützung der Linkskoalition durch baskische und katalanische Parteien. Er verspricht, die »Grenzen zu schützen«, vor illegalen Migranten, die »Schwule am Laternenpfahl aufknüpfen« und »unsere Frauen vergewaltigten«. Und etwa 600 Menschen skandieren »presidente«, »presidente«. Am Rand der Zuschauerbühne steht Javier mit einem Schulfreund, seinen Nachnamen will er nicht verraten. Javier ist 19 Jahre alt und lässt sich zum Logistik-Fachmann ausbilden. Es ist seine erste Wahl, sein Votum gehe mit »85-prozentiger Wahrscheinlichkeit« an Vox. Warum? »Wegen der Migration.« Wie die ihn persönlich betreffe? »Ich hatte an der Schule Stress mit marokkanischen Mitschülern.« Sein Freund nickt. Ihn bewegt vor allem die feministische Debatte in Spanien. »Egal, worüber wir in der Schule diskutiert haben – irgendwann brachten die Lehrer immer das Thema Feminismus auf. Wir Männer sind doch nicht an allem schuld!«

Tatsächlich ist Vox die Partei, die laut spanischem Meinungsforschungsinstitut CIS unter Jungwählern am meisten Unterstützung findet: 12,5 Prozent der Wähler sind zwischen 18 und 24 Jahren alt. Gezielt habe die Partei über die sozialen Netzwerke diese Gruppe angesprochen, sagt die Soziologin Carmen Ruiz Repullo – mit Fake News, in denen es vor allem um die feministischen Gesetze der Linkskoalition ging: die Reform des Sexualstrafrechts, nach der nicht explizit einvernehmlicher Geschlechtsverkehr als Vergewaltigung bewertet wird und das Transgender-Gesetz. Auch wenn die Umfragewerte der Rechtsextremen stetig sinken, sehen die meisten Analysten Vox bei den Parlamentswahlen am Sonntag auf einem dritten Platz. Sollte die rechtskonservative Volkspartei Partido Popular die absolute Mehrheit verfehlen, würde eine Koalition mit Vox ihr zur Macht verhelfen.

Vox drückt der Politik seinen Stempel auf

Oppositionschef Alberto Núñez Feijóo hat im Wahlkampf keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich das durchaus vorstellen könnte. Brandmauern gegen Vox hat die Partido Popular nie errichtet; Vox-Gründer Abascal stammt schließlich aus den eigenen Reihen. In 140 spanischen Gemeinden und drei autonomen Regionen gibt es bereits solche Bündnisse. Und Vox hat der Politik dort erfolgreich seinen Stempel aufgedrückt: Gleichstellungsbehörden und Anlaufstellen für Frauen wurden aufgelöst, Förderungen für Regionalsprachen gestrichen, Regenbogenfahnen abgehängt. In den Regionen Extremadura und Valencia sind die Landwirtschaftsbehörden künftig in den Händen von Vox. Das ist brisant: Spanien leidet unter einer historischen Dürre, der Agrarsektor verbraucht 80 Prozent des sinkenden Wasseraufkommens – und Vox ist die einzige Partei im Land, die den menschengemachten Klimawandel negiert. Ihr Rezept gegen den Wassermangel: mehr Stauseen bauen, egal ob es regnet oder nicht. Ähnlich aus der Zeit gefallen wirkt das Rezept in Sachen Energiepolitik: Statt Erneuerbarer soll in Spanien künftig Kohle gefördert und Mini-Atomkraft-Werke gebaut werden. Internationale Nachhaltigkeitsabkommen wie die Agenda 2030 hat Vox auf einem riesigen Wahlplakat bereits symbolisch in die Tonne getreten.

»Es muss Schluss sein mit dieser Klimareligion«, wettert Abascal auch auf der Wahlkampfveranstaltung in Barcelona. Javier und sein Freund fächeln sich mit einem Prospekt Luft zu und spenden Applaus. »Es stimmt ja, dass es wärmer wird«, sagt Javier. »Aber deswegen darf man doch nicht alles verbieten.« »Wir sind doch keine ›Perroflautas‹«, ergänzt sein Freund. Die beiden lachen hämisch.
»Perroflautas«, »Hundeflöten« – das ist der Spottname, den man in Spanien den »indignados« gegeben hat, der Empörtenbewegung, die als »15-M« im Zuge der Finanzkrise die öffentlichen Plätze in Spanien besetzten. Ihr Auftritt erschien konservativen Bürgerinnen und Bürgern hippiesk, ihre Forderungen waren radikal. Sie forderten einen »Reset« der parlamentarischen Demokratie, mehr Mitspracherechte, mehr Chancengleichheit und eine Zukunftsperspektive. Gerade einmal zwölf Jahre ist das her. Und schon gelten die jungen Wilden von damals als altes, graues Establishment.

Das hat auch mit dem parlamentarischen Verschleiß der letzten Jahre zu tun. Podemos, die Partei, die sich zum Erben der Empörtenbewegung erklärte, war im Verbund mit der linken Izquierda Unida vier Jahre lang Juniorpartner der spanischen Linkskoalition. Die zunächst von Pablo Iglesias angeführte Bewegung drängte die träge, spanische Sozialdemokratie ein Stück nach links und setzte erfolgreich Impulse: Sowohl die Erhöhung des Mindestlohns von 859 auf 1260 Euro wie auch die Einführung einer spanienweiten Sozialhilfe gehen auf ihr Konto zurück. Doch innerparteiliche Streitereien und Spannungen in der Koalition zerrieben die linke Partei. Zuletzt beherrschte das Debakel um Gleichstellungsministerin Irene Montero die Schlagzeilen: Sie gilt als Hauptverantwortliche für das »Nur-Ja-ist-Ja«-Gesetz, das wegen handwerklicher Fehler teilweise zur vorzeitigen Freilassung von verurteilten Sexualstraftätern führte und schließlich mit Stimmen der Konservativen reformiert werden musste.

Kampf um den dritten Platz

Kein Wunder also, dass Pedro Sánchez Juniorpartner unter neuem Namen in den Wahlkampf zogen. »Sumar«, »Zusammenzählen« heißt das neue 20-Parteien-Bündnis, angeführt wird es von Arbeitsministerin Yolanda Díaz. Die 52-jährige Anwältin gehört zu den beliebtesten Politiker*innen des Landes und hat das, was Pablo Iglesias fehlte: verbindlichen Charme, Erfahrung mit den Mechanismen der parlamentarischen Demokratie und Verhandlungsgeschick. Die Frau, die »ewig lächelt« (El País) beweist aber auch kühlen Machtinstinkt: Der Gleichstellungsministerin Irene Montero versagte sie einen Listenplatz.

Das erst im Juni aus der Taufe gehobene Projekt schlägt sich vergleichsweise wacker. In der entscheidenden Woche vor den Wahlen konnte das Bündnis aufholen und liegt in manchen Umfragen vor Vox auf Platz 3. In der letzten Dreier-Runde im spanischen Fernsehen – Oppositionschef Alberto Feijóo Núñez nahm nicht daran teil – trieb Yolanda Díaz den Vox-Chef in die Enge und spielte sich mit dem amtierenden Premier freundlich Ping-Pong-Bälle zu: »Wie du weißt, Pedro…«, »Natürlich, Yolanda…«. Die demonstrativ zur Schau getragene Harmonie sollte die Querelen der Vergangenheit vergessen machen. Sollte die Linkskoalition noch eine Chance auf eine Wiederwahl haben, dann nur gemeinsam – und nur mit der Unterstützung der regionalen Parteien aus dem Baskenland und Katalonien. Analysten geben diesem Bündnis eine 15-prozentige Wahrscheinlichkeit – das ist nicht viel, aber ausgeschlossen ist es nicht.

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