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Aus für kritische Forschung und Lehre zu Kriminalisierung

Die Universität Hamburg schafft den beliebten Kriminologie-Studiengang endgültig ab

Wer in Deutschland Kriminologie studieren will, kann das Thema als Nebenfach im Jurastudium belegen oder eine Polizeiakademie besuchen. Dort fehlt aber häufig eine kritische Auseinandersetzung mit Kriminalität und Kriminalisierung, wie sie in den Sozialwissenschaften üblich ist. So geht etwa die Soziologie der Frage nach, warum Menschen überhaupt Straftaten begehen und wie dies in der Bevölkerung wahrgenommen wird. Wer von Strafverfolgung betroffen ist und wer davon verschont bleibt, ist außerdem eine politische Entscheidung. Über Kriminalität wird auch unterschiedlich berichtet: Manche Medien bauschen bestimmte Phänomene auf und erzeugen damit Angst.

Der 1984 an der Hamburger Universität eingerichtete Master-Studiengang Internationale Kriminologie führt in vier Semestern verschiedene Wissenschaften zusammen und ist deshalb einzigartig. Er gehört zur Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, an der sich Studierende unter anderem für Soziologie, Politikwissenschaft und Journalistik einschreiben können. Auch »ein oder zwei Semester an einer ausländischen Universität« werden beim Studium der Internationalen Kriminologie empfohlen, um einen anderen als den deutschen Blick auf Debatten in der Kriminalitätsforschung zu erhalten. Nach dem Masterstudium ist die Promotion zum Doktor in der Kriminologie möglich.

Jetzt wird der Studiengang aber endgültig abgeschafft: Auf seiner jüngsten Sitzung hat der Fakultätsrat der Sozialwissenschaften an der Universität einer entsprechenden Vorlage zugestimmt. Bekannt gemacht hat dies der Blog »Criminologia«, der von einem Absolventen der Internationalen Kriminologie ehrenamtlich betreut wird. Damit endet eine Auseinandersetzung, in der Studierende und Ehemalige eineinhalb Jahre gegen die Auflösung gekämpft haben.

Das Ende der Internationalen Kriminologie hat die Universitätsleitung angeblich schon vor vier Jahren beschlossen und dies mit »strategischen« und »routinemäßigen« Entscheidungen begründet. Gegenüber dem »nd« bleibt die Universität hierzu vage und spricht von einer geänderten Ausrichtung von Fakultäten, Dekanaten und Fachbereichen. »Bedarfe seitens der Studierenden ändern sich ebenfalls«, heißt es weiter.

Derzeit gibt es im Studiengang noch drei Professuren, von denen zwei altersbedingt ausscheiden und nicht nachbesetzt werden. Auch mehrere Lehrstellen werden also bis 2027 wegfallen. Übrig bleibt dann nur die Professorin Christine Hentschel, die wohl in einen anderen Fachbereich wechseln wird.

Bei einer Sitzung im Fachbereichsrat Sozialwissenschaften Anfang 2022 stand schließlich die Zustimmung zur Auflösung auf der Tagesordnung. Diese erfolgte aber zunächst nicht. Jedoch beschloss das Gremium, dass bis zu einer endgültigen Entscheidung keine neuen Studierenden mehr zugelassen werden.

Im Fachbereichsrat bilden Professoren die Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder, außerdem können Studierende, die Verwaltung sowie das akademische Personal je einen Vertreter entsenden. Wesentliche Entscheidungen über einen Studiengang in den Sozialwissenschaften obliegen aber dem Fakultätsrat. Auch dort haben Lehrende eine Mehrheit, jedoch sind Studenten, Verwaltung und Mitarbeiter mit je drei Personen stimmberechtigt.

Noch im Februar dieses Jahres stimmte der Fakultätsrat gegen eine Auflösung des Masterstudiengangs – in einem Interview mit der »Taz« hat der neu gewählte Präsident Hauke Heekeren dies anders dargestellt und deshalb für Verwirrung gesorgt. Die endgültige Zustimmung des Fakultätsrates erfolgte aber erst am 12. Juli.

In dem Interview behauptete Heekeren zudem, Inhalte der Internationalen Kriminologie würden weiterhin von anderen Studiengängen des Fachbereichs abgedeckt. »Dies erreicht aber nicht die gleiche Tiefe, weil Studierende neben vielen anderen Themen eher hier und da mal ein Seminar belegen werden«, kommentiert Nina Perkowski, Juniorprofessorin am Fachbereich Soziologie, auf Anfrage des »nd«. Die politischen Antworten auf unerwünschtes Verhalten, darunter angebliche Gewalt in Freibädern oder irreguläre Migration, seien gerade wieder sehr stark von Repression gekennzeichnet. »Da können kriminologische Perspektiven wichtige Analysen und Impulse beisteuern, die das kritisch hinterfragen.«

Auch Care4Criminology, eine Initiative von Studierenden für den Erhalt des Studiengangs, findet die Argumentation von Präsident Heekeren falsch. Zwar gebe es Schnittmengen mit anderen Studiengängen, jedoch könnten diese keine Inhalte »und schon gar nicht die forschungs- und anwendungsbezogene Fokussierung des Fachgebiets ersetzen«, heißt es auf dem Blog der Initiative. Gerichtet an den Neurowissenschaftler Heekeren fährt Care4Criminology fort: »Wir verdeutlichen dies einmal für einen Neurowissenschaftler: Nur weil sich Teile der Biologie oder Psychologie ebenfalls mit neuronalen Prozessen und Hirnfunktionen beschäftigen, bedeutet dies weder, dass die Inhalte der Neurowissenschaften durch diese Fachgebiete ersetzt werden könnten, noch dass eines der Fachgebiete wissenschaftlich überholt wäre«, schreibt Care4Criminology.

Das Bündnis wollte Aufmerksamkeit schaffen und neue Bündnisse schmieden, die dazu führen sollten, dass Gelder neu verteilt und Professuren geschaffen werden könnten. Allerdings haben die Studierenden dieses Ziel nicht erreicht. Die seit Jahren geplante Auflösung sei ungeachtet der Proteste schrittweise vollzogen worden, deshalb habe der Schwung der Initiative nachgelassen, räumt der Student Jasper Janssen gegenüber dem »nd« ein. »Wir sind überall gegen Wände gelaufen, und auch im Lehrkörper hat sich nach dem Antrag auf Auflösung Anfang 2022 niemand öffentlich wirksam für den Studiengang eingesetzt. Das hat viele solidarische Menschen verunsichert«, sagt Janssen.

Dieser Schwung war anfangs beträchtlich: Hunderte Forschende und Lehrende, die meisten davon mit akademischen Titeln, hatten in einer Stellungnahme den Erhalt des Master-Studiengangs gefordert. Die Reflexion des gesellschaftlichen Umgangs mit Straftätern sowie wissenschaftliche Diskurse über Formen von Gewalt dürften kein »Nebenzweig« der Soziologie sein, heißt es darin.

Kritik an der Auflösung kommt auch von Fritz Sack, dem ersten Inhaber der Professur der Internationalen Kriminologie von 1984 bis 1996. In einem Gastbeitrag in der »FAZ« schreibt Sack, dass es in Deutschland zwar »vier bis fünf Lehrstühle« zu kriminologischer Lehre und Forschung an Universitäten gebe. Dabei handele es sich aber nur um strafrechtswissenschaftliche Neben- und Teilbereiche. »Damit kriegt Kriminologie gleichsam den Charakter eines Beipackelements des Studiums.«

Care4Criminology verweist in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme außerdem auf die politische Dimension der Streichung. Angesichts eines zunehmenden gesellschaftlichen Rechtsrucks, steigender sozialer Ungleichheit, Ausgrenzung und Gewalt sei die kritische Kriminologie »eine dringend notwendige kritische und qualifizierte Stimme jenseits von Sicherheitspopulismus und medialem Alarmismus«.

Mit der Entscheidung werde die Kriminologie geschwächt, auch international, sagt auch Professor Rafael Behr auf Anfrage des »nd«. Behr hat in dem Studiengang unter anderem zu Devianzforschung und sozialer Kontrolle gelehrt, also zu Gründen von abweichendem Verhalten und gesellschaftlichen Reaktionen darauf. Das Argument, wesentliche Inhalte der Kriminologie könnten auch in anderen Fächern gelernt werden, teilt auch Behr nicht. Denn die Studierenden hätten dann trotzdem keinen Abschluss als Kriminologen.

Die bereits Immatrikulierten sollen ihr Studium fortsetzen können, verspricht die Universität. Bis einschließlich des Sommersemesters 2028 bestehe die Möglichkeit, »Lehrveranstaltungen im Auslaufbetrieb zu belegen bzw. nachzuholen«, so ein Sprecher zum »nd«. Der Anspruch, Prüfungen abzulegen, gelte unabhängig vom Auslaufen des Lehrbetriebs, sofern der Fakultätsrat dies nicht irgendwann aufhebt. Dennoch könnten diese in Schwierigkeiten geraten, sagt die in Care4Criminology aktive Studentin Maria Seeligmüller. Das betreffe etwa Menschen, die sich nebenbei aktivistisch betätigen, arbeiten oder pflegen müssten. Immer mehr Kurse würden perspektivisch wegfallen, was die Anmeldung zur Masterarbeit verzögern könne.

Neben der nun gestrichenen Internationalen Kriminologie können sich Interessierte in Hamburg weiterhin für den weiterbildenden Masterstudiengang Kriminologie einschreiben. Eine Alternative für die Internationale Kriminologie sei dies aber nicht, erklärt Behr. Denn das kostenpflichtige Angebot richte sich an bereits Berufstätige, insbesondere Polizisten oder Justizvollzugsbedienstete, die schon mehrere Jahre in ihrem Bereich tätig sind. Der Adressat ist also staatliches Personal, das dem facettenreichen Phänomen der Kriminalität und Kriminalisierung bekanntlich eher unkritisch gegenübersteht.

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