Streik in Gräfenhausen: Lkw-Fahrer wieder im Ausstand

Erneut haben sich streikende Lastwagenfahrer in Gräfenhausen-West an der A5 versammelt

  • Daniel Behruzi, Darmstadt
  • Lesedauer: 4 Min.

Gräfenhausen-West ist zum Symbol des Widerstands von Lkw-Fahrern gegen unfaire Arbeitsbedingungen geworden. Und nun auch zum Anlaufpunkt für weitere Proteste: Dutzende Trucker aus Georgien, Usbekistan und Tadschikistan haben sich erneut auf der Raststätte an der Autobahn 5 in der Nähe von Darmstadt in Südhessen versammelt, um ausstehende Löhne einzufordern. Im April hatten mehr als 60 ihrer Kollegen wochenlang dort ausgeharrt und sich schließlich gegen ihren Arbeitgeber, die polnische Mazur-Gruppe, durchgesetzt. »Daraus haben die Fahrer offenbar die Schlussfolgerung gezogen, dass Streik eine Möglichkeit ist, für die eigenen Rechte einzutreten«, erklärt Anna Weirich vom DGB-Beratungsnetzwerk »Faire Mobilität« auf nd-Nachfrage.

Am vergangenen Dienstag kamen die ersten vier Fahrer in Gräfenhausen an. Seither wächst ihre Zahl explosionsartig. Am Sonntag war die Raststätte nach Polizeiangaben mit 73 Lkw komplett ausgelastet. Deshalb seien weitere 14 Lastwagen einige Kilometer weiter gefahren und stehen nun auf der Raststätte Pfungstadt-West an der A67. Wie ihre Kollegen im April fordern sie die Zahlung ausstehender Löhne. Doch die Unternehmensleitung reagiert anders als beim ersten Konflikt. Damals schickte sie den Streikenden einen Schlägertrupp, der ihnen die Lkw abnehmen sollte. Das ging bekanntlich schief, und nach mehreren Wochen ließ sich Mazur doch auf Verhandlungen mit den Truckern ein. Am Ende stand ein großer Erfolg: Die Beschäftigten erhielten die geforderte Summe bis auf den letzten Cent – insgesamt 303 363 Euro und 36 Cent. Zudem ließ das Unternehmen alle Anklagen gegen sie fallen. Entscheidend hierfür war wohl der ökonomische Druck: Erst als Kunden wie General Electric wegen ausbleibender Lieferungen drastische Schadenersatzforderungen stellten, lenkte Mazur ein.

Auch dieses Mal steht die Spedition offenbar unter dem Druck der Kunden – und reagiert anders als beim letzten Mal zügig auf die Forderungen. Schon einen Tag nach Streikbeginn begann sie, über ausstehende Löhne zu verhandeln und erste Kollegen auszuzahlen. »Gräfenhausen scheint für die Fahrer jetzt wie eine Art Bank zu sein, wo sie ihr Geld bekommen«, sagt der niederländische Gewerkschafter Edwin Atema, den die Streikenden im Frühjahr zu ihrem Verhandlungsführer bestimmt hatten. Anna Weirich von »Faire Mobilität« ergänzt: »Offensichtlich haben sich die Arbeitsbedingungen bei Mazur in den vergangenen Monaten nicht verbessert. Aber jetzt ist das Unternehmen um schnelle Schadensbegrenzung bemüht.«

Da sie nicht erst durchgesetzt werden müssen, führen die Fahrer die Verhandlungen diesmal individuell. Schätzungsweise zehn Kollegen sind weitergefahren, nachdem sie ihr Geld erhalten haben. Der Großteil aber scheint bleiben zu wollen, bis alle ausstehenden Löhne beglichen wurden. Zugleich kommen ständig neue Fahrer hinzu. »Es ist eine ziemliche Dynamik entstanden«, sagt Weirich. »Eigentlich ist Gräfenhausen nur ein Parkplatz wie jeder andere, aber für die Fahrer ist die Raststätte wohl zu einer Art Mythos geworden.« Die erneute Aktion zeige aber auch die Verzweiflung der Kollegen, die nicht wüssten, wie sie anders an das ihnen zustehende Gehalt kommen sollten.

Ganz zufällig haben sich die Fahrer Gräfenhausen wohl nicht als Versammlungsort ausgewählt. Zum einen dürften sie nach den Erfahrungen mit Mazur Angst haben, beim Streik alleine zu stehen. Zum anderen können sie hier auf die Unterstützung der Gewerkschaften zählen. Edwin Atema und die Aktiven von »Faire Mobilität« waren vergangene Woche vor Ort, haben Dokumente gesichtet und die Fahrer beraten. Im April waren ihre Kollegen zudem von örtlichen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern regelmäßig mit Lebensmitteln versorgt worden.

Die allermeisten Streikenden von damals sind inzwischen nicht mehr bei Mazur. »Von ihnen fährt fast niemand mehr für die Firma«, berichtet Anna Weirich. Sie seien zu anderen Speditionen gewechselt. Allerdings bedeute das nicht, dass sie nun unter guten Bedingungen arbeiten würden. Für Drittstaatler, also Beschäftigte aus osteuropäischen Ländern außerhalb der EU, gebe es in der Branche einfach keine guten Arbeitsbedingungen, betont die Gewerkschafterin. Eines haben die Kollegen aber wohl gelernt: dass auch sie sich erfolgreich für ihre Interessen einsetzen können. Die Fahrer, die aktuell in Gräfenhausen stehen, haben sich daran ein Beispiel genommen.

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